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Entscheidung der Woche 31-2019 (ZR)

Paula Kirsten

Die zum „Schockschaden“ entwickelten Grundsätze (vgl. nur Senatsurteile vom 10. Februar 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 9; vom 27. Januar 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6) sind auch in dem Fall anzuwenden, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH VI ZR 299/17

in: bundesgerichtshof.de

 

A. Leitsatz

Die zum "Schockschaden" entwickelten Grundsätze (vgl. nur Senatsurteile vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 9; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6) sind auch in dem Fall anzuwenden, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von "Schockschäden" im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, besteht grundsätzlich nicht.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Der Patient P begab sich in das von dem Beklagten K betriebenen Krankenhaus, um eine Koloskopie durchführen zu lassen, im Verlaufe derer eine Darmperforation festgestellt wurde. Es stellte sich heraus, dass der anschließende konservative Therapieversuch grob fehlerhaft durchgeführt worden ist. P schwebte deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr. Die Klägerin und Frau des P hat aufgrund dessen lebensbedrohlichen Zustands massive psychosomatische Beschwerden in Form eines depressiven Syndroms und Angstzustände erlitten. Die Klägerin F nimmt K auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.


C. Anmerkungen

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Die Schadensersatzpflicht setzt nicht voraus, dass diese Auswirkungen eine organische Ursache haben; es genügt die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsbeschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre.

Als haftungsbegründendes Schadensereignis kommt auch eine fehlerhafte ärztliche Behandlung in Betracht. Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der sogenannten "Schockschäden" bedarf es für eine Schadensersatzpflicht des erforderlichen Schutzzweckzusammenhangs. Dieser kann angenommen werden, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem persönlich nahesteht. Mit der aktuellen Rechtsprechung des BGH wird nochmals klargestellt, dass ein solcher Anspruch nicht grundsätzlich den Tod eines nahen Angehörigen voraussetzt, auch besonders schicksalhafte, schwere Verletzungen können zu einer schutzzweckrelevanten Beeinträchtigung führen. Weiterhin muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Dafür bedarf es der Realisierung einer Gefahr, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht und nicht der Sphäre der Geschädigten zuzuordnen ist. Ein solcher Fall war vorliegend anzunehmen. Weder kann die vorliegend einer abweichenden Fallkonstellation einer insoweit anerkannten Fallgruppe zugeordnet werden noch ist es bei wertender Betrachtung gerechtfertigt, das Risiko, das sich im Streitfall bei der Klägerin verwirklicht hat, allein ihrer Sphäre und damit ihrem Risikobereich zuzurechnen.


D. In der Prüfung

I. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

1. Recht- oder Rechtsgutverletzung, hier: Schockschaden

2. Verletzungshandlung

3. Haftungsbegründende Kausalität

a. Äquivalenztheorie

b. Adäquanztheorie

c. Lehre vom Schutzzweck der Norm, hier: ggf. Eingrenzung der Ersatzfähigkeit von Schockschäden

4. Rechtswidrigkeit

5. Verschulden

6. Schaden

7. Haftungsausfüllende Kausalität


E. Zur Vertiefung

Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, § 58.

 
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