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Entscheidung der Woche 31-2023 (ZR)

Kevin Riebe

Das Gericht hat die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen, wenn eine Partei an der nach § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil die Übertragung aus ihr nicht zuzurechnenden ungeklärten technischen Gründen nicht zustande kommt.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: OLG Celle, Beschl. v. 15.09.2022 - 24 W 3/22

in: NJW 2023, 307

NJW-RR 2022, 781

MDR 2022, 1561

IMR 2022, 466

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze

1. Das Gericht hat die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen, wenn eine Partei an der nach § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil die Übertragung aus ihr nicht zuzurechnenden ungeklärten technischen Gründen nicht zustande kommt.

2. Bei der Beurteilung, ob technische Störungen mit unklarer Ursache einer Partei als Verschulden zuzurechnen sind, ist der Normzweck des § 128a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen, nach dem die Nutzung dieser Verfahrensweise nicht derart erschwert werden darf, dass sie für den Verfahrensbeteiligten, der im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen beabsichtigt, riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht.

B. Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erfüllung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Wohnmobil in Anspruch. [...] Das Landgericht hat den Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen und zur mündlichen Verhandlung auf den 08.02.2022 anberaumt. Durch Beschluss vom 01.02.2022 hat es den Parteien und Parteivertretern sowie dem Zeugen gestattet, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 08.02.2022 erschienen bei Aufruf der Sache im Wege der Bild- und Tonübertragung der Klägervertreter und der Kläger persönlich sowie der Zeuge. Eine Verbindung zum Beklagtenvertreter konnte nicht hergestellt werden. Der Klägervertreter beantragte eine Entscheidung durch Versäumnisurteil. Das Gericht erließ folgenden Beschluss: „Neuer Termin von Amts wegen.“ Mit Schriftsatz vom 09.02.2022 führte der Kläger seine Auffassung näher aus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils erfüllt seien. Habe eine Säumnis nicht vorgelegen, so sei der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils durch Beschluss zurückzuweisen, gegen den die sofortige Beschwerde statthaft sei. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 12.04.2022 den Antrag des Klägers auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

C. Anmerkungen

Das OLG Celle sowie schon in der Vorinstanz das LG Verden lehnten den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteiles ab. In Celle wurde die sofortige Beschwerde als unbegründet angesehen. Das Oberlandesgericht führte zum Verfahren nach § 128a ZPO aus, dass eine Säumnis vorliegt, wenn eine Partei weder physisch im Gerichtssaal noch über eine Bild- und Tonübertragung anwesend ist. Bei der Frage des Verschuldens erläutert Celle weiter, dass im Rahmen des § 337 S. 1 ZPO ein anderer Maßstab als beim § 233 ZPO anzulegen ist. Maßgebend für das Verschulden der Säumnis aufgrund technischer Probleme ist, ob die technischen Probleme dem Beteiligten zugerechnet werden können oder nicht. Zur Bewertung dieser Frage zieht das Oberlandesgericht den Sinn und Zweck des § 128a ZPO heran. Der § 128a ZPO diene dazu, das Verfahren durch Nutzung moderner Kommunikationstechnik effektiver und prozessökonomischer zu gestalten. Dazu führt das OLG aus, jene Verfahrensweise dürfe daher in ihrer Nutzung nicht erschwert werden, was dazu führen würde, dass eine Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht. Demnach genügt zum Ausschluss des Verschuldens die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt sowie das Vorliegen nicht mehr aufklärbarer technischer Umstände, die dazu führten, dass eine Übertragung nicht zustande kam. Es ist den Teilnehmenden dabei nicht zuzumuten, in solch einem Falle auf Mobiltelefone umzusteigen, die eine vergleichsweise Teilhabe am Verfahren nicht ermöglichen.

D. In der Prüfung

Erlass eines Versäumnisurteils (VU), § 311 I 1 ZPO

1. Prozessantrag auf Erlass eines VUs, § 311 I 1 ZPO

2. Termin zur mündl. Verhandlung, § 311 I 1 ZPO

3. Säumnis des Beklagten

4. Kein Hindernis nach § 335 ZPO

5. Kein Hindernis nach § 337 ZPO

a. Verhandlung gem. § 128a I ZPO

b. Beachtung der erforderlichen Sorgfalt

c. Nicht mehr aufklärbare technische Umstände

E. Literaturhinweise

Fuhrmann/Merks, Videoverhandlung im Zivilverfahren, ZRP 2023, 66; BeckOK ZPO/Jaspersen, 49. Ed. 01.07.2023, ZPO § 219 Rn. 2.

Zum Sinn und Zweck des § 128a ZPO:

Stein/Jonas/Kern, ZPO § 128a Rn. 1; Beschlussempfehlung u. Bericht d. Rechtsausschusses v. 15.05.2001 – BT-Drs. 14/6036, 116

 

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