Entscheidung der Woche 31-2024 (SR)
Lilian Adams
Die neue gesetzliche Bestimmung von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum, auch wenn es vor dem 1. April 2024 erfolgte.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az: BayObLG, Beschluss vom 08.04.2024 - 203 StRR 39/24
Fundstelle: NJW 2024, 2126; StV 2024, 458
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Die neue gesetzliche Bestimmung von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum, auch wenn es vor dem 1. April 2024 erfolgte.
2. Die Tat ist vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt.
3. Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Im Urteil bedarf es mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis.
B. Sachverhalt
Am 17. September 2022 gegen 23.00 Uhr führte der Angeklagte A ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet von Weiden i. d. Opf. insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C bestimmt. Als der A auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf dem Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, hat die Strafkammer nicht feststellen können.
C. Anmerkungen
Der A könnte sich wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis strafbar gemacht haben.
Dazu müsste der Tatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, 22, 23 Abs. 1 StGB erfüllt sein. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll.
Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum "Jetzt geht's los" überschreitet und objektiv seine Handeln ohne wesentlichen Zwischenschritte zum Taterfolg führen. A hatte zwar vor, das Marihuana an den C zu übergeben, durch das Bemerken der Polizei nahe ihm kam es allerdings noch nicht einmal zu dem Treffen mit ihm. Er hat somit nicht subjektiv die Schwelle zur Übergabe, also dem "Jetzt geht's los" überschritten und auch objektiv führt das Mitführen noch nicht zwingend zur strafbaren Übergabe. Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung. Die Grenze des unmittelbaren Ansetzens für das Versuchsstadium war hier demnach noch nicht überschritten.
Der Angeklagte könnte sich wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.
Da nach den Feststellungen des Landgerichts angesichts der konkreten Umstände der Tat damit zu rechnen war, dass das Cannabis nach dem Wegwerfen in die Verfügungsgewalt von konsum- oder abgabebereiten Dritten gelangte, gleichwohl das Marihuana zeitnah von der Polizei sichergestellt wurde, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gemacht. Dies gilt auch, falls der Angeklagte, als er sich des Marihuanas entledigte, hoffte, es nach der Kontrolle selbst wieder an sich nehmen zu können. Ein zielloses Handeln schließt ein Inverkehrbringen nicht aus.
D. In der Prüfung
§§ 34 KCanG, 22, 23 Abs. 1 StGB
1. Vorprüfung
a. Keine Vollendung
b. Strafbarkeit des Versuchs
2. Tatbestandsmäßigkeit
a. Tatentschluss
b. Unmittelbares Ansetzen (-)
§§ 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB (+)
E. Literaturhinweise
Vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Auflage 2023, §§22, 23 Abs. 1 Rn. 1-17.