Entscheidung der Woche 32-2024 (ÖR)
Elias El Bekkouri
Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt auch zur Beobachtung politischer Parteien.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: OVG NRW 5 A 1216/22; 5 A 1217/22; 5 A 1218/22
Fundstelle: https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/33_240702/5-A-1218_22-_AfD_.pdf
A. Leitsätze (gekürzt)
1. Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt auch zur Beobachtung politischer Parteien.
2. Die freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes konzentriert sich auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
3. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
4. Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen.
6. Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz zielt nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen n demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
8. Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung verpflichtet.
B. Sachverhalt
In dem Rechtsstreit ersucht die Klägerin "Alternative für Deutschland" eine Verurteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Einstufung der Klägerin als rechtsextremen Verdachtsfall zu unterlassen und alle damit verbundenen Vorgänge der Beobachtung, Speicherung oder Verarbeitung von Daten zu beenden. Ebenso fordert die Klägerin bei Zuwiderhandlungen der genannten Forderungen ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000.- Euro zu verhängen. Zuvor, am 20. Juni 2023, hatte das BfV die Einstufung der gesamten Partei, sowie der "JA" als rechtsextremistischen Verdachtsfall verkündet, was die Klägerin zur Verpflichtungsklage veranlasste. Die Einstufung wird durch das BfV mit einer zunehmenden Erkennbarkeit von verfassungsfeindlichen Strömungen innerhalb der Partei sowie der "JA", insbesondere aufgrund von Aussagen von Parteimitgliedern und ehemaligen Mitgliedern des "Flügels", begründet.
C. Anmerkungen
Die Klägerin hat keinen rechtlichen Anspruch auf ein Unterlassen der Beobachtung als rechtsextremen Verdachtsfall von Seiten des BfV. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch einen rechtswidrigen Eingriff fordert. Dass das Bundesamt gemäß der Rechtsgrundlage § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG dazu ermächtigt ist, verdächtige Parteien etc. zu beobachten, um einer Verbreitung von verfassungsfeindlicher und demokratiefeindlicher Gesinnung entgegenzuwirken, führt dementsprechend zum Ausschluss des Unterlassungsanspruchs. Die Erfassung, Verarbeitung und Einbehaltung relevanter Daten ist zur Beobachtung erforderlich, wodurch auch diese nicht rechtswidrig ist. Die Einstufung einer Partei als Verdachtsfall erfordert reelle Anhaltspunkte, die einen Verdacht sachlich untermauern. Das BfV konnte diesbezüglich nachweisen, dass Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen und eine Ausübung des Parteiprogramms auf verfassungsfeindliche Weise nicht ausgeschlossen werden kann; somit also eine potenzielle Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung besteht. Das BfV beweist u.A., dass nicht lediglich kritische Meinungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegen, sondern auch Bestrebungen zur Beseitigung dieser im Raum stehen. Die geschützte Stellung, welche politischen Parteien gem. Art. 21 GG zukommt, steht einer Beobachtung durch das BfV nicht entgegen, da dieses, anders als das BVerfG, nicht die Kompetenz besitzt eine Partei als verfassungswidrig zu erklären.
D. In der Prüfung
I. Zulässigkeit der Klage
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
2. Statthafte Klageart
3. Ordnungsgem. Widerspruchsverfahren
4. Klagefrist
5. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
II. Begründetheit
(P) Öffentlich-Rechtlicher Unterlassungsanspruch
E. Literaturhinweise