Entscheidung der Woche 32-2025 (ZR)

Kevin Riebe
Der erforderliche hinreichend substanziierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 S. 1 BGB kann insbesondere - muss aber nicht stets - durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert werden.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BGH VIII ZR 270/22
in: NJW-RR 2025, 716
NZM 2025, 470
BeckRS 2025, 9320
FD-MietR 2025, 009320
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Der erforderliche hinreichend substanziierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 S. 1 BGB kann insbesondere - muss aber nicht stets - durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert werden.
2. Vielmehr kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines - bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild - medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Daber kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.
B. Sachverhalt
Der Beklagte (B) ist seit Dezember 2006 Mieter einer Wohnung des Klägers (K) in Berlin. Am 30.04.2020 erklärte K schriftlich die Kundigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs zum 31.01.2021.
B widersprach der Kündigung unter Vorlage einer "Stellungnahme über Psychotherapie
seines sich als Psychoanalytiker bezeichnenden - Behandlers vom 20.11.2020. In der Stellungnahme, in deren Briefkopf die Tätigkeitsfelder des Behandlers u.a. als "Psychoanalyse" und "Psychotherapie (HPG [Anm. d. Red.: Heilpraktikergesetz])" bezeichnet sind, heißt es im Wesentlichen, seit Mitte Oktober 2020 fanden regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Patienten (B) statt. Er
leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilitat verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe wahrscheinlich zu einer deutlichen verschlechterung des Krankheitsbildes Die Stellungnahme des Behandlers bleibt insoweit pauschal; zum konkreten Ausmaß der Erkrankung und den zu erwartenden Folgen eines Umzugs äußert sich die Stellungnahme nicht.
C. Anmerkungen
Mit seinem Urteil konkretisiert der BGH die Anforderungen an die Fortsetzung eines Mietverhältnisses wegen unzumutbarer Härte gem. § 574 Abs. 1 BGB nicht nur hinsichtlich der vorgetragenen Härtegründe (vgl. BGH, 15.03.2017 - VIII ZR 270/15), sondern erstmalig auch zur Darlegungs- und Substantiierungspflicht des Mieters.
Ein hinreichend substantiierter Sachvortrag des Mieters zu einen gesundheitlichen
Härte erforderte bislang immer ein fachärztliches Attest.
Der BGH senkte nun die Anforderungen an den Sachvortrag. B komme nicht auf das Attest selbst, sondern vielmehr auf die konkreten Umstände und den Inhalt des (ausführlichen, qualifizierten) Attests an. Die Stellungnahme eines Behandlers (im Rahmen zulässiger Leistungen) genüge den Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Sachvortrag. Ein fachärztliches Gutachten kann, muss aber nicht die vorgebrachten Härtegründe untermauern.
In der Literatur wird dieses Urteil als Kompromiss zwischen der Vermeidung kosten- sowie zeitintensiver Gutachten einerseits und der, vor allem im psychosomatischen und psychatrischen Bereich, hohen Hürde eines Attests mit Prognose andererseits, das ebenso Haftungsrisiken nebst groben Schätzungen der Ärzte enthält.
D. In der Prüfung
Räumung und Herausgabe der Wohnung, § 546 1 BGB
I. Mietvertrag, § 535
II. Beendigung des Mietverhältnisses
Kündigungsfrist, § 573c I BGB
Kündigungsgrund, § 573 11, Il Nr. 2 BGB ("Eigenbedarf")
Fortsetzung wg. nicht zu rechtfertig. Härte, §§ 574, 574a BGB
a. Widerspruch d. ordentlichen Kündigung, § 574 I BGB
b. Fortsetzung des Mietverhältnisses, § 574a I 1 BGB
c. Interessenabwägung Mieter-Vermieter
aa. Darlegungs- bzw. Substantiierungspflicht des Mieters
(1) Fachärztliches Attest (-)
(2) Stellungnahme eines qualifizierten Behandlers
bb. (Deutlich) nicht nur typische Nachtelle eines Umzugs
cc. Schwere u. Grad der Wahrscheinlichkeit der Nachteile
E. Literaturhinweise
Mit weiteren Erläuterungen
RÜ 2025, 371 (m. Anm. Dr. Matthias Hünert)
Diskutiert in:
Decklink 4034401
Fachdienst Medizinrecht 2025, 809503
GE 2025, 540
WuM 2025. 3441
Zur Vertiefung:
NZM 2024, 673 (zu Eigenbedarf und Härtefallwiderspruch)
