Entscheidung der Woche 33-2019 (ÖR)
Alina Amin
Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim Motorradfahren zu befreien.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BVerwG, Urt. v. 04.07.2019- 3 C 24.17
in: https://www.bverwg.de/pm/2019/54 (Pressemitteilung)
A. Orientierungssatz
Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim Motorradfahren zu befreien.
B. Sachverhalt (verkürzt)
K stellte bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelmes. Zur Begründung teilt er mit, er sei als Sikh aus religiösen Gründen Träger eines Turbans und es sei ihm nicht möglich, den Helm und seinen Turban gleichzeitig zu tragen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, eine Ausnahmegenehmigung könne nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Die Schutzhelmtragepflicht diene dem Schutz des Kraftfahrers vor schweren Körperverletzungen und stelle keinen unzulässigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit oder freie Religionsausübung dar. Der ordnungsgemäß erhobene Widerspruch wird zurückgewiesen.
Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO sei die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt, wobei an den Nachweis solcher Dringlichkeit strenge Anforderungen zu stellen seien. Die Ausnahmegenehmigung setze Gründe voraus, die das öffentliche Interesse an dem Gebot überwiegen. Explizit vorgesehen sei das Erteilen einer Ausnahmegenehmigung aus gesundheitlichen Gründen. Mit form- und fristgerecht erhobener Klage begehrt K die Verpflichtung der Behörde, ihm die beantragte Ausnahme von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Führen eines Kraftrads zu genehmigen.
C. Anmerkungen
Das BVerwG hat die Revision des Klägers, mit der er eine Verpflichtung auf die Erteilung der Ausnahmegenehmigung begehrte, zurückgewiesen. Die in § 21a Abs. 2 StVO angeordnete Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu tragen, könne den Kläger als gläubigen Sikh mittelbar in seiner Religionsausübungsfreiheit beeinträchtigen. Er werde hierdurch aber nicht an der Praktizierung seines Glaubens gehindert. Um der, von ihm als zwingend erachteten religiösen Vorschrift des Turbans zu folgen, müsse er dann auf das Motorradfahren verzichten. Die Helmpflicht soll nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte schützen. Sie könnten durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem nicht mit einem Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden.
Ein durch Helm geschützter Motorradfahrer werde zudem im Fall eines Unfalls eher in der Lage sein, zur Rettung anderer Personen beizutragen, etwa indem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder Rettungskräfte ruft. Daher ist die Einschränkung auch mit Blick auf die durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützte Religionsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt und vom Kläger hinzunehmen, weil sie anderen Rechtsgütern Dritter dient. Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht könne daher allenfalls bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Anhaltspunkte hierfür habe der Kläger, der über eine Fahrerlaubnis zum Führen von Pkw verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt.
D. In der Prüfung
§ 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b Alt. 2 StVO
I. Tatbestand
II. Ermessen
a) Ermessensreduktion auf Null
aa) Glaubensfreiheit
(1) Eingriff in Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG
(2) Rechtfertigung
bb) Selbstbindung der Verwaltung
b) Ermessensfehler
E. Zur Vertiefung
Zur Ermessenentscheidung bei gesundheitlichen Hinderungsgründen: BVerwG, Beschl. v. 08.02.2017 – 3 B 12.16.