Entscheidung der Woche 33-2020 (SR)
Celina Weddige
Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ein einmal begründeter Gewahrsam besteht fort, solange der Gewahrsamsinhaber noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sache hat. Entscheidend für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist...
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH 5 StR 10/20
in: NStZ 2020, 483
BeckRS 2020, 9016
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ein einmal begründeter Gewahrsam besteht fort, solange der Gewahrsamsinhaber noch Einwirkungsmöglichkeiten auf die Sache hat. Entscheidend für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist, dass der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob die tatsächliche Sachherrschaft vorliegt […], bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens.
2. Von einem Gewahrsamsverlust ist auszugehen, wenn der Gegenstand in einem öffentlichen, mithin für jede Person zugänglichen Bereich liegt und der ortsabwesende Geschädigte nicht in der Lage ist, auf die Sache einzuwirken und so die Sachherrschaft gemäß seinem Willen auszuüben.
B. Sachverhalt
A und B begegnen C spät abends auf einer Straße. C fragt A, ob dieser ihm Drogen verkaufen könne, woraufhin es zwischen A, B und C zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt. Verletzt wird dabei niemand. Aller-dings beschließt C während des Gerangels zu fliehen, wobei er sein Handy im Wert von ca. 20 € verliert. Dies bemerkt er zwar, jedoch möchte er erst später wieder an die Straße zurückkehren, um sein Handy zu holen. A und B setzen ihren Spaziergang fort und kommen auf dem Rückweg wieder an dieser Straße vorbei. Dabei entdeckt A zufällig das Handy des C und entschließt sich, dieses einzustecken und zu behalten.
Hat sich A wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?
C. Anmerkungen
Der Auffassung des LG Dresden, wonach ein Diebstahl gem. § 242 Abs. 1 StGB gegeben sei, stimmte der BGH nicht zu.
Anders als vom LG Dresden angenommen sei kein Gewahrsam gebrochen worden, weswegen lediglich eine Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB anzunehmen sei. Der BGH betonte dabei, dass auch kein gelockerter Gewahrsam des C vorgelegen habe. C war weder an der Straße, in der er das Mobiltelefon verloren hatte, noch konnte er weiterhin auf dieses einwirken. So konnte A das Handy ungehindert aufheben und einstecken, ohne dass C auf diese Handlungen Einfluss nehmen konnte.
Damit liege der vom LG Dresden noch angenommene gelockerte Gewahrsam gerade nicht vor. C verlor das Mobiltelefon in einer Straße, also in einem für jedermann zugänglichen öffentlichen Raum. Aufgrund seiner Abwesenheit konnte C dort keine Sachherrschaft mehr über das Handy ausüben.
Daher sei die Annahme eines Gewahrsamsbruchs und Diebstahls auf Grundlage der vom LG Dresden getroffenen Feststellungen nicht haltbar. Vielmehr sei eine (Fund-)Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB gegeben.
D. In der Prüfung
A. Strafbarkeit des A gem. § 242 Abs. 1 StGB
(-) mangels Gewahrsamsbruchs
B. Strafbarkeit des A gem. § 246 Abs. 1 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde bewegliche Sache
b) Zueignung
aa) Aneignungsvorsatz
bb) Enteignungsvorsatz
c) Manifestation des Zueignungs-willens
d) Rechtswidrigkeit der Zueignung
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
E. Zur Vertiefung
Bosch in: Schönke/Schröder, Strafgesetz-buch, 30. Auflage 2019, § 242 Rn. 25ff., insbe-sondere Rn. 28.