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Entscheidung der Woche 33-2021 (ZR)

Jari Kohne

Eine Zeitung mit unrichtigem Gesundheitstipp ist kein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der Produkthaftung.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: EuGH C-65/20

in: NJW 2021, 2015

K&R 2021, 487

RIW 2021, 516

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Eine Zeitung mit unrichtigem Gesundheitstipp ist kein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der Produkthaftung.


B. Sachverhalt (im Original nach österreichischem Recht)

Eine Zeitung veröffentlichte in der Rubrik „Hing‘schaut und g‘sund g‘lebt“ einen Artikel über die Vorzüge einer Auflage aus geriebenem Kren (Meerrettich). Dieser Artikel wurde unter dem Namen eines Ordensmitglieds, nämlich des Kräuterpfarrers Benedikt, veröffentlicht, der als Experte auf dem Gebiet der kräuterkundlichen Heilkunst in einer von der Zeitung täglich veröffentlichten Kolumne unentgeltlich Ratschläge erteilt.

Der Artikel hatte folgenden Text: „Frisch gerissener Kren kann mithelfen, die im Zuge von Rheuma auftretenden Schmerzen zu verringern. Die betroffenen Zonen werden vorher mit einem fettigen pflanzlichen Öl oder mit Schweineschmalz eingerieben, bevor man den geriebenen Kren darauf legt und anpresst. Diese Auflage kann man durchaus zwei bis fünf Stunden oben lassen, bevor man sie wiederum entfernt.“

Die im Artikel angeführte Dauer für die Auflage von zwei bis fünf Stunden war jedoch unrichtig; anstelle von „Stunden“ hätte es „Minuten“ heißen müssen. Die Klägerin, die auf die Richtigkeit der im Artikel angeführten Behandlungsdauer vertraute, brachte Kren an ihrem Fußgelenk auf, beließ ihn dort für etwa drei Stunden und entfernte ihn erst, als es bereits zu starken Schmerzen aufgrund einer toxischen Hautreaktion gekommen war.

Die Klägerin begehrt vom Zeitungsverleger Schadensersatz aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHG.


C. Anmerkungen

Ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHG setzt voraus, dass die Zeitung mit dem Artikel über die Meerrettich-Auflage ein fehlerhaftes Produkt iSv § 3 ProdHG ist. IdS fehlerhaft ist ein Produkt, wenn es bei seiner Benutzung nicht die erwartbare Sicherheit bietet. Paradigma aus der Vorlesung ist der Toaster, der beim Toasten in Flammen aufgeht. Schwierig zu beurteilen und in der Literatur umstritten ist aber die Frage, wann ein Produkt, dessen Zweck die Informationsvermittlung ist (etwa eine Zeitung), fehlerhaft ist. Man könnte sich einerseits auch hier auf die Sicherheit der Substanz des Produktes beschränken (zB giftige, hautirritierende Tinte). Andererseits wäre aber auch denkbar, die Frage der Fehlerhaftigkeit auf die in der Zeitung stehenden Informationen zu erstrecken. Der Leser darf wohl erwarten, dass ein in einer Zeitung abgedruckter Gesundheitstipp eines „Kräuterpfarrers“ jedenfalls keine unmittelbaren Gesundheitsschäden hervorruft. Vor dem Hintergrund könnte es nahliegen, die „Fehlerhaftigkeit“ auch auf den Inhalt der Zeitung zu erstrecken. In der Literatur wurde dem oft entgegenhalten, eine geistige Leistung könne schon dem Wortlaut nach kein „Produkt“ sein. Andere wiesen hingegen darauf hin, dass kaum bestritten werden könne, dass die Zeitung eine „bewegliche Sache“ sei und damit der Produktdefinition des § 2 ProdHG unterfalle. Als Haftende in Betracht kämen darüber hinaus nicht nur der Autor, sondern auch Verlag und Druckerei. Die Wortlautgrenze stehe einer Erstreckung der Produkthaftung auf den geistigen Inhalt einer Zeitung daher nicht entgegen.

Das ProdHG setzt die europäische Produkthaftungsrichtlinie um. Über deren Auslegung hatte der EuGH vorliegend zu entscheiden und setzt ebenfalls an der Definition eines Produkts als „bewegliche Sache“ an. Zusätzlich greift er aber auf die Erwägungsgründe der Produkthaftungsrichtlinie zurück: Aus diesen ergebe sich, dass der Richtliniengeber an solche beweglichen Sachen gedacht habe, die industriell hergestellt oder bei der Errichtung von Bauwerken verwendet werden. Demnach solle eindeutig nur für aus der Substanz von Produkten hervorgehende Schäden gehaftet werden. Produkte seien insofern von Dienstleistungen abzugrenzen, auf welche sich die Produkthaftungsrichtlinie nicht erstrecke. Ein Gesundheitstipp stelle aber gerade eine Dienstleistung dar. Diese sei zwar durch den Abdruck in der Zeitung in ein Produkt aufgenommen. Zu einer Fehlerhaftigkeit der Zeitung könne diese in die Zeitung aufgenommene Information aber nur führen, wenn sie eine Auswirkung auf die von der Zeitung selbst ausgehenden Gefahren habe, also etwa Vorgaben zu ihrem Gebrauch mache. Letzteres ist hier nicht der Fall. Damit handelt es sich bei dem Gesundheitstipp um eine von der Zeitung getrennt zu betrachtende Dienstleistung. Die Zeitung ist daher kein fehlerhaftes Produkt. Ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHG scheidet aus.


D. In der Prüfung

§ 1 Abs. 1 S. 1 ProdHG

1. Produkt

2. Fehler (P)


E. Zur Vertiefung

Kompakt zur Haftung nach ProdHG: Buck-Heeb, Examens-Repititorium Besonderes Schuldrecht 2, 7. Aufl. 2019, Rn. 252ff;

Schematische Übersicht Haftungstatbestände ProdHG: Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 23 Rn. 23f.

 
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