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Entscheidung der Woche 35-2023 (SR)

Anna Oleszewski

§ 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst zum Gebrauch mitgeführten Gegenstände, die dazu geeignet sind, den Widerstand des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung zu überwinden. Auch Scheinwaffen zählen hierunter.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH, Beschl. v. 28.03.2023 - 4 StR 61/23

in: BeckRS 2023, 8071

BGH RÜ 2023, 512

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze (der Redaktion)

1. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst zum Gebrauch mitgeführten Gegenstände, die dazu geeignet sind, den Widerstand des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung zu überwinden. Auch Scheinwaffen zählen hierunter.

2. Darunter fallen jedoch nicht solche Gegenstände, die für einen objektiven Beobachter nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ungefährlich sind. Objektiv ungefährliche Gegenstände sind nicht geeignet in irgendeiner Weise mit ausreichender Intensität auf den Körper des Opfers einzuwirken. Vielmehr steht die Täuschung des Opfers im Vordergrund.

3. Eine Luftpumpe ist kein derartiger ungefährlicher Gegenstand.

B. Sachverhalt

Der Angeklagte wollte der Geschädigten, welche sich in Begleitung von zwei Freunden im Eingangsbereich einer Gaststätte befand, die Handtasche entwenden. Um an das darin befindliche Bargeld und Wertgegenstände zu gelangen, fasste er den Beschluss die Geschädigte und ihre zwei Freunde zu bedrohen, indem er eine Luftpumpe nach Art eines Gewehrs vor sich hielt. Dadurch wollte er erreichen, dass die drei in der irrigen Annahme, es handle sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seinen Forderungen nachkommen würden. Der Angeklagte hielt die Luftpumpe wie ein Gewehr mit ausgezogenem Kolben im Abstand von 20-30 cm vor das Gesicht der Geschädigten und forderte sie auf, in das Lokal zu gehen. Wie von dem Angeklagten beabsichtigt, erkannten weder die Geschädigte noch ihre Freunde, dass es sich nicht um ein Gewehr, sondern um eine Luftpumpe handelte und flohen in das Lokal. Der Angeklagte nahm nunmehr die Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er die Tasche wieder wegwarf, entnahm er ihr das Bargeld und die Wertgegenstände, um diese zu behalten.

C. Anmerkungen

Der BGH hat einen schweren Raub gem. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB bejaht. Der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, als auch sog, Scheinwaffen, d.h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird. Ausgenommen sind hiervon jedoch solche Gegenstände, die schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken.

Ein solcher Fall der objektiven Ungefährlichkeit liegt hier jedoch nicht vor. Die von Angeklagten verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können. Der Gegenstand war "seiner Art nach" dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB den Sinn des Gesetzes verfehlen würde. Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder "Scheinwaffe" im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt.

Diese Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die Ausbildung. Dabei ist in erster Linie an die Labello-Entscheidung zu denken. Der Luftpumpe und dem Labello ist zwar gemein, dass sie täuschend echt als Scheinwaffe eingesetzt werden, allerdings könnte die Luftpumpe tatsächlich auch als Schlagwerkzeug verwendet werden und das Opfer hierdurch bedroht werden. Einem Labello muss diese Fähigkeit in jedem Fall abgeschrieben werden.

D. In der Prüfung

I. § 249 Abs. 1 StGB

1. Fremde bewegliche Sache

2. Wegnahme

3. Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels

4. Kausalität

5. Objektive Zurechnung

6. Vorsatz

7. Rechtswidrigkeit und Schuld

II. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB

III. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB

1. Beisichführen eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs

2. Kausalität

3. Objektive Zurechnung

4. Vorsatz

5. Rechtswidrigkeit und Schuld

E. Literaturhinweise

BeckOK StGB/Wittig StGB § 250 Rn. 7, 7;

MüKoStGB/Sander StGB § 250 Rn. 42.

 

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