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Entscheidung der Woche 36-2020 (SR)

Lucas Haak

Auch bezüglich der Frage, ob im Hinblick auf eine sukzessive Mittäterschaft eine Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände noch möglich ist, weil der Hinzutretende noch selbst einen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Beitrag (in Person oder durch einen anderen) leistet...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 4 StR 583/19

in: BeckRS 2020, 4198

RÜ 2020, 303 ff.

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Auch bezüglich der Frage, ob im Hinblick auf eine sukzessive Mittäterschaft eine Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände noch möglich ist, weil der Hinzutretende noch selbst einen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Beitrag (in Person oder durch einen anderen) leistet, oder ob der Hinzutretende die weitere Tatausführung gar nicht mehr fördern kann, […] weil das Tun des Eintretenden auf den weiteren Ablauf des tatbestandsmäßigen Geschehens ohne jeden Einfluss bleibt, ist der Grundsatz in dubio pro reo zu beachten.


B. Sachverhalt (vereinfacht)

A will O töten, weil dieser Schulden aus Drogenkäufen nicht zurückzahlt. Er schlägt mit einem Baseballschläger mit voller Wucht gegen dessen linke Kopfseite. Anschließend fordert A seinen – sich zunächst nur passiv verhaltenden – Kumpel B auf, mitzumachen. B zieht ein Messer mit ca. 10 cm langer Klinge aus der Jackentasche und sticht mit Tötungsvorsatz in Brust- und Bauch-bereich des am Boden liegenden und noch röchelnden O, welcher kurz darauf am Tatort verstirbt. Seine Leiche wird erst ein Jahr nach der Tat gefunden. Zu diesem Zeitpunkt kann die genaue Todesursache nicht mehr festgestellt werden. O war entweder durch die Schläge des A oder infolge innerer Blutungen aufgrund der Mes-serstiche gestorben.

Wie hat sich B nach dem StGB strafbar gemacht?

Anm.: Die §§ 211, 223ff. StGB sind nicht zu prüfen.


C. Anmerkungen

B könnte sich wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit dem Messer auf O einstach. Fraglich ist aber, ob der Tod des O dem B zurechenbar ist. Vorausset-zung hierfür ist, dass die Messerstiche als Tathandlung an den Tod des O als Taterfolg geknüpft werden können. Nach der Bedingungstheorie der Rspr. dürfte die Handlung nicht hinweggedacht werden, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Messerstiche tatsächlich die ursächliche Bedingung für den Todeseintritt waren. Möglich wäre auch, dass allein die Schläge des A zum Tod des O geführt haben. In dubio pro reo ist daher anzunehmen, dass keine Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie vorliegt. Zu einem anderen Ergebnis kommt auch die in der Lit. vertretene Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung nicht, nach der eine Handlung Ursache des Erfolges ist, wenn dieser mit dem Handeln durch eine unun-terbrochene Reihe von Veränderungen naturgesetzlich verbunden ist. Denn auch hier muss gelten, dass der Tod des O im Zweifel ohne die Stiche des B eingetreten wäre.

Indes könnte eine Strafbarkeit des B gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB vorliegen, sofern A und B die Handlungen des jeweils anderen gem. § 25 Abs. 2 StGB zurechenbar sind. Zwar kann der dafür erforderliche gemeinsame Tatplan auch während der Ausführung konkludent zustande kommen. Fraglich ist aber, ob eine gemeinsame Tatausführung i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB noch möglich ist, wenn ein Mittäter schon vor dem gemeinsamen Tatentschluss mit der Tatbestands-verwirklichung begonnen hat. In Betracht kommt eine sukzessive Mittäterschaft. Diese liegt vor, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen tatbestandsmäßigen Handelns in das Geschehen als Mittäter eingreift. Eine Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände ist jedoch nur möglich, wenn der Hinzutretende selbst einen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Beitrag leistet. Zwar ist eine kausale Verknüpfung zwischen den Messerstichen und dem Taterfolg nicht auszuschließen.

In dubio pro reo ist jedoch davon auszugehen, dass allein die Schläge des A den Tod des O verursacht haben. Konsequenterweise muss dies auch hinsichtlich der sukzessiven Mittäterschaft gelten. Demnach hat A bereits alles für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges getan. Bleibt das Tun des B jedoch ohne jeden Einfluss auf Tatgeschehen und -erfolg, so muss eine mittäterschaftliche Mitwirkung des B trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch A geschaffenen Lage ausscheiden. Mangels gemeinsamer Tatausführung entfällt daher auch eine Strafbarkeit des B wegen §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB.

Da B aber mit Tatentschluss im Moment des Zustechens gem. § 22 StGB unmittelbar zur Tat angesetzt hat, hat er sich gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.


D. In der Prüfung

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Taterfolg

b. Tathandlung

(P) Gemeinsame Tatausführung


E. Zur Vertiefung

Joecks/Scheinfeld in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 25 StGB Rn. 205-213.

 

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