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Entscheidung der Woche 36-2025 (SR)

Anna Lange

Ein medizinisches Instrument, geführt von einem approbierten Arzt im Rahmen eines indizierten Eingriffs, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az: BayObLG, Urteil vom 19.03.2024 - 205 StRR 8/24

in: openJur 2025, 1024

RDG 2024. 148

MedR 2024, 885

BeckRS 2024, 5578

A. Orientierungs- oder Leitsätze

Ein medizinisches Instrument, geführt von einem approbierten Arzt im Rahmen eines indizierten Eingriffs, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein.


B. Sachverhalt

Der Angeklagte, ein approbierter Augenarzt, erlitt einen Schlaganfall mit erheblichen körperlichen Einschränkungen. Nach seiner Behandlung und Entlassung litt der Angeklagte weiterhin an einer spastischen sensomotorischen Hemiparese rechts, was sich u.a. in einer Tiefensensibilitätsstörung der rechten Hand auswirkt. Die Motorik der rechten Hand ist deutlich gestört. Trotz dieser Einschränkungen führte der Angeklagte nach einiger Zeit wieder eigenständig ambulante Augenoperationen durch, wobei bei Durchführung dieser zur Bedienung der medizinischen Instrumente beide Arme und Beine eingesetzt werden müssen. Vor allem die "Haupthand", mit welcher der öffnende Schnitt an der Hornhaut mittel eines Skalpells vorgenommen wird, muss hierbei exakt geführt werden können. Der Angeklagte war aufgrund seiner durch den Schlaganfall erlittenen Einschränkungen objektiv ungeeignet, Augenoperationen durchzuführen. Dies erkannte der Angeklagte. Eine Aufklärung seiner Patienten über seine Einschränkungen erfolgte trotz allem nicht.


C. Anmerkungen

Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB sowie schwerer Körperverletzung verurteilt.

Ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung geeignet ist, im konkreten Fall erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

Maßgeblich für die Gefährlichkeit des Werkzeugs sei nicht eine generelle Gefahreneignung, sondern die konkrete Anwendung irgendeines Gegenstandes, unabhängig ob dieser gefährlich oder ungefährlich ist. Mithin bestimme sich die Gefährlichkeit allein verwendungsabhängig. Ferner seien die Umstände des Einzelfalls, etwa die Konstitution des Opfers, die betroffenen Körperteile sowie die Intensität des Einsatzes des Werkzeugs, zu berücksichtigen, sofern mit der Anwendung die Gefahr einer erheblichen Verletzung einhergeht.

Das Gericht hat festgestellt, dass sowohl der Einsatz des Skalpells als auch der in einem Fall erfolgte Einsatz einer Schere die Qualifikation des gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB erfülle. Wenn die Konstitution des Opfers Auswirkungen auf die Bewertung des Gegenstandes als gefährliches Werkzeug haben kann, müsse dies umgekehrt auch für die Konstitution des Angeklagten gelten. Der Einsatz eines Skalpells und einer Schere müsse lege artis erfolgen. Mithin müsse derjenige, der sie verwendet, in der Lage sein, diese ordnungsgemäß und fachgerecht einzusetzen. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen infolge des erlittenen Schlaganfalls verneinte das Gericht einen ordnungsgemäßen und fachgerechten Gebrauch des Skalpells und der Schere durch den Angeklagten.

Folglich sind das Skalpell und die Schere in der Hand des Angeklagten als gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB einzuordnen; der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen.


D. In der Prüfung

A. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 226 StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand des Grunddelikts und der Qualifikation

a. Grundtatbestand des § 223 StGB

aa. Körperliche Misshandlung und/oder Gesundheitsschädigung

bb. Zwischenergebnis

b. Qualifikationstatbestand des § 224 StGB

aa. Mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB

bb. Zwischenergebnis

2. Subjektiver Tatbestand

3. Erfolgsqualifikation des § 226 StGB

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld


E. Literaturhinweise

Nussbaum, JR 2023, 57ff.

Kindhäuser /Neumann/Paeffgen/Saliger / Paeffgen/Böse/Eidam, StGB, 6. Auflage 2023, § 224 Rn. 12ff.


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