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Entscheidung der Woche 37-2021 (SR)

Johanna Lange

§ 306e I StGB ist auf die Qualifikation des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB analog anzuwenden, wenn der Täter – anstatt den Brand zu löschen – die (konkrete) Lebensgefahr für das Opfer freiwillig durch anderweitige Rettungshandlungen beseitigt.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 1 StR 118/20

in: NJW 2020, 2971

NZM 2020, 849

BeckRS 2020, 20190

NStZ 2021, 290

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

§ 306e I StGB ist auf die Qualifikation des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB analog anzuwenden, wenn der Täter – anstatt den Brand zu löschen – die (konkrete) Lebensgefahr für das Opfer freiwillig durch anderweitige Rettungshandlungen beseitigt.


B. Sachverhalt

Der Angeklagte und die Geschädigte verabredeten sich, um sich gemeinsam das Leben zu nehmen. Sie hielten sich in dem Wohnwagen des Angeklagten auf, in dem dieser Benzin verteilte und anschließend entzündete. Sofort fing die Einrichtung des Wohnwagens Feuer und die Flammen breiteten sich unkontrolliert aus. Der Fluchtweg durch die Eingangstür wurde dadurch versperrt und das Feuer griff auf den in unmittelbarer Nähe des Wohnwagens geparkten PKW des Angeklagten über. Der Angeklagte entschloss sich in dieser Situation doch, die Geschädigte und sich selbst zu retten. Er half der Geschädigten aus dem Frontfenster des Wohnwagens hinaus, ehe er sich selbst rettete. Daraufhin brannten Wohnwagen und der PKW in kürzester Zeit vollständig aus. Die Geschädigte erlitt etliche Verbrennungen, aufgrund dessen sie ins Krankenhaus musste.


C. Anmerkungen

Der § 306e StGB erfordert nach dem Wortlaut der Vorschrift ein freiwilliges Löschen des Brandes, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Jedoch könnte aufgrund der Beseitigung der konkreten Gefahr für das Leben der Geschädigten eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 StGB in entsprechender Anwendung des § 306e StGB in Betracht. Problematisch ist jedoch zunächst, ob § 306e StGB auch für die Qualifikationstatbestände des § 306a Abs. 2 StGB und des § 306e StGB in Betracht. Problematisch ist jedoch zunächst, ob § 306e StGB auch für die Qualifikationstatbestände des § 306a Abs. 2 StGB und des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar ist und der Täter auch durch Abwenden der Gefahr Straffreiheit oder eine Strafmilderung erlangen kann.

Eine Ansicht verneint bereit die Anwendbarkeit des § 306e StGB, da dieser auf den Schaden an den angezündeten oder durch Brandlegung zerstörten Gegenständen abstelle und aufgrund des Wortlautes daher nicht die Beseitigung der Gesundheits- oder Lebensgefahr als Ansatzpunkt für die tätige Reue dienen könne. Eine andere Ansicht bejaht die analoge Anwendung aufgrund der bestehenden Möglichkeit, das geschützte Rechtsgut (Gesundheit oder das Leben der anderen Person) durch eine andere Handlung als das Löschen des Brandes zu retten. Eine dritte Ansicht befürwortet eine analoge Anwendung von § 314a Abs. 2, 3, § 320 Abs. 2, 3 StGB in der Konstellation, dass der Täter andere Maßnahmen zur Rettung der gefährdeten Person unternimmt.

Aus systematischen Erwägungen und aufgrund des Sinn und Zwecks der tätigen Reue befürwortet der BGH eine analoge Anwendbarkeit des § 306e StGB. Um die analoge Anwendung annehmen zu können, muss ein Blick in die Gesetzesbegründung und die Geschichte der Brandstiftungsdelikte geworfen werden. Es lasse sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass eine Anwendung des § 306e StGB auf die § 306a Abs. 2, § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB ausgeschlossen werden sollte. Die als unübersichtlich kritisierten Brandstiftungsdelikte sollten im Zuge des sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts insgesamt umgestaltet werden. Die tätige Reue sollte dadurch einheitlich in § 320 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 3 Nr. 1 StGB-E geregelt werden. Jedoch wurde auch dieser Weg anhaltend kritisiert und das Institut der tätigen Reue schließlich weiterhin kleinteiliger geregelt und nicht, wie zunächst angedacht, einheitlich für den gesamten Abschnitt „Gemeingefährliche Straftaten“. Durch die in § 306e StGB gewählte Formulierung sei so eine planwidrige Regelunglücke für Handlungen entstanden, die die Gefahr effektiver beseitigen als das Löschen des Brandes. Da das Löschen des Brandes lediglich einen besonderen Fall der Gefahrabwendung darstelle, sei auch eine Ähnlichkeit des gesetzlich nicht geregelten Falls mit dem gesetzlich geregelten Fall gegeben. Das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG stehe dieser Lösung nach herrschender Meinung nicht entgegen, da sich die Analogie zugunsten des Täters auswirkt.

Das Fortbringen aus dem Wagen war die effektivste und einzige Möglichkeit zur Gefahrbeseitigung. Der Angeklagte zeigte auf diese Weise tätige Reue nach § 306e StGB analog.


D. In der Prüfung

Strafbarkeit gem. § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB

A. Tatbestand

I. Grunddelikt

II. Gefahr des Todes eines anderen Menschen (Nr. 1)

B. Rechtswidrigkeit

C. Schuld

D. Tätige Reue, § 306e StGB


E. Zur Vertiefung

Beukelmann, Tätige Reue bei besonders schwerer Brandstiftung, NJW-Spezial 2020, 601;

Heintschel-Heinegg, BGH bejaht eine Analogie zugunsten des Täters – Wann hat es das schon mal gegeben?, JA 2020, 954.

 

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