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Entscheidung der Woche 37-2022 (ÖR)

Lisa Mariß

Um dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bei der Anwendung des § 44 a VwGO gerecht werden zu können bedarf es einer weiten Auslegung der Ausnahmevorschriften des § 44 a S. 2 VwGO.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerfG, Beschluss vom 14.01.2022 – 2 BvR 1528/21

in: NVwZ 2022, 401

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Um dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bei der Anwendung des § 44 a VwGO gerecht werden zu können bedarf es einer weiten Auslegung der Ausnahmevorschriften des § 44 a S. 2 VwGO. Die dort genannten Fallgruppen sind daher um weitere Konstellationen zu erweitern, in denen ebenfalls strukturell die Gefahr von Rechtsschutzdefiziten im Hinblick auf allein durch Verfahrenshandlungen ausgelöste Rechtsnachteile besteht. Der § 44 a VwGO bedarf daher im Einzelfall der verfassungskonformen Auslegung.


B. Sachverhalt

Im April 2021 ordnete die Deutsche Telekom AG bei der Bundesbeamtin A eine ärztliche Untersuchung an, da Zweifel an ihrer Dienstfähigkeit bestünden. A erhob gegen diese Anordnung Widerspruch und beantragte am gleichen Tag vor dem Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Untersuchungsanordnung sei isoliert anfechtbar und verletze sie in ihrem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Antrag der A hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Verwaltungsgerichtsbeschluss änderte dies. A erhob somit im August 2021 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Verfassungsbeschwerde und rügt darin eine Verletzung von Art. 33 Abs. 5, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.


C. Anmerkungen

Die Verfassungsbeschwerde der A ist zulässig. Der Schwerpunkt soll hier in der Begründetheit die Prüfung der Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG darstellen. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ist auch im Rahmen der Auslegung des § 44a VwGO hinreichend Rechnung zu tragen. Der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen (vgl. § 44 a VwGO) dient vor allem der Verfahrensbeschleunigung und damit jedenfalls auch der Gewährleistung effektiven, zügigen Rechtsschutzes, darf aber für die Rechtsschutzsuchenden nicht zu irreversiblen gewichtigen Nachteilen führen, die im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die abschließende Sachentscheidung nicht mehr beseitigt werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Oktober 2020 klargestellt, dass eine solche Untersuchungsanordnung in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreift. Die Anforderungen an eine Untersuchungsanordnung bedürfen daher hinreichendem Anlass, welche dem Beamten noch vor dem Untersuchungstermin mitzuteilen sind, um ihm den effektiven Rechtsschutz bereits vor Durchführung gewähren zu können.

Den Verweis, dass der Beamte auch im Rahmen eines möglichen Zurruhesetzungsverfahrens nachträglichen Rechtsschutzes ersuchen kann genügt nicht. So ist das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung verwertbar. Selbst bei einem positiven Ergebnis bzgl. der Dienstfähigkeit bestünde kein ausreichender Rechtsschutz, da keine Zurruhsetzungsverfügung erlassen werden würde und damit kein Rechtsweg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsordnung offen stünde. Ebenso sei für den Beamten nicht prognostizierbar, ob eine Anordnung nun rechtmäßig sei oder nicht, sodass dieser das Prognoserisiko zu tragen hätte. Bei Nichtbefolgung der Anordnung müsste der Beamte allerdings mit Sanktionen rechnen, da das Nichtbefolgen einer Weisung ein Dienstvergehen darstellt und ein dienstrechtliches Verfahren mit sich ziehen kann.

Der Fall zeigt die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG in der konkreten Fallbearbeitung. Die Rechtsfolge des effektiven Rechtsschutzes führt hier zur im Einzelfall gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 44a VwGO.


D. In der Prüfung

Art. 19 Abs. 4 GG

I. Anspruchsvoraussetzungen

1. Jemand

2. Öffentliche Gewalt

3. Rechtsverletzung

II. Rechtsfolge


E. Literaturhinweise

Krugmann, Die Rechtsweggarantie des GG – Zum Gebot eines qualitativen Rechtsschutzes, ZRP 2001, 306.

 

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