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Entscheidung der Woche 37-2024 (SR)

Cora Strecker

§ 239a StGB schützt nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BGH, Urt. v. 23.1.2024 1 StR 189/23

Fundstelle: NStZ 2024, 485, NJW 2024, 1357, BeckRS 2024, 6496

 

A. Orientierungs- oder Leitsätze

1. § 239a StGB schützt nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität.

2. Der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche Gefahrzusammenhang ist auch dann gegeben, wenn der Tod als Folge der dem Opfer widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt.


B. Sachverhalt

Der gemeinsame Tatplan von A und B sah vor, dass B den O durch eine Drohung oder notfalls auch durch erhebliche körperliche Gewalt zur Herausgabe seiner Wertgegenstände zwingt. Sie hofften, dass sich das als erheblich eingeschätzte – und in Kauf genommene – Todesrisiko des O nicht verwirklichen würde. Aufgrund der Bekanntschaft zwischen A und O sollte die Tat von B allein ausgeführt werden. B betrat die Wohnung des O, packte ihn von hinten, hielt ihm den Mund zu und forderte Geld. O biss dem B in die Hand, woraufhin B den O zu Boden brachte und überwältigte. O erklärte sich nun bereit, sein Geld herauszugeben. Währenddessen betrat A das Haus, der sich entschlossen hatte, den O zu töten, weil er der Meinung war, von O erkannt worden zu sein. Mit der Tötung wollte A verhindern, dass O ihn anzeigen werde. A brachte O zu Boden und würgte ihn mindestens zwei Minuten lang, wodurch dieser infolge des verursachten Sauerstoffmangels verstarb. B, der zunächst mit einem Angriff auf das Leben des O nicht gerechnet hatte, erkannte spätestens nach einer Minute, dass A den O bis zum Tode würgen würde. B blieb untätig, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, A von der weiteren Tatausführung abzuhalten.


C. Anmerkungen

Der BGH bestätigte vorliegend eine Strafbarkeit des B wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge in Tateinheit mit räuberischer Erpressung gem. § 239a Abs. 1, Abs. 3, §§ 253, 255, 52 StGB. B hat durch das Sich-Bemächtigen des O eine Gefahrenlage für diesen geschaffen, die sich durch die spätere Eskalation im Tod des Opfers verwirklichte, sodass dem B die Todesfolge zuzurechnen ist. Für die Erfolgsqualifikation gem. § 239a Abs. 3 StGB ist Leichtfertigkeit erforderlich, die vorliegt, wenn der Täter die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn außer Acht lässt.

Zu beachten ist dabei der Grad der Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts, d.h. inwieweit sich die Gefahr aufdrängen musste. Hier lag die Möglichkeit eines eskalierenden und tödlichen Verlaufs von Beginn an auf der Hand. Kritisiert wird u.a. die Feststellung des BGH bzgl. des für § 239a Abs. 3 StGB erforderlichen gefahrspezifischen Zusammenhangs. Dieser ist auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt. Der BGH nimmt vorliegend an, dass sich das tatbestandstypische Risiko in der durch B geschaffenen Bemächtigung verwirklicht hat. Die Eskalationsgefahr erhöhte sich durch das Eintreffen des A und begründete gleichzeitig für B erkennbar die Gefahr, A könne – in Raub- oder Verdeckungsabsicht – Gewalt gegen O ausüben. Dieser Exzess lässt laut BGH den Zurechnungszusammenhang für B auch nicht entfallen, insb. liegt auch kein Eingreifen Dritter vor. Daran wird bemängelt, dass spätestens als A den O zu würgen begann, keine Nötigungsabsicht mehr vorliegen konnte, denn ein toter O würde nicht mehr genötigt werden können und mithin war ein erpresserischer Menschenraub zu diesem Zeitpunkt bereits beendet. Aufgrund fehlender Erpressungsabsicht war die Tötung in Verdeckungsabsicht keine Verwirklichung des dem Straftatbestand erpresserischer Menschenraub immanenten spezifischen Risikos, sondern vielmehr eine erwartbare Eskalation, die bei jedem beliebigen Straftatbestand möglich ist.


D. In der Prüfung

§ 239a Abs. 1, Abs. 3 StGB

1. Grundtatbestand, § 239a Abs. 1 StGB

2. Erfolgsqualifikation, § 239a Abs. 3 StGB

a. Tod des Opfers

b. Kausalität zwischen Grundtatbestand und Tod des Opfers

c. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang

d. Mind. Leichtfertigkeit bzgl. Tod des Opfers


E. Literaturhinweise

Mitsch, NJW 2024, 1357 (1360f.).

Valerius, NStZ 2024, 485 (487f.). MüKoStGB/Renzikowski, § 239a Rn. 70.

 

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