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Entscheidung der Woche 38-2023 (SR)

Yael Prantl

Lose Zusammenschlüsse von Rauschgiftkonsumenten begründen regelmäßig noch nicht die Übernahme einer Beistandspflicht und das Vorliegen einer Garantenstellung aufgrund einer Gefahrengemeinschaft, die über die Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB hinausgeht.

Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH, Urt. v. 11.9.2019 - 2 StR 563/18

in: BeckRS 2019, 34879

 

A. Orientierungs - oder Leitsätze (Leitsätze der Verfasserin)

1. Lose Zusammenschlüsse von Rauschgiftkonsumenten begründen regelmäßig noch nicht die Übernahme einer Beistandspflicht und das Vorliegen einer Garantenstellung aufgrund einer Gefahrengemeinschaft, die über die Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB hinausgeht.

2. Allein aus der Einleitung von Erste-Hilfe-Maßnahmen ergibt sich noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnen Hilfeleistung. Es handelt sich lediglich um die (ungenügende) Erfüllung einer aus § 323c StGB obliegenden Pflicht und nicht um die Übernahme einer Obhut.

3. Wer eine Gefahrenquelle schafft, den trifft eine Erfolgsabwendungspflicht gem. § 13 StGB nicht, wenn die Gefahr sich aufgrund einer unvorhersehbaren Selbstgefährdung realisiert hat.

B. Sachverhalt

A, B und C trafen sich nachts auf dem Gelände einer Schule, um dort zusammen einen Joint mit Spice zu rauchen, der den Wirkstoff 5F-ADB enthält. Dieses synthetische Cannabinoid wirkt erheblich stärker als normales THC, unterlag zu diesem Zeitpunkt aber weder dem BtMG noch dem NpSG. Der sichtlich alkoholisierte M kam zufällig auf die Gruppe zu und fragte, ob er den Joint auch mal haben dürfe. A und B verwehrten ihm die Bitte und betonten, dass es sich bei dem Joint um "starkes Zeug" handele. Daraufhin reagierte M lautstark mit "Kindergarten" und nahm dem B eigenmächtig den Joint aus der Hand. M rauchte mehrere Züge, bis er regungslos zusammenbrach.

A, B und C brachten ihn in eine "Art stabile Seitenlage". Weitere Hilfemaßnahmen, wie das Absetzen eines Notrufs, strengten sie nicht an. Im Laufe der Nacht verstarb M an einem zentralen Regulationsversagen, verursacht durch eine Mischintoxikation von Alkohol und dem synthetischen Cannabinoid 5F-ADB sowie einer Vorerkrankung. Bei unverzüglichen Absetzen eines Notrufs wäre eine Rettung zwar möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen. A, B und C erkannten weder den tödlichen Ausgang des Geschehens noch nahmen sie Ms Tod billigend in Kauf.

Strafbarkeit von A, B und C?

C. Anmerkungen

Der BGH kam zum Ergebnis, dass die Angeklagten lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB zu verurteilen seien. Eine weitergehende Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen und Aussetzung mit Todesfolge sei aufgrund der mangelnden Garantenstellung der Angeklagten zu verneinen.

Der Senat setze sich in dieser Entscheidung geradezu lehrbuchartig mit der Begründung einer Garantenstellung im Zusammenhang des gemeinsamen Drogenkonsums auseinander. Eine solche ergebe sich im vorliegenden Fall jedoch weder aus der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft noch aus einem pflichtwidrig gefährdenden Vorverhalten und auch nicht aus der Schaffung oder Unterhaltung einer Gefahrenquelle.

Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann zwar gegenseitige Hilfspflichten und damit eine Garantenstellung begründen, aber nur, wenn darüber hinaus erkennbar eine Schutzfunktion übernommen wird. Davon abzugrenzen sind lose Zusammenschlüsse von Rauschgiftkonsumenten, die eher zufällig entstehen. Die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz entfällt bei eigenverantwortlich gewollter und verwirklichter Selbstgefährdung, da sich dann gerade das vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Eine Garantenstellung könne sich laut BGH auch nicht dadurch ergeben, dass die Täter eine Gefahrenquelle geschaffen oder unterhalten und die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen nicht getroffen haben. Die Erfolgsabwendungspflicht gem. § 13 StGB entfalle, wenn sich die Gefahr aufgrund einer unvorhersehbaren Selbstgefährdung realisiert hat.

Eine Garantenstellung der Angeklagten ist im Ergebnis daher zu verneinen, sodass nur eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB in Frage kommt.

D. In der Prüfung

A. Strafbarkeit gem. §§ 222 I, 13 I StGB

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a)-e) Taterfolg, Unterlassen trotz Möglichkeit, Quasikausalität, Obj. Fahrlässigkeit, Obj. Zurechnung

f) Garantenpflicht (P)

aa) Zugehörigkeit zu einer Gefahrengemeinschaft

bb) Tatsächliche Übernahme

cc) Ingerenz

dd) Gefahrengemeinschaft (P)

(1) Freiverantwortliche Selbstgefährdung

(2) Unvorhersehbare Selbstgefährdung

II. Ergebnis

B. Strafbarkeit gem. § 323c I StGB

E. Literaturhinweise

Nussbaum, Konsum eines Joints - zur Garantenstellung aus Ingerenz bzw. Schaffung einer Gefahrenquelle, ZJS 1/2021, 86;

Ladiges, Keine Garantenpflicht bei eigenmächtigen Konsum von Betäubungsmitteln, RÜ 4/2020, 231.

 
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