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Entscheidung der Woche 39-2019 (ÖR)

Jasmin Wulf

Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerfG, Urt. v. 10.06.2014 – 2 BvE 4/13

in: DÖV 2014, 673

 

A. Orientierungssätze

1. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, entscheidet er grundsätzlich autonom; ihm kommt diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

2. Der Bundespräsident übt Staatsgewalt i.S.v. Art. 20 Abs. 2 GG aus und ist gem. Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie Gesetz und Recht gebunden.

3. Für den Bundespräsidenten gelten weniger strenge Neutralitätspflichten als für andere Staatsorgane. Einzelne Äußerungen des Bundespräsidenten können gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Im August 2013 nahm der Bundespräsident an einer Gesprächsrunde vor mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Schulzentrum in Berlin-Kreuzberg teil. In der unter dem Motto „22.09.2013 – Deine Stimme zählt!“ stehenden Veranstaltung wies er u. a. auf die Bedeutung von freien Wahlen für die Demokratie hin und forderte die Schülerinnen und Schüler zu sozialem und politischem Engagement auf. Auf die Frage einer Schülerin ging er auch auf Ereignisse ein, die mit den Protesten von Mitgliedern und Unterstützern des Bundesverbandes der NPD gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf in Zusammenhang standen. In der Presseberichterstattung über die Veranstaltung wurden die Aussagen zitiert: „Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind sie alle aufgefordert.“ Und „Ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen.“ In der Folge wandte sich der betroffene Bundesverband im Rahmen eines Organstreitverfahrens an das BVerfG.


C. Anmerkungen

Das BVerfG befand den Antrag für unbegründet. Die von der Antragstellerin angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners seien von Verfassungswegen nicht zu beanstanden und verletzen daher die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Wahrung der Chancengleichheit der politischen Parteien. Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Dabei steht ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Bundespräsident kann den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform.

Das Handeln des Bundespräsidenten findet seine Grenzen in der Bindung an die Verfassung und die Gesetze. Zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehört das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG. Eine die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen beeinträchtigende Wirkung kann für eine Partei auch von der Kundgabe negativer Werturteile über ihre Ziele und Betätigungen ausgehen. Es erscheine geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat.


D. In der Prüfung

A. Zulässigkeit (+)

B. Begründetheit (-)

I. Befugnis des Bundespräsidenten (+)

II. Grenzen der Äußerungsbefugnis

1. Verstoß gegen Chancengleichheit der Parteien (-)

2. Verstoß gegen Sachlichkeitsgebot (-)


E. Zur Vertiefung

Hillgruber, Zur Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien, JA 2014, 796.

 
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