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Entscheidung der Woche 39-2022 (SR)

Domink Stanislavchuk

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 2 StR 41/21

in: NJW 2022, 1263

NStZ 2022, 571

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt.


B. Sachverhalt

Während einer Faschingsfeier kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen N und B, einer Begleiterin des A. Während N im Krankenwagen versorgt wurde, berichtete B dem A, dass N ihre Mutter beleidigt und sie so geschubst habe, dass sie sich am Knie verletzte. A beschloss den N zur Rechenschaft zu ziehen und ihm mit einem mitgeführten Messer einen Denkzettel zu verpassen. N stieg gerade rückwärts aus dem Krankenwagen, als A von hinten an ihn herantrat und ihn mit einem Springmesser mit 8,5 cm Klingenlänge einen Messerstich in den Rücken versetzte, wobei ihm gleichgültig war, ob dieser daran versterben würde. Während der vor Schmerz aufschreiende N sich umdrehte, stach A erneut zu und traf die linke Schulter des N sowie mit zwei weiteren Stichen dessen Oberarm. Die Stiche zeigten zunächst keine Wirkung. A erschrak jedoch beim Blick in das schmerzverzerrte Gesicht des N. Obwohl ihm weitere Stiche möglich gewesen wären, wandte er sich ab und rannte davon. N wurde durch die Rettungskräfte versorgt und später aus dem Krankenhaus entlassen.

Strafbarkeit des A nach dem StGB?


C. Anmerkungen

Der BGH verwarf die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn und bestätigte die Verurteilung des A – nur – wegen gefährlicher Körperverletzung. A hat im vorliegenden Fall unproblematisch den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB erfüllt. So braucht nur kurz angerissen werden, dass eine abstrakte Lebensgefährdung nach der Rechtsprechung für die das Leben gefährdende Behandlung i.S.d. Nr. 5 ausreicht und ein Messer, je nach Einzelfall, über das gefährliche Werkzeug hinaus auch eine Waffe i.S.d. Nr. 2 darstellen kann. Ein hinterlistiger Überfall gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 3 StGB scheidet hingegen aus, da sich die Absicht des Täters, dem anderen die Verteidigungsmöglichkeiten zu erschweren, äußerlich manifestieren muss. Ein – wie hier – plötzlicher Angriff von hinten oder das bloße Ausnutzen des Überraschungsmomentes reichen für sich genommen nicht aus.

Im Zentrum des Urteils stand indes die Frage, ob A vom versuchten Mord gemäß § 211 Abs. 1 Gr. 2 Var. 1 StGB zurückgetreten ist. A glaubte angesichts der zunächst geringen Wirkung der Messerstiche nicht, bereits alles zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan zu haben, wobei er die Herbeiführung des Taterfolgs immer noch für möglich hielt. Bei einem solchen unbeendeten Versuch ist ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB möglich, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen.

A war indes weder durch objektive Umstände noch aufgrund seiner psychischen Verfassung – Erschrecken über sein eigenes Verhalten − daran gehindert, seinen Angriff auf den N fortzusetzen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass A einem seelischen Druck ausgesetzt war, der ihn von der weiteren Tatausführung abhielt. Unter seelischen Druck fallen etwa Fälle, bei denen der Täter einen Schock erlebt. Ein einfacher – wie hier vorliegender – Schreck reicht hierfür nicht aus, denn A wäre es aus seiner Sicht weiterhin möglich gewesen, N weitere Stiche zuzufügen. A sah sich auch keines äußeren Zwangs ausgesetzt. Auch der Umstand, dass A sein außertatbestandliches Handlungsziel – den Denkzettel für N – durch die Messerstiche erreicht hat, schließt einen (freiwilligen) Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus. Der A ist deshalb vom versuchten Mord gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zurückgetreten. So erfolgte folgerichtig lediglich eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB.


D. In der Prüfung

§ 211 Abs. 1 Gr. 2 Var. 1, 22, 23 StGB

I. Tatbestand

1. Tatentschluss

2. Unmittelbares Ansetzen

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB

1. Unbeendeter Versuch

2. Aufgabe der weiteren Tatausführung

3. Freiwilligkeit

V. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Murmann, „Aufgeben“ der weiteren Tatausführung und „Verhindern“ von deren Vollendung iSv § 24 I 1 StGB, JuS 2022, S. 193-199;

Murmann, Die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch, JuS 2021, S. 1001-1006.

 
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