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Entscheidung der Woche 40-2019 (ZR)

Patricia Meinking

Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses setzt nicht voraus, dass die aufseiten des Mieters bestehende Härte die Interessen des Vermieters deutlich überwiegt. Maßgebend ist allein, ob sich ein Übergewicht der Belange der Mieterseite feststellen lässt, also die Interessenabwägung zu einem klaren Ergebnis führt.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH VIII ZR 180/18

in: NZM 2019, 518

NJW 2019, 2765

 

A. Orientierungssätze

Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses setzt nicht voraus, dass die aufseiten des Mieters bestehende Härte die Interessen des Vermieters deutlich überwiegt. Maßgebend ist allein, ob sich ein Übergewicht der Belange der Mieterseite feststellen lässt, also die Interessenabwägung zu einem klaren Ergebnis führt. Ein hohes Alter eines Mieters und/oder eine lange Mietdauer rechtfertigen ohne weitere Feststellungen grundsätzlich noch keine Härte. Besteht jedoch die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation durch einen Wohnungswechsel, kann allein dies einen Härtegrad darstellen. Bei der Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen beider Parteien im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass bezüglich der Anwendung und Auslegung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB einerseits und der Sozialklausel des § 574 BGB andererseits dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Die Beklagte mietet seit 1974 vom Kläger eine Dreizimmerwohnung, die sie mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhnen bewohnt. Mit Schreiben vom 22.1.2016 kündigte ihr der Kläger ordentlich wegen (begründeten) Eigenbedarfs. Die Beklagte widersprach der Kündigung und berief sich auf das Vorliegen von Härtegründen. In einem ärztlichen Attest heißt es, ein erzwungener Umzug führe unweigerlich zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands der an Demenz erkrankten Beklagten. Der Kläger verlangt Räumung und Herausgabe der Mietwohnung.


C. Anmerkungen

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Durch die vom Berufungsgericht angeführte Begründung könnten Ansprüche des Klägers auf Räumung und Herausgabe nicht verneint werden. Der BGH geht grundsätzlich vom Vorliegen einer Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB für die Beklagte aus. Als Härtegründe kommen nur solche mit dem Umzug verbundenen Nachteile in Betracht, die sich von den typischen Unannehmlichkeiten deutlich abheben. Aufgrund des hohen Alters der Beklagten, der langen Mietzeit, des angegriffenen Gesundheitszustands und der drohenden Verschlechterungen sei hier im Wege einer Gesamtwürdigung eine solche Härte anzunehmen. Dies führe jedoch nicht zur Annahme, dass diese Härte unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Klägers nicht zu rechtfertigen ist. Die vorzunehmende Interessenabwägung sei insbesondere rechtsfehlerhaft, wenn Feststellungen zum Umfang und zu den Auswirkungen der Erkrankung unterbleiben, ein Härtegrad bezüglich aller Bewohner angenommen und dem Erlangungsinteresse des Vermieters, das durch Art. 14 GG geschützt wird, ein zu geringer Stellenwert zugesprochen wird. Die Entscheidung zeigt, dass allein aufgrund des Vorliegens einer Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574a Abs. 1 S. 1 BGB noch nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr muss eine gründliche Interessenabwägung am Einzelfall erfolgen. Dabei ist für die vom Mieter behaupteten Härtegründe gem. § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO ein Sachverständigengutachten einzuholen.


D. In der Prüfung

A. § 546 Abs. 1 BGB

I. Mietvertrag, § 535 BGB

II. Beendigung des Mietvertrags durch Kündigung, § 573 Abs. 1 S. 1 BGB

III. Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Sozialwiderspruch, §§ 574a, 574 BGB (umfassende Interessenabwägung)

B. § 985 BGB

I. Anspruchsteller ist Eigentümer & Anspruchsgegner Besitzer

II. Kein Recht zum Besitz Fortsetzung des Mietvertrags (s.o.)


E. Zur Vertiefung

Fleindl, Die Eigenbedarfskündigung: Tatbestand und Rechtsmissbrauch, NZM 2016, 289ff;

sowie ders., Die Sozialklausel in Zeiten der Wohnungsnot, WuM 2019, 165ff.

 
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