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Entscheidung der Woche 40-2022 (ÖR)

Btissam Boulakhrif

Eine dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO unterliegende Prozesshandlung, die von mehreren Personen unterzeichnet ist, genügt den Anforderungen des § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO, wenn eine dieser Personen sie erfüllt.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BVerwG, Urt. v. 25.05.2022 – 8 C 11.21 

in:  BeckRS 2022, 22965

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Eine dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO unterliegende Prozesshandlung, die von mehreren Personen unterzeichnet ist, genügt den Anforderungen des § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO, wenn eine dieser Personen sie erfüllt.

2. Die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG läuft für jeden Widerrufsgrund gesondert. Sie beginnt, wenn die Behörde aufgrund vollständiger Kenntnis von dem jeweiligen Widerrufsgrund und den für die Widerrufsentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen für den gesamten Verwaltungsakt einschätzen kann, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Widerrufsgrund die Aufhebung des Verwaltungsakts rechtfertigen kann.


B. Sachverhalt

Die Klägerin erhielt einen Bescheid mit dem eine zuvor vom Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gewährte Zuwendung teilweise widerrufen und zurückgefordert wurde. Die Zuwendung erhielt sie nach Maßgabe einer Richtlinie des Bundeslandes zur Förderung der Bereitstellung betrieblicher Ausbildungsplätze im Jahr 2004. Im Jahr 2007 war dem Bundesland bekannt, dass ein Auszubildender acht Wochen nicht an den von der Klägerin angebotenen Lehrgängen teilnahm und erkannte diese im Prüfvermerk zum Verwendungsnachweis als nicht förderungsfähig an. 2013 widerrief die Behörde den Zuwendungsbescheid teilweise und forderte den entsprechenden Anteil der Zuwendung zurück. 


C. Anmerkungen

Ziel des § 67 Abs. 4 VwGO ist es, die behördliche Prozessführung zu vereinfachen, indem ein Beschäftigter derselben formalen Qualifikation, der Befähigung zum Richteramt, sie vor Gericht vertreten kann. Jeder der Unterzeichnenden nach § 67 Abs. 4 VwGO macht sich die Erklärung zu eigen, sodass es für eine ordnungsmäßige Vertretung folglich ausreicht, wenn einer von ihnen die Voraussetzungen des § 67 Abs. 4 S. 4 VwGO erfüllt. Behördeninterne Regelungen, die die Unterzeichnung von mehreren Mitarbeitern zur ordnungsgemäßen Vertretung regeln, sind diesbezüglich unerheblich. Die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 S. 2 iVm. § 48 Abs. 4 VwVfG beginnt für jeden Widerrufsgrund gesondert ab dem Zeitpunkt an zu laufen, in dem die Behörde Kenntnis vom Widerrufsgrund und den für die Rechtfertigung des Widerrufs erheblichen Tatsachen  erlangt hat. Dies ist dann der Fall wenn die Behörde objektiv in der Lage dazu ist ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts eine Entscheidung über den Widerruf unter sachgerechter Ermessensausübung zu treffen. Dies ist idR nur nach Vornahme der Anhörung des Betroffenen der Fall. Diesbezüglich ist eine Verzögerung durch die Behörde unschädlich. Eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 VWVfG setzt voraus, dass der Betroffene davon in Kenntnis gesetzt wird, welcher konkrete Verwaltungsakt von der Behörde beabsichtigt wird. Dies soll gewährleisten, dass dieser Kenntnis davon hat wozu und warum er sich äußern soll und mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist. 


D. In der Prüfung

§§, 42 I Alt. 1 VwGO, §49 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VwVfG

I. Zulässigkeit

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO

2. Zuständigkeit des Gerichts, §§ 49, 50, 132 VwGO

3. Statthaftigkeit, § 42 Abs 1 Alt. 1 VwGO

4. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO

5. Klagefrist, §§ 74 Abs. 1 S. 2, 58 Abs. 2 VwGO

6. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62, 67 Abs. 4 VwGO

II. Begründetheit der Anfechtungsklage

1. Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes

a. Rechtsgrundlage, §§ 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 49a Abs. 1 VwVfG

b. Formelle Rechtmäßigkeit

aa. Zuständigkeit, § 49 iVm. §3 VwVfG

bb. Verfahren, § 28 Abs. 1 VwVfG

cc. Form, § 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG

c. Materielle Rechtmäßigkeit

aa. Rechtmäßigkeit des widerrufenen VAs, § 49 Abs. 3 VwVfG

bb. Begünstigender VA in Form einer Geld- oder Sachleistung, § 49 Abs. 3 VwVfG

cc. Widerrufsgrund, § 49 Abs.. 3 Nr. 1 VwVfG

dd. Frist, § 49 Abs. 3 S. 2 iVm. § 48 IV VwVfG

d. Rechtsfolge, Ermessen

2. Zwischenergebnis

III. Ergebnis


E. Literaturhinweise

Voßkuhle/Kaufhold, Grundwissen – Öffentliches Recht: Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten, JuS 2014, 695;

Calmes-Brunet, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, JuS 2014, 1077;

Folnovic/Hellriegel: Der Widerruf im Zuwendungsrecht – eine Systematik, NVwZ 2016, 638; 

Martini, Die Aufhebung von Verwaltungsakten nach §§ 48 ff. VwVfG – Rücknahmefrist (§ 48 IV VwVfG), JA 2017, 838. 

 

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