Entscheidung der Woche 41-2024 (ÖR)
Maximilian Moll
Jenseits der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und daraus abgeleitet der Fraktionen gilt der Grundsatz der formalen Gleichheit. Daraus leitet sich ein Recht auf Gleichbehandlung ab.
Aktenzeichen und Fundstelle
Az.: BVerfG, Urt v. 18.09.2024 - 2 BvE 1/20 u.a.
Fundstelle: https://www.bverfg.de/e/es20240918_2bve000120.htm
A. Orientierungs - oder Leitsätze
1. Jenseits der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und daraus abgeleitet der Fraktionen gilt der Grundsatz der formalen Gleichheit. Daraus leitet sich ein Recht auf Gleichbehandlung ab.
2. Dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch findet seinen Ausdruck im Recht der Abgeordneten und der Fraktionen auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich daher - als Teilhabeanspruch - auch auf Beteiligungsrechte, die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingeräumt werden und über die unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG wurzelnden spezifischen Statusrechte hinausgehen.
3. Einschränkungen der spezifischen Statusrechte der Abgeordnete und der Fraktionen durch die Geschäftsordnung unterliegen besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen. Sie müssen dem Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
4. Geht es demgegenüber allein um den formalen Status der Gleichheit der Abgeordneten in Form der Teilhabe an Rechtspositionen, die erst die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einräumt, findet eine verfassungsrechtliche Überprüfung lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind.
B. Sachverhalt
Bei der Wahl zum 17. Bundestag zog die „Alternative für Deutschland" (AfD) erstmals in den Deutschen Bundestag ein. Den Fraktionen anteilig zu ihrer Mandatszahl die Besetzung von Ausschussvorsitzen zu. Die Verteilung der Ausschussvorsitze erfolgt nach parlamentarischer Tradition in einem Zugriffsverfahren. Die AfD-Fraktion entschied sich im Rahmen dieses Verfahrens für die Ausschüsse „Inneres und Heimat", „Gesundheit", „Recht und Verbraucherschutz", sowie „wirtschaftliche Zusammenarbet und Entwicklung". Allerdings wird, außer im Rechtsausschuss, kein Kandidat der AfD zum Ausschussvorsitzenden gewählt. Weiterhin wird am 13.11.2019 der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner, abgewählt. Begründet wird dies mit einer Aussage Brandners zum Anschlag auf eine Synagoge in Halle.
C. Anmerkungen
Das Bundesverfassungsgericht erkennt zurecht, dass die Fraktionen zwar einen Anspruch auf spiegelbildliche Besetzung der Ausschüsse haben, nicht aber einen Anspruch auf die Besetzung von Ausschussvorsitzen. Bei den Ausschussvorsitzen handelt es sich nicht um spezifische Statusrechte der Abgeordneten oder der Fraktionen, sondern um durch die Geschäftsordnung eingeräumte Teilhaberechte. Diese sind einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nur beschränkt zugänglich, sodass der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab sich auf die faire und loyale Auslegung und Anwendung der GO-BT und das Willkürverbot begrenzte. Dass zur Bestimmung der Ausschussvorsitze Wahlen durchgeführt werden, liegt im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. Der Zweite Senat konnte durch die per Mehrheitswahl verweigerten Posten keine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung der Abgeordneten aller Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der fairen und loyalen Auslegung und Anwendung der GO-BT erkennen. Zwar könne sich die AfD-Fraktion auf das Recht auf Gleichbehandlung bei der Besetzung der Ausschussvorsitze stützen, allerdings bestehe keine Verpflichtung der Ausschussmitglieder, eine bestimmte Person zum Vorsitzenden zu wählen.
Dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages für die Abwahl eines Ausschussvorsitzenden keine Regelung enthält, beanstandet das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Bestimmung eines Ausschussvorsitzenden durch Mehrheitswahl enthält auch die Möglichkeit, diesen auf Antrag auch abzuwählen. Im vorliegenden Fall stellte der Zweite Senat fest, dass die Abwahl in einem geordneten Verfahren und hinreichend sachlich begründet war. Es lag somit kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.
D. In der Prüfung
Organstreitverfahren
I. Zulässigkeit
1. Zuständigkeit des BVerfG
2. Ordnungsgemäßer Antrag
3. Beteiligungsfähigkeit/Parteifähigkeit
4. Antragsgegenstand
5. Antragsbefugnis
6. Antragsgegner
7. Antragsfrist
8. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
II. Begründetheit
(P) Verletzung der Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
E. Literaturhinweise
BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 18. September 2024 (2 BVE 1/20), https://www.lto.de/persistent/a_id/55436 (abgerufen am: 30.09.2024)