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Entscheidung der Woche 41-2025 (ZR)

Niklas Hüneburg

Ohne besondere Belehrung über die Gefahren des Straßenverkehrs und einer Regeleinweisung dürfen Kinder nicht selbstständig Fahrradfahren. Nach einer entsprechenden Belehrung über die Regeln und Gefahren sowie einer gewissen Erprobung müssen schulpflichtige Kinder aber nicht mehr ständig beaufsichtigt werden.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az: LG Ingolstadt - 72 O 516/23 V

in: NJW 2024, 3667

BeckRS 2024, 22419

A. Orientierungs - oder Leitsätze

Ohne besondere Belehrung über die Gefahren des Straßenverkehrs und einer Regeleinweisung dürfen Kinder nicht selbstständig Fahrradfahren. Nach einer entsprechenden Belehrung über die Regeln und Gefahren sowie einer gewissen Erprobung müssen schulpflichtige Kinder aber nicht mehr ständig beaufsichtigt werden.


B. Sachverhalt

Die siebenjährige Tochter (T) des Beklagten (B) fuhr an einem regnerischen Tag allein mit ihrem Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr. Der Ehemann (E) der Klägerin (K) fuhr mit ihrem Auto ordnungsgemäß an eine unübersichtliche Kreuzung heran, an der rechts vor links gilt. Hierbei wollte E links abbiegen. Nachdem dieser sich vergewisserte, dass von rechts kein bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer kam, fuhr er ca. einen Meter in den Kreuzungsbereich hinein. Daraufhin näherte sich links von dem Auto T mit ihrem Fahrrad, wobei sie trotz der Betätigung der Hupe durch E ungebremst gegen die Fahrerseite fuhr und diese beschädigte.

T benutze bereits seit ihrem dritten Lebensjahr ein Fahrrad und unternahm seitdem regelmäßig Fahrradtouren mit ihrer Familie. Da sie nach einer entsprechenden Belehrung über den Straßenverkehr stets den Anweisungen ihrer Eltern gehorchte, fuhr sie seit einiger Zeit auch unbegleitet. Überdies erhielt sie in der Vorschule eine Verkehrserziehung. Die Strecke, auf der sich der Unfall ereignete, war der T gut bekannt.


C. Anmerkungen

K wendet sich gegen B, den Vater der T. Insbesondere wird ein Schadensersatzanspruch aus § 832 Abs. 1 S. 1 BGB geltend gemacht. T ist mit sieben Jahren minderjährig und daher aufsichtsbedürftig. Nach §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB ist B zur Aufsicht von T verpflichtet. Das Fahren gegen das Auto der K durch T stellt eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar. Entscheidend kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob B seiner Aufsichtspflicht gerecht wurde und sich folglich gem. § 832 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann. Der Umfang der Aufsichtspflicht bestimmt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere nach dem Alter, der Eigenart und dem Charakter des Kindes sowie dem örtlichen Umfeld.

Aufgrund der besonderen Gefahren im Straßenverkehr gelten dort besonders hohe Anforderungen. Minderjährige sind über die Regeln und Gefahren des Straßenverkehrs gesondert zu belehren und mit den zu befahrenden Strecken vertraut zu machen. Um Minderjährige zu einem selbstständigen Verkehrsverhalten heranzuführen, ist es gleichwohl erforderlich, dass diese auch die Gelegenheit erhalten, sich unbeobachtet im Straßenverkehr zu bewegen. Nach entsprechender Belehrung und Erprobung ist eine ständige Beaufsichtigung nicht erforderlich. T wurde nicht nur von ihren Eltern, sondern auch in der Vorschule belehrt. Des Weiteren fuhr sie bereits seit vier Jahren Fahrrad, seit einiger Zeit auch unbegleitet. Zugleich war ihr der Weg gut bekannt. Schließlich regnete es auch nicht so stark, dass T nicht unbeaufsichtigt hätte losfahren dürfen. Insgesamt wurde B also seiner Aufsichtspflicht über T gerecht, sodass er sich gem. § 832 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann. Mithin scheidet ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 832 Abs. 1 S. 1 BGB aus. Weil sich aus § 823 Abs. 1 BGB keine weitergehende Sorgfaltspflicht ergeben kann, besteht auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.


D. In der Prüfung

Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gem. § 832 Abs. 1 S. 1 BGB

I. Aufsichtspflicht

II. Aufsichtsbedürftige Person

III. Tatbestandsmäßige, rechtswidrige unerlaubte Handlung der aufsichtsbedürftigen Person

IV. Keine Exkulpation

5. Ergebnis


E. Literaturhinweise

- Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 7, 9. Auflage 2024, § 832 Rn. 36 ff.- Kerscher in: Beck-Online Großkommentar zum BGB, Stand 01.08.2025, § 1631 Rn. 52 f.- Figgener/Quaisser, Aufsichtspflicht von Eltern für siebenjährige Fahrradfahrerin, NJW-Spezial 2024, 682


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