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Entscheidung der Woche 42-2020 (SR)

Adam Hetka

Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit liegt dabei vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 2 StR 284/19

in: NStZ 2020, 341

BeckRS 2020, 1970

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit liegt dabei vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen.

2. Dass dem Täter die Weiterverfolgung des Geschädigten nicht möglich war, ohne eine andere Person, der sein vorrangiges Interesse galt, aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will. Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb.


B. Sachverhalt

A traf mit der Z, derer er sich zu diesem Zeitpunkt gewaltsam bemächtigt hatte, um mit ihr nach dem Beziehungsaus zu reden und sie für sich zurückzugewinnen, auf den in einem Gebüsch schlafenden P. A führte in seiner rechten Hand ein Messer mit sich und kam auf die Idee, das Geld des P zu entwenden. Er zog dem schlafenden P daher das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und steckte es in seine Gürteltasche. Sodann durchsuchte er dessen Rucksack nach Stehlenswertem. Als er den Rucksack wieder auf den Boden legte, wachte P auf. Um sich den Besitz der Geldbörse zu sichern und die befürchtete Gegenwehr des P von vornherein zu unterbinden, stach A unvermittelt viermal kraftvoll auf P ein, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Der völlig überraschte P sprang nach dem vierten Stich plötzlich auf und lief davon, während ihm A noch einen weiteren Stich verpasste. Daraufhin ließ A von P ab, weil er nicht gleichzeitig diesem nachlaufen und die Z im Blick behalten konnte. Daher entschloss er sich, P nicht weiter zu verfolgen. Der lebensgefährlich verletzte P wurde kurz darauf von Passanten gefunden und gerettet.


C. Anmerkungen

Zieht der Täter äußere Umstände in seinen Entschluss, die Tat abzubrechen, mit ein, so ergeben sich Streitpunkte bei der Frage, ob Freiwilligkeit vorliegt. Nach der ständigen Faustformel des BGH, welche auch in diesem Beschluss Erwähnung gefunden hat, liegt Freiwilligkeit dann vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Auch die Erhöhung des Entdeckungsrisikos steht nach dem BGH der Annahme der Freiwilligkeit nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen wurde, welches der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist dieser nicht mehr „Herr seiner Entschlüsse“. Dies führt dann dazu, dass eine daraufhin erfolgende Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen ist.


D. In der Prüfung

0. Vorprüfung

I. Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt

1. Kein fehlgeschlagener Versuch

2. Unbeendeter/beendeter Versuch

3. Freiwilligkeit (!)


E. Zur Vertiefung

Zum Rücktritt des Einzeltäters: Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl., München 2020, § 37.

 
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