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Entscheidung der Woche 42-2022 (SR)

Clara Kittelmann

Löst ein Nichtberechtigter mit einer ec-Karte kontaktlos einen elektronischen Zahlungsvorgang aus und fragt das kartenemittierende Kreditinstitut im Zuge der Abwicklung des Zahlungsvorgangs im „Point-of-sale-Verfahren“ die zu der Karte gehörende Geheimnummer (PIN) nicht ab...

Aktenzeichen & Fundstelle

Az: OLG Hamm 4 RVs 12/20

in: NStZ 2020, 673

WM 2020, 1674

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Löst ein Nichtberechtigter mit einer ec-Karte kontaktlos einen elektronischen Zahlungsvorgang aus und fragt das kartenemittierende Kreditinstitut im Zuge der Abwicklung des Zahlungsvorgangs im „Point-of-sale-Verfahren“ die zu der Karte gehörende Geheimnummer (PIN) nicht ab, verwirklicht dieses Verhalten mangels Täuschung nicht den Betrugstatbestand gemäß § 263 Abs. 1 StGB.

2. Ein solches Verhalten verwirklicht auch nicht die Tatbestände des Computerbetruges gemäß § 263a Abs. 1 StGB und der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 270 StGB.

3. Ein solches Verhalten kann aber als Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie nachrangig als Datenveränderung gemäß § 303a Abs. 1 StGB strafbar sein.


B. Sachverhalt

Am 15.12.2018 verlor der Zeuge A seine Brieftasche, in der sich unter anderem zwei ec-Karten befanden. Der Angeklagte gelangte noch an dem selben Tag in den Besitz dieser Brieftasche und tätigte mit einer der ec-Karten vier Einkäufe, indem er die Karte auf das Kartenlesegerät zur Bezahlung auflegte. Dabei handelte der Angeklagte in dem Wissen, dass ihm die Karte nicht gehörte und er zu ihrer Nutzung nicht berechtigt war. Da die Rechnungsbeträge jedes Einkaufs unter 25,00 Euro lagen, war zum Auslösen des Zahlungsvorgangs die Eingabe der PIN nicht erforderlich, was dem Angeklagten bekannt war und von diesem bewusst ausgenutzt wurde. Die gekauften Waren beabsichtigte er teilweise selbst zu behalten, teilweise an seine Bekannte, von welcher er zuvor die besagte Brieftasche erhalten hatte, weiter zu geben.


C. Anmerkungen

Das OLG Hamm überraschte in dieser Entscheidung mit einer von der bisherigen Rechtsprechung abweichenden strafrechtlichen Einordnung des ec-Karten-Missbrauchs im kontaktlosen Zahlungsverkehr ohne PIN-Abfrage. Das Gericht kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass das Verhalten des Angeklagten nicht zu einer Strafbarkeit wegen Betruges oder Computerbetruges führt. Angesichts dessen, dass sich kaum ein Täter über die zivilrechtlichen Hintergründe des Bezahlvorgangs bewusst sein wird, fehle es für die Verwirklichung des Betrugstatbestandes bereits an einer Täuschung über Tatsachen. Selbst wenn man von einer konkludenten Täuschung über die Berechtigung zur Verwendung der ec-Karte ausginge, führe dies jedenfalls nicht zur Erregung eines Irrtums. Dies legt das Gericht unter Heranziehung der Modalitäten der Zahlungsabwicklung in Fällen wie dem vorliegenden dar.

Auf der Grundlage von § 55 Abs. 5 ZAG sind die kartenausgebenden Institute dazu übergegangen, bei kontaktlos ausgelösten Transaktionen auf die in der Regel erforderliche „starke Kundenauthentifizierung“ mittels Abfrage der PIN zu verzichten, sofern der Rechnungsbetrag unter 25,00 Euro liegt. Wird die Zahlung durch die Bank autorisiert, erlangt der Händler gegen diese unmittelbar eine einredefreie Forderung in Höhe des autorisierten Betrages, welche lediglich bei positiver Kenntnis über die Nichtberechtigung zur Kartenverwendung entfällt. Da für den Händler mithin nicht nur keine Pflicht, sondern erst recht kein Anreiz besteht, sich über die Berechtigung des Kunden Gedanken zu machen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem Kassenpersonal auch nur im Wege eines sachgedanklichen Mitbewusstseins ein Irrtum erregt worden wäre. Dadurch scheide eine Betrugsstrafbarkeit nach § 263 StGB aus.

Ebenfalls verwirkliche das Verhalten des Angeklagten nicht den Straftatbestand des Computerbetruges gem. § 263a StGB. Die für das OLG einzig in Betracht kommende dritte Tatvariante scheitere daran, dass die Datenverwendung nicht unbefugt i.S.d. § 263a Abs. 1 StGB sei. Um sicherzustellen, dass sich § 263a StGB auf seine Rolle beschränkt, die Strafbarkeitslücken zu schließen, die durch die Digitalisierung von Geschäftsabläufen entstehen, müsse das Merkmal „unbefugt“ betrugsäquivalent ausgelegt werden. Konkret bedeute dies, dass die Verwendung von Daten nur dann „unbefugt“ ist, sofern sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Zudem müsse man auf eine Person abstellen, die sich lediglich mit denjenigen Fragen befasst, die auch der Computer prüft. Da der allenfalls täuschungsfähige Umstand, die fehlende Berechtigung zur Kartenverwendung, mangels PIN-Abfrage aber gerade nicht vom Datenverarbeitungssystem überprüft wird, fehle es an der erforderlichen Betrugsähnlichkeit. Während weitere Tatbestände des Computerstrafrechts ebenfalls nicht erfüllt seien, hält das OLG Hamm neben § 274 Abs. 1 StGB lediglich § 303a StGB für verwirklicht, der allerdings im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktrete.


D. In der Prüfung

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Täuschung über Tatsachen

b. Irrtum

c. Vermögensverfügung

d. Vermögensschaden

2. Subjektiver Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit und Schuld


E. Literaturhinweise

Heghmanns, Michael, Entscheidungsanmerkung ZJS 2020, 494-498.

 
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