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Entscheidung der Woche 43-2020 (ÖR)

Daniel Müller

Das freie Mandat aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann beeinträchtigt werden, wenn die Büroräumlichkeiten des Abgeordneten ohne dessen Zustimmung von Dritten betreten werden.

Aktenzeichen & Fundstelle

BVerfG, Beschl. v. 09.06.2020 – 2 BvE 2/19

in: NVwZ 2020, 1102 (m. Anm.)

 

A. Leitsätze

Das freie Mandat aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann beeinträchtigt werden, wenn die Büroräumlichkeiten des Abgeordneten ohne dessen Zustimmung von Dritten betreten werden.


B. Sachverhalt (verkürzt)

Abgeordneter A ist Mitglied der L-Fraktion im Deutschen Bundestag. Anlässlich des Staatsbesuchs des türkischen Staatspräsidenten am 29.09.2018 wurden in Berlin Straßensperrungen vorgenommen. Innerhalb des gesperrten Gebiets befand sich das Abgeordnetenbüro des A. An den Fenstern des Büros waren mehrere Abbildungen von Zeichen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in Syrien in Papierform angebracht. Nach Aufhebung der Straßensperrungen nahmen Beamte der Polizei beim Deutschen Bundestag Notiz von den Abbildungen. Versuche, den in diesem Zeitpunkt abwesenden A zu kontaktieren, unternahmen die Beamten nicht. Sie betraten das Büro des A und nahmen die Plakatierungen ab. A begehrt im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung, dass er durch das Betreten seiner Räume in seinen verfassungsmäßigen Rechten als Abgeordneter verletzt worden sei. Die Beamten berufen sich auf § 23 der Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst beim Deutschen Bundestag (DA-PVD), der der Polizei das Betreten eines Raumes zur Abwehr einer Gefahr gestattet.


C. Anmerkungen

Da es in der Entscheidung um verfassungsmäßige Statusrechte des A und nicht um seine Grundrechte geht, ist das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG einschlägig. Das BVerfG beschäftigt sich ausführlich mit der Reichweite der Freiheit des Mandats hinsichtlich der den Abgeordneten zugewiesenen Infrastruktur. Diese sieht das Gericht durch das Betreten des Abgeordnetenbüros als beeinträchtigt an und begründet dies mit der Gefahr, dass Arbeitsinhalte und Kommunikationsmittel ohne Willen des Abgeordneten nach außen dringen könnten.

Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung zieht das BVerfG die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten in Art. 40 Abs. 2 GG heran. Ob diese als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Bundestagspolizei genügt, lässt es zwar offen. Das Betreten genüge jedoch bereits den Anforderungen des Art. 40 Abs. 2 GG nicht, da es gegen § 23 DA-PVD verstoße. Dieser binde den Bundestag als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift. Das Betreten des Büros ohne Zustimmung des A befand das Gericht jedenfalls für unverhältnismäßig, was wiederum eine Verletzung der Abgeordnetengleichheit aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bedeute. Daher sei diese Maßnahme auch nicht von Art. 40 Abs. 2 GG gedeckt und könne nicht gerechtfertigt werden.


D. In der Prüfung

A. Zulässigkeit

B. Begründetheit

Verletzung der Freiheit des Mandats aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG?

I. Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

1. Art. 40 Abs. 2 GG als taugliche EGL?

2. Voraussetzungen des Art. 40 Abs. 2 GG

Selbstbindung durch § 23 DA-PVD?

a. Tatbestandsvoraussetzungen

b. Rechtsfolge

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (!)


E. Vertiefungshinweise

Ramm, NVwZ 2010, 1461;

Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2016, 314.

 

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