Entscheidung der Woche 43-2023 (ZR)
Niklas Hüneburg
Eine Haftung des Tierhalters kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein Mensch durch eine vom Tier herbeigeführte Gefahr für ein anderes Tier zu helfendem Eingreifen veranlasst sieht.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: OLG Frankfurt - 4 U 249/21
in: NJW-RR 2023, 456
A. Orientierungs - oder Leitsätze
Eine Haftung des Tierhalters kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein Mensch durch eine vom Tier herbeigeführte Gefahr für ein anderes Tier zu helfendem Eingreifen veranlasst sieht.
B. Sachverhalt
Nach einer verschneiten Nacht wollen die Klägerin (K) und der Beklagte (B), die Nachbarn sind, auf ihrem jeweiligen Grundstück den gefallenen Schnee räumen. Allerdings ist der K nicht bewusst, dass sich unter dem Schnee auf ihrem Grundstück eine rutschige Eisschicht gebildet hat. Während nun B sein Grundstück vom Schnee befreite, gelangte sein Hütehund auf den Hof der K. Schließlich griff dieser den Kater der K an und packte ihn am Kopf. Aus Angst um ihren Kater griff die K zu ihrem Besen und lief auf die miteinander kämpfenden Tiere zu. Folgend versuchte sie mit Besenschlägen, die Tiere auseinanderzubringen, um ihren Kater zu retten. Aufgrund des vereisten Bodes rutsche sie jedoch so aus, dass sie sich sowohl am Hand- als auch Kniegelenk schmerzhafte und langwierige Verletzungen zuzog. Nun verlangt die K vom B neben dem Ersatz sämtlicher materieller und nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden auch ein angemessenes Schmerzensgeld.
C. Anmerkungen
Die Tierhalterhaftung spielt in Anfängerklausuren eher eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl kann sie in einer Fortgeschrittenen- oder Examensklausur durchaus vorkommen. Der vorliegende Fall verdeutlicht vor allem aber, welche Bedeutung der Zurechnung von Rechtsgutsverletzungen bei deliktischen Ansprüchen beigemessen werden sollte. In der Regel stellt die Zurechnung sogar den Schwerpunkt einer Prüfung dar und muss daher besonders sorgfältig erfolgen.
K rutschte auf der eisigen Oberfläche aus und erlitt damit schmerzhafte und langwierige Verletzungen ihres Hand- und Kniegelenks, womit eine Verletzung der durch § 833 S. 1 BGB geschützten Rechtsgüter Körper und Gesundheit besteht.
Diese Rechtsgutsverletzungen müssten jedoch durch ein Tier verursacht worden sein. Ein Hütehund erfüllt zunächst unproblematisch den Tierbegriff des § 833 S. 1 BGB. Außerdem ist erforderlich, dass sich eine spezifische Tiergefahr realisiert hat. Dies ist die Gefahr, die der tierischen Natur entspringt und sich in der Unberechenbarkeit und Selbstständigkeit des tierischen Verhaltens äußert. Das OLG Frankfurt machte in der Entscheidung deutlich, dass das vorinstanzliche Gericht verkannt hatte, dass auch bei einer Haftung gem. § 833 S. 1 BGB keine unmittelbare Rechtsgutsverletzung notwendig ist, sondern die Verletzung adäquat kausal auf ein Tierverhalten zurückzuführen sein muss, weshalb auch ein mittelbarer Zusammenhang gneügt. Hier erlitt die K nicht unmittelbar durch Bisse oder Kratzer des Hundes ihre Verletzungen. Stattdessen stürzte sie, als sie aufgrund des Angriffs des Nachbarhundes zur Rettung ihres Katers veranlasst wurde. Der Angriff des Hundes war adäquat kausal für ihre Verletzungen. Damit erfolgte die Rechtsgutsverletzung durch ein Tier. Weiterhin verwendet B seinen Hütehund im eigenen Interesse. Ihm steht die Bestimmungsmacht über seinen Hund zu und er trägt das wirtschaftliche Risiko für diesen. Damit ist B der Tierhalter des Hütehundes. Schließlich ist fraglich, ob ein Fall der Garantiehaftung besteht oder ob sich B gem. § 833 S. 2 BGB exkulpieren muss. Wenn es sich bei dem Hütehund um ein Luxustier und nicht um ein Nutztier handelt, greift die verschuldensunabhängige Haftung. Ein Luxustier dient weder dem Erwerb, Beruf oder dem Unterhalt des Tierhalters. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um einen Hütehund, der speziell für Hirten gezüchtet wurde, jedoch nutzt B seinen Hund nicht für berufliche Zwecke, womit es sich um ein Luxustier handelt. Mithin ist ein Verschulden des B nicht erforderlich.
Das OLG Frankfurt stellte zunächst nur die Haftung nach § 833 S. 1 BGB dem Grunde nach fest. Für die Ermittlung der Höhe des Schadensersatzes war noch Beweis zu erheben.
D. In der Prüfung
Anspruch auf Schadensersatz gem. § 833 S. 1 BGB
I.Verletzung eines Rechtsguts i.S.d. § 833 S. 1 BGB
II. Durch ein Tier
III. Tierhalter
IV. Verschulden
V. Schaden, §§ 249 ff.
E. Literaturhinweise
Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 27;
Schulze/Ansgar/Staudinger, § 833 Rn. 5;
Zur mittelbaren Verursachung: OLG Schleswig NJW-RR 2006, 893 (894).