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Entscheidung der Woche 44-2022 (ZR)

Roman-Hendrik Wilms

Bei der Prüfung, ob die Klage „demnächst“ zugestellt worden ist, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse des Klägers in die für die Bewertung als unmaßgebliche Verzögerung bedeutsame Frist nicht mit einzurechnen.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH VIa ZR 275/21

in: NJW 2022, 2196

MDR 2022, 557

WM 2022, 745

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

1. Bei der Prüfung, ob die Klage „demnächst“ zugestellt worden ist, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse des Klägers in die für die Bewertung als unmaßgebliche Verzögerung bedeutsame Frist nicht mit einzurechnen (Anschluss an BGH, Urteil vom 25. September 2015 – V ZR 203/14, NJW 2016, 568 Rn. 11; Urteil vom 29. September 2017 – V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 6; Urteil vom 17. Mai 2019 – V ZR 34/18, NJW-RR 2019, 976 Rn. 13).

2. Hat der Kläger alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insbesondere den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt, sind er und sein Prozessbevollmächtigter im Weiteren grundsätzlich nicht mehr gehalten, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfragen auf die beschleunigte Zustellung hinzuwirken (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – IV ZR 23/05, BGHZ 168, 306 Rn. 20 f.; Urteil vom 1. Oktober 2019 – II ZR 169/18, juris Rn. 10).


B. Sachverhalt

Der Kläger nahm die Beklagte wegen Schadenersatz in Anspruch. Am 27. Dezember 2018 reichte er Klage per Telefax und am 28. Dezember 2018 im Original ein. Am 8. Januar 2019 ist eine Vorschussrechnung, gerichtet an seinen Prozessbevollmächtigten, erstellt worden, deren Zugang der Kläger bestritten hat. Weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter haben in der ersten Jahreshälfte 2019 Nachfrage nach dem Verbleib der Vorschussrechnung gehalten. Der Kläger hat lediglich mit Schriftsatz vom 29. April 2019 eine Reduktion seines Zahlungsantrags vorgenommen. Am 11. Juli 2019 ist eine Vorschussrechnung an den Kläger persönlich gestellt worden. Der Vorschuss ist am 7. August 2019 bezahlt worden. Danach sind die Akten weggelegt worden. Mit Schriftsatz vom 16. April 2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Kläger angefragt, wann mit einer Terminierung zu rechnen sei, bislang fehle eine Bestätigung der Klagezustellung an die Beklagte. Nach der Überprüfung des Zahlungseingangs durch das Landgericht ist die Klage der Beklagten am 22. Mai 2020 zugestellt worden. Diese erhob die Einrede der Verjährung. Daraufhin wies das Landgericht die Klage wegen Verjährung ab.

Ergänzung: Es ist davon auszugehen, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB mit Ablauf des Jahres 2019 endete. 


C. Anmerkungen

Im vorliegenden Fall gingen die Vorinstanzen fälschlicherweise davon aus, dass die Ansprüche verjährt seien. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger durch die Erhebung der Klage die laufende Verjährungsfrist nicht rechtzeitig nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt habe, hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klage wurde der Beklagten zwar erst am 22. Mai 2020 zugestellt, die Zustellung wirkte aber gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage Ende Dezember 2018 zurück. Die Wirkungen der Zustellung treten gemäß § 167 ZPO bereits mit Eingang der Klage ein, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt. Der Begriff ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof im Wege einer wertenden Betrachtung auszulegen. Die Parteien müssen vor Nachteilen durch Verzögerungen fremden Verschuldens bewahrt werden, denn diese können sie nicht beeinflussen. Es gibt keine absolute zeitliche Grenze, auch dann nicht, wenn es zu einer mehrmonatigen Verzögerung kommt. Den Parteien sind nur  Verzögerungen zurechenbar, welche nicht nur geringfügig sind und schuldhaft durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges- Verhalten verursacht wurden.

Maßgeblich ist die Verzögerung des für die Zustellung ohnehin erforderlichen Zeitraums durch das Verschulden der Partei. Eine Verzögerung von bis zu vierzehn Tagen vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist gerechnet gilt regelmäßig als geringfügig. Wird die Klage vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, aber erst nach Ablauf der Frist zugestellt, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse nicht mit einzurechnen. Die Partei darf die ihr eingeräumte Frist bis zum letzten Tag ausnutzen. Im vorliegenden Fall ist auch die Verzögerung der Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses bedeutungslos, da dies noch vor Fristablauf und damit rechtzeitig von dem Kläger nachgeholt wurde.


D. In der Prüfung

I. Eingang bei Gericht

II. Zustellungsverzögerung durch fremdes Verschulden

III. Keine Zustellungsverzögerung durch Eigenverschulden

1. Bloß geringfügige Verzögerungen

2. Schuldhafte Verzögerungen vor Ablauf der Frist


E. Literaturhinweise

MüKoZPO/Häublein/Müller, 6. Auflage 2020,  § 167 Rn. 7-20.

 
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