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Entscheidung der Woche 44-2024 (ÖR)

Patrick Carl Cordaro

§ 20a S. 1 Hessisches Verfassungsschutzgesetz (HSVG) vom 20.07.2023 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen S. 614) verstößt, soweit er auf § 20a Satz 3 HSVG Bezug nimmt, gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.

Aktenzeichen und Fundstelle

Az.: BVerfG, Beschl. v. 17.07.2024 - 1 BvR 2133/22

Fundstelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/07/rs20240717_1bvr213322.html

 

A. Leitsätze (gekürzt)

1. § 20a S. 1 Hessisches Verfassungsschutzgesetz (HSVG) vom 20. Juli 2023 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen S. 614) verstößt, soweit er auf § 20a Satz 3 HSVG Bezug nimmt, gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.

2. Technische Mittel nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 HSVG dürfen, soweit kein Fall des § 9 Abs. 2 HSVG vorliegt, nur zur punktuellen und nicht längerfristigen Nachverfolgung der Bewegungen des Mobilfunkendgerätes einer beobachteten Person eingesetzt werden.

3. Für besondere Auskunftsersuchen nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 HSVG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 2-5 HSVG, sowie nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 Nr. 1 und 2 HSVG müssen auch tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die es möglich erscheinen lassen, dass die Schutzgüter des Verfassungsschutzes konkret bedroht sind und dass das gegen sie gerichtete Handeln erfolgreich sein kann.

4. Die Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangter personenbezogener Daten nach § 20b Abs. 2 HSVG an inländische öffentliche Stellen, die über operative Anschlussbefugnisse verfügen, ist nur zulässig, wenn eine mindestens konkretisierte Gefahr vorliegt.


B. Sachverhalt

Nach der Änderung des HSVG als Reaktion auf das Urteil des BVerfG zum Bayerschen Verfassungsschutzgesetz in 2023 reichten erneut fünf Personen Verfassungsbeschwerde ein. Die Beschwerde bezog sich auf verschiedene Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse, mitunter Regelungen zur Handyortung, zur Abfrage von Flugdaten und zum Einsatz verdeckter Ermittler. Diese sollen nach Verfahren gem. HSVG das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen, welches Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG ist.


C. Anmerkungen

Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg. Eine Handortung, wie in § 9 Abs. 1 Nr. 2 HSVG vorgesehen, ist ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, da er eine enge und vor Allem lange Überwachung der Bewegung erlaube. Es fehle an einer gesteigerten Beobachtungsbedürftigkeit, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen.

Auch die Eingriffsschwelle für verdeckte Ermittlungen hält das BVerfG für zu niedrig und damit für verfassungswidrig.

Auch bei Abfrage persönlicher Flug- und Reisedaten ist aufgrund ihrer niedrigen Eingriffschwelle verfassungswidrig. Selbst wenn sich die Abfrage also nur auf einen Zeitraum beschränke, könne so dennoch eine weitreichendere Reise- und Fortbewegung nachvollzogen werden. Eine genaue Beschränkung der Abfrage fehle. Auch die Übermittlung von nachrichtendienstlich ermittelten persönlichen Daten an Behörden der Strafverfolgung bei einem Verdacht besonders schwerer Straftaten aus § 20a HSVG gilt als verfassungswidrig. Hier fehlt es der Legaldefinition der besonders schweren Straftaten in § 20a HSVG an Gewicht.

§ 20 a S. 1 erklärt das BVerfG sodann als nichtig, zumindest, wenn er sich auf S. 3 bezieht. Der hessische Gesetzgeber hat nun Zeit nachzubessern.


D. In der Prüfung

Rechtssatzsverfassungsbeschwerde

I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

1. Zuständigkeit

2. Beteiligtenfähigkeit

3. Prozessfähigkeit

4. Tauglicher Beschwerdegegenstand

5. Beschwerdebefugnis

a) Möglichkeit der Grundrechtsverletzung

b) (P) Betroffenheit des Beschwerdeführers

6. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität

7. Form und Frist

II. Begründetheit

Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung


E. Literaturhinweise

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/1bvr213322-bverfg-verfassungsschutz-hessen-sicherheit-grundrechte

 

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