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Entscheidung der Woche 45-2022 (SR)

Kevin Schmolowski

Um den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB (Herbeiführen eines Unglücksfalls) zu qualifizieren, muss die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, dass sich gerade eine von ihm herbeigeführte verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht.

Aktenzeichen & Fundstelle

Az.: BGH 4 StR 167/21

in: NStZ 2022, 298NJW 2022, 409

 

A. Orientierungs- oder Leitsatz

Um den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB (Herbeiführen eines Unglücksfalls) zu qualifizieren, muss die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, dass sich gerade eine von ihm herbeigeführte verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht.


B. Sachverhalt

Der Angeklagte befand sich zur Tatzeit in einer stationären Alkoholentwöhnungstherapie. Am Abend des Tattags fuhr der Angeklagte mit einem Fahrrad umher. Noch bei Tageslicht gelangte er an eine etwa sieben Meter hohe Brücke, welche über eine Bundesstraße führt. Daraufhin ergriff er 14 teilweise scharfkantige Schottersteine mit einem Gesamtgewicht von etwa 470 Gramm, um diese von der Brücke auf einen Pkw fallen zu lassen. Dabei ging es ihm darum, Wut und Frust auf seine Mitpatienten durch den „Aufprall der Steine auf einem Fahrzeugdach und damit etwaig einhergehenden Beschädigungen“ abzubauen. Um keinen Menschen zu töten, zu verletzen oder zu gefährden, nahm er keine großen Steine. Anschließend beobachtete der Angeklagte ein Fahrzeug, welches sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 bis 80 km/h näherte, schätzte den Moment ab und ließ die Steine fallen. Die Steine trafen das Dach des Pkw und verursachten einen Sachschaden i.H.v. 4.800 EUR. Der Angeklagte hielt es nicht für möglich, dass die Steine die Frontscheibe des Fahrzeugs und den Insassen treffen würden. Die durch den Aufprall entstandenen Geräusche veranlassten den Geschädigten auch nicht zu einem unkontrollierten Fahrmanöver. Der Angeklagte nahm den eingetretenen Sachschaden, im Gegensatz zu dem Tod, der Verletzung oder eine Gefährdung der Insassen, billigend hin.


C. Anmerkungen

Im vorliegenden Fall hatte das LG Verden den Angeklagten wegen vorsätzlichem gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung verurteilt. Hierauf beanstandete die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung des materiellen Rechts gestützten Revision, dass der Angeklagte nicht auch wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist. Das zuungunsten eingelegte Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Vielmehr führte es aufgrund eines Rechtsfehlers zur Aufhebung des Urteils. Dabei halten zunächst die Beweiserwägungen des Landgerichts, welches einen bedingten Tötungsvorsatz verneinte, rechtlicher Überprüfung stand. Dass die Strafkammer in der geminderten objektiven Gefährlichkeit der Tatmittel ein maßgebliches Indiz gegen einen bedingten Tötungsvorsatz gesehen hat, ist eine tatrichterliche Wertung, gegen die aus Rechtsgründen nichts  einzuwenden ist. Auch die billigende Inkaufnahme eines Unfalls und des Todes der Insassen durch den Angeklagten überzeugte die Strafkammer nicht. Daneben ist die Verneinung eines bedingten Körperverletzungsvorsatzes und eines Gefährdungsvorsatzes des Angeklagten rechtsfehlerfrei. Zusätzlich ist der Qualifikationstatbestand gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB nicht verwirklicht, da es dem Täter hierbei darauf ankommen muss einen Unglücksfall dadurch herbeizuführen, dass sich die von ihm verursachte konkrete Gefahr verwirklicht. Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB kann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt.

Dies ist jedoch nur zu bejahen, wenn der Fortbewegung des von dem Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht. Da der Angeklagte jedoch lediglich das Dach des Pkw beschädigen wollte, sind diese Anforderungen nicht erfüllt, da sich sein Vorstellungsbild nicht auf die Verwirklichung einer verkehrsspezifischen Gefahr richtet, sondern sich in der Herbeiführung einer Sachbeschädigung erschöpft. Die Feststellungen tragen darüber hinaus auch nicht die Annahme, dass sich der Angeklagte wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gemacht hat, da der Eintritt einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr als Folge des Abwurfs der Steine dem Urteil nicht entnommen werden konnte. Zwar hat der Angeklagte i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingegriffen, der Fahrzeugführer konnte aber den Pkw unbeeinträchtigt weiterführen, sodass es in der Folge nicht zu einer kritischen Verkehrssituation im Sinne eines „Beinaheunfalls“ kam. Mit dem Eintritt des Sachschadens am Dach des Pkw verwirklichte sich infolgedessen keine verkehrstypische Gefahr.


D. In der Prüfung

I. Objektiver Tatbestand

1. Tathandlung: Eingriff in den Straßenverkehr durch Nr. 1 – 3

2. Taterfolg

II. Subjektiver Tatbestand

1. Vorsatz

2. Absicht einen Unglücksfall herbeizuführen (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a)


E. Literaturhinweise

MüKoStGB/Pegel, 4. Auflage 2022, § 315 Rn. 88-91.

 

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