Entscheidung der Woche 46-2023 (ZR)
Benjamin-Karim Tebbeb
Einem Verbraucher kommt das Recht, einen Fernabsatzvertrag zu widerrufen, bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen,...
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: EuGH - C-565/22
in: NJW 2023, 3417
GRUR 2023, 1551
A. Orientierungssatz
Einem Verbraucher kommt das Recht, einen Fernabsatzvertrag zu widerrufen, bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen, der für den Verbraucher anfangs einen kostenlosen Zeitraum vorsieht, dem sich – falls der Verbraucher den Vertrag in diesem Zeitraum nicht kündigt oder widerruft – ein kostenpflichtiger Zeitraum anschließt, der sich, wenn dieser Vertrag nicht gekündigt wird, automatisch um einen bestimmten Zeitraum verlängert, nur ein einziges Mal zu, sofern er beim Abschluss dieses Vertrags vom Unternehmer in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informiert wird, dass die Erbringung dieser Dienstleistung nach dem anfänglich kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird.
B. Sachverhalt
Ein Verbraucher schließt im Fernabsatz einen Abonnementvertrag ab, welchem Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zugrunde liegen. Nach diesen kann das Abonnement bei erstmaliger Buchung 30 Tage ab Vertragsschluss kostenlos getestet und während dieser Zeit jederzeit fristlos gekündigt werden. Nach Ablauf der 30-tägigen Testphase wird das Abonnement kostenpflichtig und die bei Vertragsschluss vereinbarte Abonnementlaufzeit beginnt zu laufen. Wenn der kostenpflichtige Abonnementzeitraum abläuft, ohne dass eine Kündigung erfolgt ist, verlängert sich das Abonnement automatisch auf bestimmte Zeit. Der Unternehmer hat den Verbraucher beim Vertragsschluss über das ihm zustehende Widerrufsrecht gem. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/83/EU (vgl. § 312g Abs. 1 BGB) informiert.
C. Anmerkungen
Das Verbraucherwiderrufsrecht gem. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/83/EU (vgl. § 312g Abs. 1 BGB) spielt regelmäßig eine entscheidende Rolle in den universitären Prüfungsleistungen. Dabei ist die vorliegende EuGH-Entscheidung hervorragend als Klausuraufhänger geeignet, in Rahmen dessen es sich anbietet, dass Argumentieren mit den Erwägungsgründen einer abgedruckten EU-Richtlinie zu prüfen.
In seiner Vorlagefrage hatte der EuGH zu entscheiden, ob Verbrauchern aufgrund der Umwandlung eines zunächst kostenlosen Abonnements in ein kostenpflichtiges ein erneutes Widerrufsrecht nach dieser Norm zusteht. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist die Zielsetzung des Verbraucherwiderrufs. Ziel des Widerrufsrechts ist es nach dem Erwägungsgrund 37 der Richtlinie, dem Verbraucher, der bei Fernabsatzverträgen die Ware nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, die Möglichkeit zu geben, die Ware zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise der Waren festzustellen.
Hierdurch soll zusätzlich das Recht einer informierten Entscheidung des Verbrauchers, die alle Vertragsbedingungen und die Folgen des Abschlusses des betreffenden Vertrags berücksichtigt, gefördert werden, so dass dieser Verbraucher entscheiden kann, ob er sich vertraglich an den Unternehmer binden möchte. Dabei stellt der EuGH fest, dass diese Erwägung ebenso für Dienstleistungen gilt. Indes rechtfertigt diese Zielsetzung kein weiteres Widerrufsrecht, wenn sich ein zunächst kostenloser Probezeitraum in ein kostenpflichtiges Abonnement umwandelt und damit keine wesentliche Vertragsänderung einhergeht. In diesem Fall ändern sich die vom Verbraucher bereits zur Kenntnis genommenen Vertragsbedingungen nicht, sodass er bereits die Möglichkeit i.S.d. Erwägungsgrundes 37 der Richtlinie hatte, sich über die Eigenschaften der Dienstleistung sowie den Umfang der vertraglichen Bindung ausreichend bewusst zu werden.
Anders wäre jedoch zu entscheiden, wenn der Unternehmer den Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht über den Umfang seiner Zahlungspflicht sowie der neuen Vertragsdauer nach Ablauf des kostenlosen Testzeitraums vollumfänglich i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. e, 8 Abs. 2 RL 2011/83/EU (vgl. § 312d Abs. 1 S. 1 BGB) informiert hat.
D. In der Prüfung
Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistung gem. § 357 Abs. 1 BGB
I. Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB
II. Widerrufsrecht gem. § 312g Abs. 1 BGB (P)
E. Literaturhinweise
Staudinger/Thüsing (2019) BGB § 312g Rn. 1 ff.;
BeckOGK/Busch BGB § 312g Rn. 0-77.2.