Entscheidung der Woche 48-2020 (SR)
Felix Lücke
Der qualifikationsspezifische Risikozusammenhang im Sinne des § 251 StGB wird nicht dadurch unterbrochen, dass die behandelnden Ärzte mit Blick auf eine wirksame Patientenverfügung in rechtmäßiger Weise von einer Weiterbehandlung des moribunden Raubopfers absehen.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH 3 StR 574/19
in: BeckRS 2020, 28978
A. Orientierungs- oder Leitsatz
Der qualifikationsspezifische Risikozusammenhang im Sinne des § 251 StGB wird nicht dadurch unterbrochen, dass die behandelnden Ärzte mit Blick auf eine wirksame Patientenverfügung in rechtmäßiger Weise von einer Weiterbehandlung des moribunden Raubopfers absehen.
B. Sachverhalt
Die bereits schwerkranke, 84-jährige O befand sich gerade zu Fuß und gestützt durch ihren Rollator auf dem Rückweg von ihrer Bank, bei der sie EUR 600,00 abgehoben und in ihrer Tasche im Rollator verstaut hatte. Deren Schnalle war fest am Rollator befestigt. Auf seinem Fahrrad näherte sich ihr sodann von hinten T. Dieser erkannte, dass die Tasche fest mit dem Rollator verbunden war, zog dennoch heftig an ihr und riss O damit den gesamten Rollator aus den Händen, wodurch diese das Gleichgewicht verlor und mit ihrem Kopf ungebremst auf einen Pflasterstein stieß. Dieser Ablauf war für T ohne Weiteres vorauszusehen. O wurde notoperiert, erlangte ihr Bewusstsein nach der Operation aufgrund einiger Komplikationen aber nicht mehr wieder. In Übereinstimmung mit einer Patientenverfügung der O und ihren Angehörigen behandelten ihre Ärzte sie nach weiteren erfolglosen Rettungsversuchen nur noch palliativ. Einige Tage später verstarb O.
Hat sich T wegen Raubes mit Todesfolge gem. § 251 StGB strafbar gemacht?
C. Anmerkungen
Unproblematisch liegt ein Raub gem. § 249 Abs. 1 StGB vor. T hat O ihre Handtasche unter Anwendung von Personengewalt weggenommen. Vorsatz, Absicht rechtswidriger Zueignung sowie Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben. Problematisch könnte dagegen die Annahme der Erfolgsqualifikation des § 251 StGB sein. Hiernach wird bestraft, wer durch den Raub wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht. Der konkrete Tod der A
im Krankenhaus wurde jedenfalls durch den Raub verursacht. Fraglich ist aber, ob auch der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang vorliegt, ob sich im Tod der O also gerade die dem Raubtatbestand innewohnende spezifische Gefahr realisiert hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist hierfür zwar kein finaler Bezug zwischen Wegnahmehandlung und Todeserfolg, aber die Verwirklichung der der Raubtat innewohnenden besonderen Gefährlichkeit erforderlich. Gerade durch das Eingreifen Dritter oder des Opfers selbst könne dieser Risikozusammenhang unterbrochen werden. Insoweit könnte hier die unterbliebene Weiterbehandlung durch das Ärzteteam zu einem Ausschluss der Strafbarkeit des T aus § 251 StGB führen. Zunächst setzten die Ärzte mit ihren gescheiterten Rettungsversuchen kein neues, strafrechtlich relevantes Risiko, sondern versuchten lediglich, die Realisierung des von T geschaffenen Risikos abzuwenden. Auch in der auf Grundlage der vorhandenen Patientenverfügung gefassten Entscheidung, die lebensverlängernden Maßnahmen einzustellen, liegt nach Auffassung des BGH keine „neue Todesgefahr“. Mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der O in Gestalt ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben sei ihr in der Patientenverfügung geäußerter Wille, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, als rechtsordnungskonform zu respektieren. Der Risikozusammenhang sei damit letztlich auch nicht durch die unterbliebene Weiterbehandlung der O unterbrochen. A habe sich daher gem. § 251 StGB strafbar gemacht.
D. In der Prüfung
Strafbarkeit des A gem. § 251 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) §§ 249, 250, 252 StGB
b) Tod eines Menschen
c) Kausalität, obj. Zurechnung
d) Tb.-spez. Gefahrzusammenhang
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
E. Zur Vertiefung
Zum Raub mit Todesfolge Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I – Vermögensdelikte, 22. Aufl. 2020, § 9 (insb. Rn. 3ff.).