Entscheidung der Woche 48-2023 (ÖR)
Jasmin Wulf
Zur präventiven Kontrolle bauordnungsrechtlicher und bauplanungsrechtlicher Gesichtspunkte stellt ein Campingplatz kraft gesetzlicher Fiktion eine bauliche Gesamtanlage dar.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 - 1 K 172/23.KO
in: BeckRS 2023, 25477
A. Redaktionelle Leitsätze
1. Zur präventiven Kontrolle bauordnungsrechtlicher und bauplanungsrechtlicher Gesichtspunkte stellt ein Campingplatz kraft gesetzlicher Fiktion eine bauliche Gesamtanlage dar.
2. Für das Vorliegen der Genehmigungsbedürftigkeit ist zwischen der Instandsetzung und der Neuerrichtung abzugrenzen. Wenn die Identität der vorhandenen Anlage durch die beabsichtigten Baumaßnahmen noch gewahrt wird, ist von einer Instandsetzung auszugehen. Werden jedoch erhebliche bauordnungsrechtliche Prüfungen erforderlich oder erreichen die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau, ist eine Neuerrichtung gegeben.
3. Für das Vorliegen von Bestandsschutz ist ein bestandsschutzfähiger Bestand notwendig, der als Mindestvoraussetzung ein Minimum an baulicher Verfestigung der Nutzung erfordert.
B. Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Feststellung der Genehmigungsfreiheit des Wiederaufbaus seines Campingplatzes. Dieser wurde durch die Flutkatastrophe an der Ahr 2021 zerstört. Auf dem Campingplatz existierten zwei Betriebsgebäude, die zwar stark beschädigt wurden, in Teilen aber weiterhin noch vorhanden sind. Vor allem das Mauerwerk besteht noch, sodass laut Kläger keine statischen Neuberechnungen anzustellen sein. Der gesamte Oberboden des Campingplatzes wurde hingegen durch die Flut weggeschwemmt. Der Kläger hatte für beide Gebäude jeweils eine Baugenehmigung erhalten und meinte daher, dass er seinen Campingplatz wieder aufbauen dürfe, ohne hierfür eine Baugenehmigung beantragen zu müssen. Der beklagte Landkreis lehnte dies nun ab. Dagegen wendete der Kläger sich vor dem VG Koblenz.
C. Anmerkungen
Auch das VG Koblenz kam der begehrten Feststellung der Genehmigungsfreiheit nicht nach. Die 1. Kammer entschied, dass der Wiederaufbau ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben sei. Nach § 61 LBauO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung sowie der Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 LBauO grundsätzlich einer Baugenehmigung, soweit in den §§ 62, 67, 76 und 84 LBauO nichts anderes bestimmt ist.
Der Campingplatz stellt kraft gesetzlicher Fiktion eine bauliche Gesamtanlage in diesem Sinne dar (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 LBauO). Dessen geplanter Wideraufbau, der keinem Ausnahmetatbestand entfällt, ist eine (Neu-)Errichtung i.S.d. § 61 LBauO. Die Errichtung einer Anlage erfasst auch Fälle des Neu- bzw. Wiederaufbaus einer Anlage am gleichen Ort nach ihrer Zerstörung oder gravierenden Beschädigung infolge von Naturgewalten. Die Neuerrichtung ist abzugrenzen zu einer bloßen Instandsetzung eines Bestandes. Diese ist anzunehmen, wenn die Identität der vorhandenen Anlage durch die beabsichtigte Baumaßnahme noch gewahrt wird. Ist dagegen ein Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv, dass er eine abordnungsrechtliche Prüfung erfordert, etwa weil die Standfestigkeit eines betroffenen Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich ist, oder erreichen die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau oder übersteigen sie diesen, liegt eine genehmigungsbedürftige Errichtung vor.
Der vom Kläger beabsichtige Wiederaufbau des Campingplatzes ist gemessen daran keine Instandsetzung, sondern eine Neuerrichtung. Wegen der Fiktion ist auf die Gesamtanlage des Campingplatzes abzustellen, nicht nur auf die beiden Gebäude. Dazu gehören insbesondere auch die Stellplatzflächen nebst Erschließungsanlagen und der weiteren zum Betrieb des Campingplatzes benötigten Infrastruktur. Diese Flächen sind jedoch vollständig durch die Hochwasserkatastrophe zerstört worden. Deshalb ist von einer die Genehmigungspflicht auslösenden Neuerrichtung des Gesamtanlage des Campingplatzes auszugehen. Die nicht vorhandene Baugenehmigung ist auch nicht aus Gründen des Bestandsschutzes ausnahmsweise entbehrlich. Die Baugenehmigungen für die beiden Gebäude entfalten keine Legalisierungswirkung für die Gesamtanlage. Selbst wenn das der Fall wäre, wäre sie aufgrund der Zerstörung der Fläche gegenstandslos geworden, denn im Falle der Zerstörung oder gravierenden Beschädigung einer Anlage erledigt sich eine vorhandene Baugenehmigung.
D. In der Prüfung
A. Zulässigkeit
Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 1. Alt. VwGO
B. Begründetheit
I. Genehmigungsbedürftigkeit
1. Campingplatz als Gesamtanlage
2. Abgrenzung zwischen Neuerrichtung und Instandsetzung
3. Ausnahmen
II. Bestandsschutz
C. Ergebnis
E. Literaturhinweise
BeckOK Bauordnungsrecht Niedersachsen/Kemper, Stand 01.08.2023, § 70 Rn. 28 ff;
Beckmann, Der baurechtliche Bestandsschutz - eine systemtische Darstellung über das Wesen und die Reichweite desselben, KommJur 2014, 401.