Entscheidung der Woche 50-2019 (SR)
Nathalie Hamm
Die Entsorgung von Lebensmitteln eines Supermarktes in einen Abfallcontainer beinhaltet nicht zwingend einen Eigentumsverzicht.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BayObLG München - 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19
in: BeckRS 2019, 24051
A. Orientierungs- oder Leitsatz
1. Herrenlos und damit nicht „fremd“ i. S. d. § 242 StGB sind u.a. Sachen, bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz an der Sache aufgibt (§ 959 StGB). Der Verzichtswille braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er kann sich auch aus dem nach außen erkennbaren Verhalten des Eigentümers ergeben, z.B. durch Wegwerfen einer Sache. Ob in der Besitzaufgabe ein Eigentumsverzicht liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
2. Die Entsorgung von Lebensmitteln eines Supermarktes in einen Abfallcontainer beinhaltet nicht zwingend einen Eigentumsverzicht. Steht der Container vielmehr abgesperrt auf dem Firmengelände zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereit, macht der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar, dass keine Einwilligung in eine Mitnahme besteht, sondern das Eigentum nur zugunsten einer andere Person – dem Entsorgungsunternehmen – aufgegeben wird.
B. Sachverhalt
Die Angeklagten A und B begaben sich auf das Firmengelände des S-Marktes in den Anlieferbereich. Dort waren in einem verschlossenen Abfallcontainer Lebensmittel zur Abholung durch ein gesondert bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestellt worden. Diesen Container öffneten A und B mithilfe eines mitgebrachten Schraubenschlüssels, entnahmen zahlreiche Lebensmittel und verließen sodann das Gelände des S-Marktes.
C. Anmerkungen
Das BayObLG beschäftigt sich mit einer Strafbarkeit der Angeklagten wegen Diebstahls. Dabei ist bereits die Tauglichkeit der Lebensmittel als Tatobjekte i. S. d. § 242 Abs.1 StGB fraglich: Das Wegwerfen durch den Supermarktbetreiber könnte eine Dereliktion (vgl. § 959 BGB) darstellen, infolge derer die Lebensmittel herrenlos und damit nicht mehr „fremd“ wären.
Eine solche Dereliktion erfordert, dass der Eigentümer den Besitz an der Sache in der Absicht aufgibt, auf das Eigentum zu verzichten. Zwar muss dieser Verzichtswille nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch durch äußeres Verhalten zum Ausdruck kommen. Allerdings lassen weder die Wertlosigkeit der Sachen noch ihre Entsorgung in Abfalltonnen für sich genommen zwingend auf einen generellen Eigentumsverzichtswillen schließen. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls in die Bewertung einzubeziehen.
So ist hier maßgeblich, dass der Abfallcontainer auf dem Firmengelände der Eigentümerin stand und zusätzlich verschlossen war. Das Öffnen des Containers erforderte zwar kein Spezialwerkzeug, aber zumindest einen Schraubenschlüssel, den nicht jeder ständig bei sich führt. In dieser Absicherung kam daher der eindeutige Wille der Eigentümerin zum Ausdruck, den Inhalt gerade nicht dem Zugriff beliebiger Dritter auszusetzen. Das Eigentum sollte nur zugunsten des gesondert bezahlten Entsorgungsunternehmens aufgegeben werden, insbesondere auch da die Eigentümerin für die gesundheitliche Unbedenklichkeit der in Verkehr gebrachten Lebensmittel einzustehen hat. Für die Annahme einer Dereliktion bleibt daher in vorliegenden Fall kein Raum. Die Lebensmittel im Container waren also weiterhin fremd.
Das BayObLG erklärt damit aber nicht das sog. „Containern“ generell für strafbar. So wäre etwa die Entnahme von Lebensmitteln aus öffentlich zugänglichen Abfalltonnen möglicherweise anders zu beurteilen. In einer Klausur sollten alle Sachverhaltsangaben sorgfältig ausgewertet werden, um die Eigentumsverhältnisse schlüssig herauszuarbeiten. Zu beachten sind wegen des geringen Verkehrswertes der entsorgten Lebensmittel zudem § 248a und § 243 Abs.2 StGB. In der Praxis wird häufig eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153f. StPO in Betracht kommen.
D. In der Prüfung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Fremde bewegliche Sache
(P) Dereliktion gem. §959 BGB
E. Zur Vertiefung
Zur Dereliktion: Münchener Kommentar StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn.34-35.
Siehe auch Esser/Scharnberg, Anfängerklausur – Strafrecht: Containern, JuS 2012, 809.