Entscheidung der Woche 50-2023 (SR)
Laura Schlunk
§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Körperverletzung begeht.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: BGH 2 StR 459/21
in: NStZ 2023, 605
Beck RS 2023, 15360
A. Orientierungs - oder Leitsatz
§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Körperverletzung begeht. Das ist bei einem Unterlassen durch zwei Garanten nicht der Fall.
B. Sachverhalt
Die Angeklagte (A) brachte Mai 2015 ein gemeinsames Kind mit dem ebenfalls Angeklagten (B) zur Welt. Das Kind (K) wurde vollständig gesund geboren. Nach der Geburt kamen die Angeklagten nicht den Bedürfnissen von K nach. Insbesondere die Ernährung des K wurde vernachlässigt, woraufhin bei einer ärztlichen Untersuchung ein leichtes Untergewicht festgestellt wurde. Ein nachfolgender Kontrolltermin wurde nicht wahrgenommen. Aufgrund der angespannten finanziellen Lage und den depressiven Verstimmungen der A, wurde K in der Folgezeit weiter nicht ausreichend ernährt.
Im Mai 2019 vernahm A ein Röcheln aus dem Kinderzimmer der K, die sich in einem lebensgefährlichen Zustand befand. B konnte K nur noch im regungslosen Zustand auffinden. Im Krankenhaus wurde K wiederbelebt und ein "Hungerdarm" aufgrund von Mangelernährung festgestellt. Dieser hat bei K bleibende Entwicklungsschäden hinterlassen.
Haben sich A und B wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen, nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?
C. Anmerkungen
Das Landgericht bejahte eine gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 1 StGB.
Der BGH lehnte die Qualifikation der gemeinschaftlichen Begehung dagegen ab. Laut BGH sei es fraglich, ob der Tatbestand der gemeinsamen Begehung der Körperverletzung überhaupt durch ein Unterlassen begangen werden könne.
Handele es sich um eine gemeinschaftliche Begehung, bei der ein Täter aktiv beteiligt sei und ein weiterer Täter nur rein passiv dazu tritt, so könne schon hier keine Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB angenommen werden. Der Wortlaut stelle zwar keine besonderen Anforderungen an die Art und Qualität der Tatbegehung, jedoch lasse sich bereits aus dem Zweck der Norm erfassen, dass diese nicht durch bloßes Unterlassen erfüllt werden könne.
Nach Ansicht des BGH, sei insbesondere die gesteigerte Gefährlichkeit maßgeblich für die höhere Strafandrohung der Qualifikation. Diese bestehe vor allem in dem Zusammenwirken von mehr als einem Täter und den damit verringerten Abwehr- und Fluchtmöglichkeiten des Opfers. Eine solche gesteigerte Gefährlichkeit könne nicht durch das bloße Unterlassen mehrerer anwesender Personen gegeben sein.
Der BGH führte weiter aus, dass die erhöhte Strafandrohung der Qualifikation daher nur durch ein aktives Tun mehrerer Täter gerechtfertigt werden könne.
Im vorliegenden Fall haben A und B es unterlassen K regelmäßig Nahrung zuzuführen. Es kann kein aktives Tun, sondern lediglich ein Unterlassen festgestellt werden. Die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wurde nicht erfüllt.
A und B haben sich nicht nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
D. In der Prüfung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Taterfolg
aa) Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB
bb) Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB
b) Nichtvornahme der gebotenen Rettungshandlung
c) Hypothetische Kausalität
d) Garantenstellung
e) Entsprechungsklausel
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit/Schul
E. Literaturhinweise
Hardtung in: MüKo-StGB, 4. Auflage 2021, § 224 Rn. 33-39;
Eschelbach in: BeckOK StGB, 58. Edition 2023, § 224 Rn. 37-40;
BeckRS 2015, 14860.