Entscheidung der Woche 52-2019 (ZR)
Jari Kohne
Hinter einer als Notausgang gekennzeichneten Außentür dürfen sich grundsätzlich keine erheblichen Niveauunterschiede befinden.
Aktenzeichen & Fundstelle
Az.: OLG Celle – 8 U 15/19
in: NJW-RR 2019, 1043
IBR 2019, 557
A. Orientierungssatz
Hinter einer als Notausgang gekennzeichneten Außentür dürfen sich grundsätzlich keine erheblichen Niveauunterschiede befinden.
B. Sachverhalt
Die Beklagte ist Eigentümerin und Betreiberin einer Sporthalle. Im Bereich der Sporthalle ließ die Beklagte Bauarbeiten ausführen, im Zuge derer unter anderem das Erdreich hinter dem Notausgang der Sporthalle abgetragen wurde. In besagter Halle hielt sich die Klägerin als Zuschauerin einer Tanzveranstaltung auf. Um frische Luft in die Halle zu lassen, öffnete die Klägerin die Notausgangstür. Dabei trat sie einen Schritt nach außen und stürzte in die unmittelbar hinter dem Notausgang befindliche, maximal einen Meter tiefe, Baugrube. Dabei zog sie sich unter anderem eine distale Radiusfraktur rechts sowie Zerrungen und Ergüsse im Sprunggelenk rechts zu.
Sie begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 823 Abs. 1 BGB.
C. Anmerkungen
Unstreitig war in dem Verfahren, dass die Beklagte hinter dem Notausgang eine Baugrube ausheben ließ, in welche die Klägerin hineinstürzte. Auch wurde eindeutig ausgeurteilt, dass es einen Verstoß gegen die allgemeine Verkehrssicherungspflicht darstellt, unmittelbar hinter einem Notausgang eine Baugrube ausheben zu lassen und diese weder zu kennzeichnen noch abzusperren.
Der Streit entzündete sich indes an der Frage der Kausalität. So war das LG noch der Auffassung, die Kompensation der Verletzung der Klägerin sei nicht vom Schutzzweck der Norm gedeckt: Verkehrssicherungspflichten griffen stets nur gegenüber zulässigerweise im Gefahrenbereich aufhältigen Personen. Der Notausgang werde aber zulässigerweise nur von Personen genutzt, die auf Grund eines Notfalls das Gebäude verlassen müssen. Da ein solcher Notfall nicht vorlag, hätte die Klägerin die Notausgangstür gar nicht öffnen dürfen, so dass die Beklagte ihr gegenüber auch nicht verkehrssicherungspflichtig sei.
Das OLG folgte dieser Argumentation nicht und entschied, dass es stets eine Frage des Einzelfalls sei, ob sich Personen, die sich unberechtigt in einen Gefahrenbereich begeben, auf Verkehrssicherungspflichten berufen können. Im
vorliegenden Fall stellte das OLG darauf ab, mit welchem Personenverhalten die Beklagte hätte rechnen müssen: Da es ständiger Erfahrung entspreche, dass Notausgänge regelmäßig genutzt würden, obwohl kein Notfall vorliegt, hätte die Beklagte eine solche rechtswidrige Nutzung erwarten müssen. Entsprechend wurde eine Verletzung dieser Verkehrssicherungsplicht angenommen.
Auch ein Mitverschulden der Klägerin wurde vom OLG Celle nicht erkannt. Ein solches sah die Beklagte darin, dass die Klägerin wusste, dass auf dem Gelände Bauarbeiten stattfanden, trotzdem aber keine erhöhte Vorsicht walten ließ.
Im Urteil heißt es, die Klägerin habe die Baumaßnahmen nicht im Detail gekannt und somit auch keine Kenntnis von der Grube gehabt. Die Kenntnis von Bauarbeiten im Allgemeinen zwinge auch nicht dazu, sich ein detailliertes Bild von diesen zu verschaffen. Vielmehr könne der Verkehr darauf vertrauen, dass Gefahrenstellen zutreffend abgesperrt seien. Zudem begründe die Kenntnis der Bauarbeiten keine Plicht der Klägerin zu erhöhter Aufmerksamkeit: Beim Öffnen einer sich in Gehrichtung öffnenden Tür die Türschwelle zu überschreiten, entspräche allgemeiner Handhabung. Es könne von niemandem erwartet werden, dass nach dem Öffnen der Tür zuerst eine gründliche Inspektion des der Türschwelle jenseitigen Bereichs erfolge, bevor die Tür durchschritten wird.
D. In der Prüfung
A. § 823 Abs. 1 BGB
I. Rechts- oder Rechtsgutsverletzung
II. Handeln
III. Haftungsbegründende Kausalität
1. Äquivalenz
2. Adäquanz
3. (P) Schutzzweck der Norm
III. Rechtswidrigkeit
IV. Verschulden
V. Schaden
VI. Haftungsausfüllende Kausalität
VII. (P) Mitverschulden
B. Ergebnis
E. Zur Vertiefung
Zu Verkehrssicherungspflichten: Brox/Walker, Schuldrecht BT, 43. Aufl. 2019, § 45 Rn. 32ff. mit zahlreichen Beispielen;
Zum Schutzzweck der Norm: Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 9. Aufl. 2019, § 16 Rn. 139ff. mit Beispielen und w.N.