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  • Entscheidung der Woche 24-2024 (ZR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 24-2024 (ZR) Shabnam Suleymanli Hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (bea) sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig ist. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: BGH, Beschl. v. 26.01.2023 - I ZB 42/22 Fundstelle: BeckRS 2023, 11699 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (bea) sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig ist. 2. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das bea erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat. B. Sachverhalt K fordert von B Zahlung einer Maklervergütung. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Gegen das am 29.11.2021 zugestellte Urteil hat K am 28.12.2021 Berufung eingelegt. Der Berufungsschriftsatz wurde von Ks Anwalt über das bea an das Landgericht übermittelt. Am Ende des Schriftsatzes ist der Name des bevollmächtigten Anwalts aufgeführt, den K für das Berufungsverfahren wirksam beauftragt hat. Der Schriftsatz ging am 28.12.2021 um 18:50:24 Uhr im elektronischen Gerichts-und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts ein. Am 30.12.2021 leitete das Landgericht den Berufungsschriftsatz an das zuständige Oberlandesgericht weiter, wo er am 03.01.2022 einging. Das OLG informierte die Parteien am 04.02.2022 darüber, dass die Berufung nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Mit einem am 12.01.2022 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 11.02.2022 beantragt K die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist. K führte an, dass sein Anwalt einer verlässlichen Büroangestellten den Auftrag gegeben hatte, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Diese Angestellte hatte die Aufgabe jedoch an eine Auszubildende delegiert, die den Schriftsatz fehlerhaft an das LG adressierte. Der Anwalt hatte den als Berufung bezeichneten Schriftsatz in seiner elektronischen Akte gefunden und am 28.11.2021 per bea abgesandt. Es sei unverhältnismäßig, von seinem Anwalt zu verlangen, dass er alle über das bea übermittelten Schriftsätze erneut auf ihre Richtigkeit überprüft. Zudem hätte der Schriftsatz noch am 29.12.2021 vom LG digital an das OLG weitergeleitet werden können. C. Anmerkungen Die Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO wurde versäumt, da die Berufungsschrift irrtümlich an das nicht zuständige LG adressiert wurde und erst nach Ablauf der Frist beim zuständigen OLG einging, wie das Berufungsgericht feststellte. Das OLG begründete dies damit, dass das Versäumnis, die Berufung fristgerecht beim OLG einzureichen, auf das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des K zurückzuführen sei. Daher wurden die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt. Das Verschulden bestand darin, dass dieser die Erstellung der Berufungsschrift einer Büroangestellten überließ und versäumte, vor der Absendung zu überprüfen, ob das Rechtsmittelgericht korrekt bezeichnet war. Selbst erfahrene Mitarbeiter eines Anwalts dürfen nicht eigenverantwortlich so wichtige Aufgaben wie die Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts übernehmen. Daher ist es die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, die Rechtsmittelschrift vor der Unterzeichnung auf Vollständigkeit und insbesondere auf die korrekte Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu überprüfen, auch wenn das bea genutzt wird. Dieses Versäumnis führte dazu, dass der Berufungsschriftsatz nicht am 28.12.2021 beim OLG sondern beim LG einging. Es gäbe keine zentrale Anlaufstelle für derartige Schriftsätze und es bestehe keine Verpflichtung zum interbehördlichen digitalen Schriftverkehr. Das LG fungiere nicht als Erfüllungsgehilfe des Anwalts um die Rechtsmittelfrist zu wahren. Die Annahme, dass die Berufungseinlegungsfrist durch Übermittlung eines digitalen Schriftsatzes an jedes Gericht gewahrt werden könne, stehe im Widerspruch zu den Vorschriften der ZPO. D. In der Prüfung I. Berufungsfrist II. Berufungsschrift III. Bei dem Berufungsgericht IV. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 1. Notfrist 2. Fristversäumnis 3. Antrag 4. Frist 5. Kein Verschulden a. Eigenes Verschulden b. Zurechnung fremden Verschuldens 6. Kausalität a. Adäquater Ursachenzusammenhang b. Wegfall durch überholende Kausalität aufgrund Weiterleitung durch das Gericht c. Wegfall wegen gerichtlicher Fehler aa. Verspätete Weiterleitung bb. Verletzung prozessualer Fürsorgepflichten E. Literaturhinweise Thomas/Putzo/Hüßtege, § 234 Rn. 5,6 BeckOK ZPO/Wendtland, § 234 Rn. 4,10 BeckOK ZPO/Piekenbrock, § 85 Rn. 2 Entscheidung der Woche 24-2024 .pdf PDF herunterladen • 117KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 41-2018 (ZR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 41-2018 (ZR) Paula Kirsten Aktuell: Eine Überwälzung der Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen ist lediglich wirksam, wenn dem Mieter im Gegenzug ein Ausgleich gewährt wird. Wo? Az.: BGH Urt. v. 22.08.2018 – VII ZR 277/16 in: bundesgerichtshof.de Vorinstanzen AG Celle, 20.04.2016 – 14 C 1146/14 AG Celle, 25.05.2016 – 14 C 1146/14 AG Celle, 01.06.2016 – 14 C 1146/14 LG Lüneburg, 16.11.2016 – 6 S 58/16 Was? BGH, Urteil vom 22.08.2018 Mit dem Urteil hält der BGH seine mieter-freundliche Rechtsprechungslinie zu Schönheitsreparaturklauseln i.R.v. Wohnraummietverträgen aufrecht. So urteilte der BGH, dass eine formularvertragliche Überwälzung von Verpflichtungen zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auf den Mieter einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht standhält und damit unwirksam ist, sofern: 1. die Wohnungen unrenoviert oder renovierungsbedürftig an den Mieter übergeben wurde und 2. der Vermieter dem Mieter im Gegenzug keinen angemessenen Ausgleich gewährt. Ein anderes ergibt sich für den Vermieter auch dann nicht, wenn der Vormieter seine Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auf den neuen Mieter abgewälzt hat. Warum? Der Verfahrensgang des Rechtsstreits zeigt, dass die Thematik der Schönheitsreparaturklauseln in Wohnraummietverträgen nach wie vor praxisrelevant ist. Die Wirksamkeit einer formularvertraglichen Überwälzung der in § 535 Abs. 1 S. 2 BGB stipulierten Verpflichtung des Vermieters Schönheitsreparaturen vorzunehmen, ist am Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu messen. Maßgeblich ist, ob der Mieter durch die AGB-Klausel unangemessen benachteiligt wird. Eine derartige Benachteiligung nimmt der BGH an, wenn der Mieter infolge der formularmäßigen Abwälzung verpflichtet wird, Gebrauchsspuren des Vormieters zu beseitigen. Eine Überwälzung der Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen ist lediglich wirksam, wenn dem Mieter im Gegenzug ein Ausgleich gewährt wird; der Mieter gestellt wird, als habe ihm der Vermieter eine renovierte Wohnung übergeben. Das Bestehen einer Renovierungsvereinbarung zwischen Mieter und Vormieter hat keinen Einfluss auf die im Mietvertrag zwischen Mieter und Vermieter aufgenommene Renovierungsklausel. Soll eine Regelung zur schuldbefreienden Übernahme der Renovierungspflicht zwischen Mieter und Vormieter getroffen werden, muss der Vermieter gemäß § 415 Abs. 1, 2 BGB zugegen sein. Vertiefungsaufgabe Zur Relativität der dem Schuldverhältnis zugrundeliegenden Rechte und Pflichten und dessen Ausnahmen: Ernst in: Münchener Kommentar BGB, 7. Auflage, Einl. § 241; Wiederholung: Einbeziehungs- sowie Inhaltskontrolle von AGB gemäß §§ 305ff. BGB; Verständnis: Barudi, Zu viel des Guten?, ZJS 2010, 219. Was wäre jetzt anders? Entscheidung-der-Woche-41-2018 .pdf PDF herunterladen • 300KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 04-2021 (SR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 04-2021 (SR) Lilly Pietsch Ein Messerangriff auf einen Unbewaffneten kann das mildeste Mittel zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs gem. § 32 Abs. 2 StGB sein, wenn es das einzige Mittel ist, durch das der Angriff sicherlich abzuwenden ist. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 2 StR 363/18 in: BeckRS 2019, 13089 NStZ 2019, 598 A. Orientierungs- oder Leitsatz Ein Messerangriff auf einen Unbewaffneten kann das mildeste Mittel zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs gem. § 32 Abs. 2 StGB sein, wenn es das einzige Mittel ist, durch das der Angriff sicherlich abzuwenden ist. B. Sachverhalt C, der in der Gaststätte D ein Lokalverbot von Wirt A ausgesprochen bekommen hatte, betrat einige Monate später alkoholisiert erneut das Lokal. A, dem der C wieder unangenehm auffiel, wollte das Lokalverbot ihm gegenüber durchsetzen. C verließ das Lokal jedoch nicht. Auch nach der Androhung des A, die Polizei zu rufen, folgte C dem A hinter die Theke und begann eine verbale Auseinandersetzung mit der Ehefrau des A und ein Gerangel mit A, da dieser ihn aus dem Thekenbereich bugsieren wollte. C schlug A im Verlauf dieses Gerangels mehrmals auf den Mund und den Rücken. K und ein weiterer Gast gingen dazwischen und versuchten, C zu beruhigen. Als dies nicht gelang, ergriff A voller Wut ein 26 cm langes Messer, ohne dass C dies bemerkte. A stach auf den unbewaffneten C zweimal mit dem Messer ein. C bemerkte die Stichverletzungen nicht. Danach riss K den C aus dem Thekenbereich und C verließ mit einer weiteren Person das Lokal. Als diese bemerkte, dass C blutete, fuhren sie ins Krankenhaus, wo zwei nicht lebensbedrohliche, sich auf das Weichgewebe beschränkende Stichverletzungen von bis zu 5 cm bzw. 7-10 cm Tiefe festgestellt wurden. Handelte A in Notwehr gem. § 32 StGB? C. Anmerkungen Unproblematisch liegt der Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB vor. Die Messerstiche können A objektiv zugerechnet werden und Vorsatz ist ebenfalls gegeben. Fraglich ist jedoch, ob A durch Notwehr gerechtfertigt handelte. Gemäß § 32 Abs. 2 StGB ist eine in einer Notwehrlage ausgeübte Tat gerechtfertigt, wenn sie zur sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs geeignet ist und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der Situation zur Verfügung steht. Die Beurteilung erfolgt auf Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Verteidigungshandlung. Zweifelhaft ist, ob das mildeste Mittel zur Abwehr des Angriffs und damit die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung vorlag. Eine Androhung, wie sie beim Gebrauch eines Messers erfolgen sollte und die ein milderes Mittel wäre, fand hier nicht statt. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass diese bloße Androhung den C nicht von einem Gerangel abgehalten hätte. Dieser ließ sich zuvor auch von zwei weiteren Gästen nicht beruhigen und war stark alkoholisiert, was eine Einschränkung seines Hemmungsvermögens bedingte. Der BGH weist außerdem darauf hin, dass nicht einmal die Messerstiche C davon abhielten weiterzumachen, sondern K, der den C schließlich mit körperlicher Gewalt aus dem Thekenbereich herauszog. Der Angriff des C gegen A dauerte bereits einige Minuten an. Die so hervorgerufene objektive Notwehrlage berechtigte A grundsätzlich, ein sofort wirksames Mittel zur Beendigung dieses Angriffs einzusetzen. Ob ein weniger gefährlicher Messereinsatz oder eine Androhung zum gleichen Ergebnis geführt hätte, lässt sich nicht hinreichend feststellen. A handelte somit in Notwehr. D. In der Prüfung Strafbarkeit des A gem. § 224 StGB I. Tatbestand II. Rechtswidrigkeit → Notwehr (§ 32 StGB) 1. Obj. Rechtfertigungstatbestand a) Notwehrlage b) Notwehrhandlung aa) Verteidigung bb) Erforderlichkeit (1) Geeignetheit (2) Mildestes Mittel (P) Androhung cc) Gebotenheit (1) Ausschluss des Notwehrrechts (2) Stufenmodell: Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr 2. Subj. Rechtfertigungstatbestand III. Schuld E. Zur Vertiefung Zur Notwehr Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Auflage 2020, § 18. Entscheidung-der-Woche-04-2021 .pdf PDF herunterladen • 360KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 43-2022 (ÖR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 43-2022 (ÖR) Aron Rössig Die verfassungsgerichtliche Klärung der Streitfrage, ob die Wiederaufnahmemöglichkeit eines Strafverfahrens zu Ungunsten eines Angeklagten gem. § 362 Nr. 5 StPO verfassungskonform ist, muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG 2 BvR 900/22 in: BeckRS 2022, 16783 NJW 2022, 2389 NStZ-RR 2022, 311 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Die verfassungsgerichtliche Klärung der Streitfrage, ob die Wiederaufnahmemöglichkeit eines Strafverfahrens zu Ungunsten eines Angeklagten gem. § 362 Nr. 5 StPO verfassungskonform ist, muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. 2. Ist im Eilverfahren gegen einen im Wiederaufnahmeverfahren nach § 362 Nr. 5 StPO wegen Fluchtgefahrs erlassenen Haftbefehl eine Folgenabwägung vorzunehmen, kann eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls bei gleichzeitiger Anordnung von Maßnahmen zur Sicherung des Strafverfahrens für den Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 262 Nr. 5 StPO in Betracht kommen. 3. Die im vorliegenden Fall vorzunehmende Folgenabwägung gebietet den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, den Vollzug des Haftbefehls unter Anordnung der im Tenor aufgeführten Maßnahmen auszusetzen. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, drohten dem Beschwerdeführer erhebliche und irreversible Nachteile. Er würde nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Landgericht voraussichtlich bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in Untersuchungshaft bleiben, wenn nicht vorher über die Verfassungsbeschwerde entschieden wird. B. Sachverhalt Am 01.07.1982 verurteilte das LG Lüneburg den Beschwerdeführer (Bf.) wegen Vergewaltigung und Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der gebürtige Türke hatte laut Anklage im Jahre 1981 eine 17-jährige Schülerin vergewaltigt und anschließend getötet. Mit Beschluss des BGH vom 25.01.1983 wurde dieses Urteil jedoch aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das LG Stade verwiesen. Grund hierfür seien Mängel in der Beweisführung gewesen. Mit Urteil vom 13.05.1983 wurde der Bf. vom LG Stade freigesprochen. Der Fall sorgte landesweit für Empörung und wurde als ,,Mordfall Frederike“ bekannt. Anfang 2012 unterzog das Nds. LKA Sekretanhaftungen, die nach der Tat sichergestellt worden waren, einer Untersuchung. Die Ergebnisse dokumentierten, dass der Bf. als Verursacher einer Spermaspur in Betracht kommt. Am 30.12.2021 trat schließlich, auch durch öffentlichen Druck mittels einer vom Vater des Opfers initiierten Petition, die Neuregelung des § 362 Nr. 5 StPO, aufgrund des ,,Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ vom 21.12.2021 (BGBl. I 2021, S. 5252), in Kraft. Die Neufassung sieht ein Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten eines bereits Angeklagten in bestimmten Fällen vor. Aufgrund dessen beantragte die StA im Februar 2022 beim LG Verden die Wiederaufnahme des Strafverfahrens und den Erlass eines Haftbefehls. Das LG erklärte den Wiederaufnahmeantrag mit angegriffenem Beschluss vom 25.02.2022 für zulässig und ordnete zugleich die Untersuchungshaft gegen den Bf. an, weil dringender Tatverdacht gegen ihn bestehe und der Haftgrund der Schwerkriminalität gem. § 112 Abs. 3 StPO sowie Fluchtgefahr vorlägen. So sei aufgrund seiner türkischen Herkunft nicht auszuschließen, dass er über gute Kontakte in die Türkei verfüge und sich dort verborgen halten könne, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Der Bf. wurde noch am selben Tag festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Seine gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde verwarf das OLG Celle mit angegriffenem Beschluss vom 20.04.2022. Mit seiner Verfassungsbeschwerde (VB) gegen den Beschluss des LG und OLG rügte der Bf. eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 3 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Auch beantragte er, den Haftbefehl mittels einstweiliger Anordnung bis zur Entscheidung über die VB außer Vollzug zu setzen. C. Anmerkungen Das BVerG hat mittels einstweiliger Anordnung i.S.d. § 32 Abs. 1 BVerfGG den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und damit dem Antrag teilweise (da unter Auflagen) stattgegeben. Dabei erging die Entscheidung nur mit knapper Mehrheit (5:3). In der Begründung wird u.a. darauf verwiesen, dass die VB nicht offensichtlich unbegründet sei, da die Frage nach der Verfassungskonformität des § 362 Nr. 5 StPO, umstritten wäre. Die Klärung dieser verfassungsrechtlichen Frage müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Der Beschluss macht deutlich, dass bereits im Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Gesetzesänderung geäußert wurden und dabei auch der Bundespräsident im Rahmen der Ausfertigung und Verkündung des Änderungsgesetzes Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit kundgetan habe. Auch würden im Schrifttum mögliche Verstöße gegen den Kerngehalt des Art. 103 Abs. 3 GG (Ne bis in idem), den Bestimmheitsgrundsatz und gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG, die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) diskutiert werden. Lege man diese Unklarheit zugrunde, so komme der Senat zu dem Ergebnis, dass die VB in der Hauptsache weder für von vornherein unzulässig, noch offensichtlich unbegründet sei, sodass es auf eine Folgenabwägung ankomme. Im Rahmen der Abwägung gelangte der Senat zu der Ansicht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt geboten sei, den Vollzug des Haftbefehls auszusetzen. Würde diese nicht ergehen und hätte die VB Erfolg, so würden dem Bf. erhebliche Nachteile irreversibler Art drohen. Insbesondere müsste er nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch das LG aller Voraussicht nach bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in Untersuchungshaft bleiben, wenn nicht vorher über die VB entschieden werden würde. Die würde dann eine Verletzung des Art. 103 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG darstellen. Ferner sei die Untersuchungshaft ein besonders intensiver Grundrechtseingriff und zudem nachträglich nicht mehr rückgängig zu machen, sodass die möglichen Grundrechtsverletzungen gegenüber den Nachteilen schwerer wiegen würden, als wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen werden würde, der Antrag in der Hauptsache aber unbegründet wäre. Der Bf. kommt jedoch nur unter bestimmten Auflagen frei. So muss er u.a. seine Ausweispapiere beim LG abgegeben, sich zweimal wöchentlich bei der zuständigen StA melden und darf zudem seinen Wohnort nicht verlassen. Es bleibt abzuwarten, wie das BVerfG im Hauptsacheverfahren urteilen wird. Der Fall zeigt einmal mehr das Spannungsverhältnis von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit auf. Diesem müsste der Gesetzgeber im Sinne der Praktischen Konkordanz einem angemessenen Ausgleich zugeführt haben, damit der § 362 Nr. 5 StPO eine taugliche verfassungsimmanente Schranke darstellen kann, womit sich das BVerfG noch zu beschäftigen haben wird. Dem Studenten bietet der Fall Anlass, sich den Eilrechtsschutz nach § 32 BVerfGG genauer zu vergegenwärtigen, der auch im Examen von Relevanz sein kann. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Voraussetzungen des § 32 BVerfGG 1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache 2. Folgenabwägung II. Ergebnis E. Literaturhinweise Muckel , Ne bis in idem: einstweilige Anordnung des BVerfG gegen den Vollzug eines Haftbefehls im Wiederaufnahmeverfahren, JA 2022, 785; Wenglarczyk , Grundzüge des Eilrechtsschutzverfahrens vor dem BVerfG nach § 32 BVerfGG, JuS 2021, 1024; Kubiciel , Reform der Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen im Licht desVerfassungsrechts, GA 2021, 380; Singelnstein , Die Erweiterung der Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen, NJW 2022, 1058. Entscheidung-der-Woche-43-2022 .pdf PDF herunterladen • 214KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 34-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 34-2020 (ÖR) Sina John § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verlangt für die Ausschlusswirkung nicht, dass ausschließlich Flächen für jedenfalls drei Windenergieanlagen dargestellt werden. Flächen, die weniger Anlagen aufnehmen können, sind daher nicht stets als harte Tabuzonen bei der gesamträumlichen Planung auszuscheiden. Aktenzeichen & Fundstelle BVerwG, Urt. v. 13.12.2018 - 4 CN 3.18 in : bverwg.de A. Leitsätze § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verlangt für die Ausschlusswirkung nicht, dass ausschließlich Flächen für jedenfalls drei Windenergieanlagen dargestellt werden. Flächen, die weniger Anlagen aufnehmen können, sind daher nicht stets als harte Tabuzonen bei der gesamträumlichen Planung auszuscheiden. [...] B. Sachverhalt (verkürzt) Der Antragssteller ist Eigentümer eines Grundstücks im Außenbereich, auf welchem er eine oder mehrere Windenergieanlagen errichten wollte. Zu diesem Zweck wendete er sich gegen die Änderung des Flächennutzungsplanes, der Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen im Sinn des § 35 Abs. 3 BauGB vorsah. In der angegriffenen Änderung behandelte der Rat der Antragsgegnerin eine Schutzzone von 500 m zu Einzelhöfen und Ansiedlungen im Außenbereich, aus Lärmschutzgründen, als sogenannte „harte Tabuzone“. Für die Aussonderung der Tabuzonen legte die Antragsgegnerin eine Mindestanzahl von drei Windenergieanlagen pro Konzentrationsfläche zu Grunde. Durch diesen Aussonderungsprozess fiel das Grundstück des Antragsstellers in den Bereich der harten Tabuzonen und galt somit als nicht für die Windenergienutzung geeignet. Das OVG NRW hielt den Antrag für zulässig und begründet und stellte die Unwirksamkeit der Änderung des Flächennutzungsplanes fest. C. Anmerkungen Das BVerwG bestätigte dies mit der Einschränkung, dass durch die fehlerhaften Änderungen nur keine Wirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB herbeigeführt wurden. § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB verlangt das Vorliegen eines schlüssigen Gesamtkonzeptes. Hierzu gehören auch die Ausweisungen der „harten“ und „weichen“ Tabuzonen. Tabuzonen sind nicht nur nach dem planerischen Ziel zu bestimmen, dass mindestens drei Windenenergieanlagen pro Konzentrationszone gebaut werden sollen. Das Ziel, die Bündelung von Anlagen als Windenergieparks zu ermöglichen, mag eine Mindestzahl planerisch wünschenswert erscheinen lassen, findet im Wortlaut des § 35 BauGB aber keine Zustimmung. Auch dem Begriff der Windfarm in § 2 Abs. 5 S. 1 UVPG lässt sich nichts anderes entnehmen. Zudem stehen dem Betrieb nur einer Windenergieanlage keine zwingenden Gründe entgegen. Der Antragsgegnerin hat daher die harten Tabuzonen falsch bestimmt. Aus Lärmschutzgründen sind Flächen dann als harte Tabuzonen anzusehen, wenn sie gegen § 1 Abs. 3 BauGB i.v.m § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSCHG verstoßen und daher schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen. Der zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen erforderliche Mindestabstand einer Windenergieanlage zu schutzwürdiger Bebauung im Außenbereich beträgt 450 m. Die harten Tabuzonen hat die Antragsgegnerin mit Blick auf eine Anlage also zu groß bemessen. Dieser Fehler ist als beachtlich im Sinne von § 214 Abs. 3 S. 1 BauGB anzusehen. Somit liegt kein schlüssiges Gesamtkonzept im Sinn des § 35 Abs. 3 S. 3 vor. Die Konzentrationswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB treten daher nicht ein. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit (P) Normkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO bzgl. Flächennutzungsplan B. Begründetheit Rechtmäßigkeit der Änderung des Flächennutzungsplans E. Vertiefungshinweise Frey, Aktuelle Fragestellungen bei der Normenkontrolle gegen Windkraft-Flächennutzungspläne, NVwZ 2013, 1184. Entscheidung-der-Woche-34-2020 .pdf PDF herunterladen • 195KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 31-2025 (ÖR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 31-2025 (ÖR) Jonas Rahn Der BRD obliegt ein allgemeiner Schutzauftrag, dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsbemühung gewahrt bleibt. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: 2 BvR 508/21 in: BeckRS 2025, 16587 A. Orientierung- oder Leitsätze 1. Der BRD obliegt ein allgemeiner Schutzauftrag, dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsbemühung gewahrt bleibt. 2. Dieser Schutzauftrag kann sich unter bestimmten Bedingungen zu konkreten grundrechtlichen Pflichten verdichten. a) Eine solche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bezieht sich auf Einhaltung des anwendbaren Völkerrechts zum Schutz des Lebens, auch bei Gefährdungen die von einem anderen Staat ausgehen. b) Eine Eingrenzung dieser verfassungsrechtlichen Schutzpflicht sieht die Verfassung, sofern ein hinreichender Bezug zur deutschen Staatsgewalt besteht, nicht vor. c) Erforderlich für eine Verdichtung zu einer extraterritorialen Schutzpflicht, ist eine ernsthafte Gefahr, dass dem Schutz des Lebens dienende Regeln des humanitären Völkerrechts und/ oder der internationalen Menschenrecht systematisch verletzt werden. B. Sachverhalt Die Beschwerdeführer sind jemenitische Staatsangehörige, deren nahe Verwandte bei einem US-Drohnenangriff im August 2012 gemeinsam mit mutmaßlichen Mitgliedern der Al-Quaida getötet wurden. 2014 klagten die Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Köln darauf, die Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, Einsätze bewaffneter Drohnen von deutschen Boden durch die USA auf dem Gebiet des Jemen durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden. C. Anmerkungen Die Klage wurde vom Verwaltungsgericht Köln abgewiesen. Im Berufungsverfahren vor dem OVG Köln hatten sie teilweise Erfolg: Die BRD wurde verurteilt Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass Drohneneinsätze nur im Einklang mit dem Völkerrecht stattfänden. Nach einer Revision der BRD vor dem BVerwG, wurde das Urteil derart geändert, dass die Berufung vor dem OVG zurückgewiesen wurde und eine Schutzpflicht nicht festgestellt werden konnte. Die Zusicherung der USA gegenüber der BRD, keine unbemannten Luftfahrzeuge für Antiterroreinsätze von Ramstein aus zu starten und deutsches Recht zu achten seinen nicht völlig unzulänglich. Die Verfassungsbeschwerde sei zwar zulässig, aber unbegründet. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewähre nicht nur ein subjektives Abwehrrecht, sondern begründe auch staatliche Schutzpflichten. Dieses stehen auch im Ausland lebenden Ausländern, insofern ein hinreichender Bezug zur deutschen Staatsgewalt gegeben sei, zu. Dies folge aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 GG. Jedoch sei die Sicherstellung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der BRD und ihrer Teilhabe an der internationalen Zusammenarbeit dem Grundgesetz als Ziel immanent. Bei der Bündnisfähigkeit handele es sich um ein Verfassungsgut, das bei der Konkretisierung extraterritorialer Schutzpflichten zu berücksichtigen sei. Deshalb müssen sichere Anhaltspunkte vorliegen, dass es sich bei den Brüchen des Völkerrechts sowie der Menschenrechte nicht um bloße Einzelfälle handele. Dabei sind die Rechtsauffassung der deutschen Staatsorgane genauso zu berücksichtigen, wie die verminderten Schutzmöglichkeiten der BRD aufgrund der völkerrechtlichen Grenzen deutscher Hoheitsgewalt. So wurde festgestellt, dass die bloße technische Herstellung einer Daten- und Kommunikationsverbindung zwischen der Drohne und den Führungseinrichtungen der USA in der Gesamtschau nur von untergeordnetem Gewicht sei. Außerdem sei die Rechtsauffassung der USA für die Abgrenzung zwischen zivilen und militärischen Zielen im Jemen nicht völkerrechtlich unvertretbar. Somit fehle es an einer konkreten, die Schutzpflicht begründenden Gefahr. Dementsprechend seien bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für das Bestehen einer extraterritorialen Schutzpflicht nicht erfüllt, weshalb es keiner Entscheidung bedürfe, ob die BRD einer ihr etwaig obliegenden Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern gerecht geworden wäre. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Schutzbereich 1. persönlicher Schutzbereich (P): Schutz von im Ausland lebenden Ausländern durch das GG E. Literaturhinweise BVerfG, Urt. v. 15.7.2025 – 2 BvR 508/21 (m. Anm. Maximilian Amo), becklink 2034931, 15.7.2025, BVerwG, Urt. v. 24.5.2021 - NVwZ 2021, 800, Payandeh/Sauer, Staatliche Gewährleistungsverantwortung für den Schutz der Grundrechte und des Völkerrechts, NJW 2021, 1570 Entscheidung der Woche 31-2025 .pdf PDF herunterladen • 171KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 24-2020 (SR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 24-2020 (SR) Simon Künnen Für den Versuchsbeginn beim Qualifikationstatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB kommt es maßgeblich auf das Vorstellungsbild des Täters bei der Verwirklichung des qualifizierenden Merkmals des Einbrechens an... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 4 StR 397/19 in: NStZ 2020, 353 BeckRS 2020, 6241 A. Orientierungs- oder Leitsatz Für den Versuchsbeginn beim Qualifikationstatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB kommt es maßgeblich auf das Vorstellungsbild des Täters bei der Verwirklichung des qualifizierenden Merkmals des Einbrechens an; handelt er beim Aufhebeln eines Fensters oder bei der gewaltsamen Überwindung eines sonstigen Hindernisses in der Vorstellung, in unmittelbarem Anschluss hieran in die (Privat-)Wohnung einzudringen und hieraus stehlenswerte Gegenstände zu entwenden, so ist die Schwelle zum Versuch regelmäßig überschritten und das geschützte Rechtsgut aus der maßgeblichen Tätersicht bereits konkret gefährdet. B. Sachverhalt A hebelte die Terrassentür eines Einfamilienhauses auf, um im Anschluss hieran in das Gebäudeinnere einzudringen und stehlenswerte Gegenstände zu entwenden. Nach erfolgreichem Aufhebeln der Terrassentür wurde er von einer Nachbarin entdeckt und angesprochen; daraufhin sah A sein Vorhaben als gescheitert an und entfernte sich. Wie hat sich A strafbar gemacht? C. Anmerkungen Während der zuvor geschilderte Fall zunächst sehr gewöhnlich erscheint, steckt in der Entscheidung des BGH zum Wohnungseinbruchsdiebstahl gem. § 244 Abs. 4 StGB eine Besonderheit. Denn in seinem Beschluss vom 14.01.2020 stellt der BGH für den Versuchsbeginn auf das Ansetzen zum Qualifikationstatbestand - und nicht etwa auf das Ansetzen zum Grunddelikt - ab. Grundsätzlich bejaht der BGH auch im vorliegenden Fall einen Versuchsbeginn dann, wenn der Täter unmittelbar ansetzt. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte zur – vollständigen – Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in die Tatbestandsverwirklichung einmündet. Während aber die h.M. und bisherige Rspr. an das Grunddelikt anknüpfen, hier also die Wegnahme im Haus, knüpft der BGH den Versuchsbeginn vorliegend an das Aufhebeln der Terrassentür. Abstrakt muss dies nicht zu einem Auseinanderfallen des Zeitpunkts für den Versuchsbeginn führen. Denn so würde auch die bisherige Rspr. den Versuchsbeginn zum Zeitpunkt des Aufhebelns bejahen, sofern der Täter unmittelbar anschließend an das Einsteigen die Wegnahme plant. Ob nach der neuen Rspr. nun aber auch ein Versuchsbeginn zu bejahen ist, wenn der Täter zur Qualifikation ansetzt, das Grunddelikt aber noch in weiter Ferne liegt (Bsp.: Der Täter steckt zuhause eine Waffe ein und begibt sich in die Nähe des Tatorts, § 244 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB?), lässt der BGH offen. Herausgestellt wird hingegen, dass es auf den konkreten Einzelfall ankomme. Gleichwohl konstatiert der BGH, dass nicht generell und pauschal ein Einbruchsdiebstahl nach § 244 Abs. 4 StGB ausscheiden könne, nur weil der Täter nicht unmittelbar zur Wegnahme ansetzt. Insofern liegt ein maßgebliches Abweichen von der bisherigen Rspr. und Literatur vor, denn ohne unmittelbares Ansetzen zur Wegnahme liegt kein unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt vor und folglich - nach bisheriger Ansicht - auch kein Versuchsbeginn für den Wohnungseinbruchsdiebstahl. D. In der Prüfung I. Tatbestand 1. Tatentschluss a) in Bezug auf das Grunddelikt b) in Bezug auf die Qualifikation i.S.d. § 244 StGB 2. Unmittelbares Ansetzen (P) Bezugspunkt des Ansetzens E. Zur Vertiefung Anmerkung zum Urteil und kritische Betrachtung des Rechtsprechungswandels: Kudlich, NStZ 2020, 353; Zum Versuchsbeginn bei Wohnungseinbruchsdiebstählen nach bisheriger Rspr.: Eisele, JuS 2017, 175. Entscheidung-der-Woche-24-2020 .pdf PDF herunterladen • 173KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 42-2020 (SR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 42-2020 (SR) Adam Hetka Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit liegt dabei vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 2 StR 284/19 in: NStZ 2020, 341 BeckRS 2020, 1970 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit liegt dabei vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. 2. Dass dem Täter die Weiterverfolgung des Geschädigten nicht möglich war, ohne eine andere Person, der sein vorrangiges Interesse galt, aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will. Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb. B. Sachverhalt A traf mit der Z, derer er sich zu diesem Zeitpunkt gewaltsam bemächtigt hatte, um mit ihr nach dem Beziehungsaus zu reden und sie für sich zurückzugewinnen, auf den in einem Gebüsch schlafenden P. A führte in seiner rechten Hand ein Messer mit sich und kam auf die Idee, das Geld des P zu entwenden. Er zog dem schlafenden P daher das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und steckte es in seine Gürteltasche. Sodann durchsuchte er dessen Rucksack nach Stehlenswertem. Als er den Rucksack wieder auf den Boden legte, wachte P auf. Um sich den Besitz der Geldbörse zu sichern und die befürchtete Gegenwehr des P von vornherein zu unterbinden, stach A unvermittelt viermal kraftvoll auf P ein, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Der völlig überraschte P sprang nach dem vierten Stich plötzlich auf und lief davon, während ihm A noch einen weiteren Stich verpasste. Daraufhin ließ A von P ab, weil er nicht gleichzeitig diesem nachlaufen und die Z im Blick behalten konnte. Daher entschloss er sich, P nicht weiter zu verfolgen. Der lebensgefährlich verletzte P wurde kurz darauf von Passanten gefunden und gerettet. C. Anmerkungen Zieht der Täter äußere Umstände in seinen Entschluss, die Tat abzubrechen, mit ein, so ergeben sich Streitpunkte bei der Frage, ob Freiwilligkeit vorliegt. Nach der ständigen Faustformel des BGH, welche auch in diesem Beschluss Erwähnung gefunden hat, liegt Freiwilligkeit dann vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Auch die Erhöhung des Entdeckungsrisikos steht nach dem BGH der Annahme der Freiwilligkeit nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen wurde, welches der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist dieser nicht mehr „Herr seiner Entschlüsse“. Dies führt dann dazu, dass eine daraufhin erfolgende Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen ist. D. In der Prüfung 0. Vorprüfung I. Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt 1. Kein fehlgeschlagener Versuch 2. Unbeendeter/beendeter Versuch 3. Freiwilligkeit (!) E. Zur Vertiefung Zum Rücktritt des Einzeltäters: Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl., München 2020, § 37. Entscheidung-der-Woche-42-2020 .pdf PDF herunterladen • 289KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 33-2018 (SR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 33-2018 (SR) Adam Hetka Allein das Anmieten eines Fahrzeugs, um im Ausland begangene Urkundenfälschungen zu fördern, ist noch nicht ausreichend für die generelle Annahme einer Mittäterschaft; vielmehr entspricht ein solcher Umstand dem Charakter einer Beihilfenhandlung. Wo? Az.: BGH 3 StR 266/17 in: NStZ-RR 2018, 211 Was? BGH, Beschluss vom 28.11.2017 In dem zugrundeliegenden Fall verurteilte das Landgericht Osnabrück einen Angeklagten wegen Urkundenfälschung in mehreren Fällen, darunter auch in Tateinheit mit Betrug und versuchtem Betrug, als dieser als Teil einer Gruppe auftrat, welche durch im Ausland begangene Urkundenfälschungen mehrere Geldüberweisungen von fremden Konten auf selbsteröffnete Zielkonten durchgeführt hat. Auf die daraufhin eingelegte Revision entschied der BGH, dass die fehlende Tatherrschaft des Angeklagten nicht durch die bloße Kenntnis und Billigung einer Tat ausgeglichen werden kann. Allein das Anmieten eines Fahrzeugs, um im Ausland begangene Urkundenfälschungen zu fördern, sei noch nicht ausreichend; vielmehr entspreche ein solcher Umstand dem Charakter einer Beihilfenhandlung. Warum? Der vorliegende Fall hat in erster Linie die Voraussetzungen der Mittäterschaft beim Betrug sowie der Urkundenfälschung zum Gegenstand. Den Schwerpunkt bildet jedoch vorallem die Streitfrage, welche Handlung als Mittäterschaft zu qualifizieren und welche (nur) eine Beihilfenhandlung darstellt. Hierbei führte der BGH an, dass Mittäter i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB derjenige ist, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint, was im konkreten Fall insgesamt als nicht erfüllt angesehen worden ist. Vertiefungsaufgabe Wiederholen der Problemfelder im Rahmen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, konkret zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe: StV 2016, 648, 649. Entscheidung-der-Woche-33-2018 .pdf PDF herunterladen • 282KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 35-2023 (SR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 35-2023 (SR) Anna Oleszewski § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst zum Gebrauch mitgeführten Gegenstände, die dazu geeignet sind, den Widerstand des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung zu überwinden. Auch Scheinwaffen zählen hierunter. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH, Beschl. v. 28.03.2023 - 4 StR 61/23 in: BeckRS 2023, 8071 BGH RÜ 2023, 512 A. Orientierungs - oder Leitsätze (der Redaktion) 1. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst zum Gebrauch mitgeführten Gegenstände, die dazu geeignet sind, den Widerstand des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung zu überwinden. Auch Scheinwaffen zählen hierunter. 2. Darunter fallen jedoch nicht solche Gegenstände, die für einen objektiven Beobachter nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ungefährlich sind. Objektiv ungefährliche Gegenstände sind nicht geeignet in irgendeiner Weise mit ausreichender Intensität auf den Körper des Opfers einzuwirken. Vielmehr steht die Täuschung des Opfers im Vordergrund. 3. Eine Luftpumpe ist kein derartiger ungefährlicher Gegenstand. B. Sachverhalt Der Angeklagte wollte der Geschädigten, welche sich in Begleitung von zwei Freunden im Eingangsbereich einer Gaststätte befand, die Handtasche entwenden. Um an das darin befindliche Bargeld und Wertgegenstände zu gelangen, fasste er den Beschluss die Geschädigte und ihre zwei Freunde zu bedrohen, indem er eine Luftpumpe nach Art eines Gewehrs vor sich hielt. Dadurch wollte er erreichen, dass die drei in der irrigen Annahme, es handle sich um eine Schusswaffe, aus Angst um ihre Gesundheit keinen Widerstand leisten und seinen Forderungen nachkommen würden. Der Angeklagte hielt die Luftpumpe wie ein Gewehr mit ausgezogenem Kolben im Abstand von 20-30 cm vor das Gesicht der Geschädigten und forderte sie auf, in das Lokal zu gehen. Wie von dem Angeklagten beabsichtigt, erkannten weder die Geschädigte noch ihre Freunde, dass es sich nicht um ein Gewehr, sondern um eine Luftpumpe handelte und flohen in das Lokal. Der Angeklagte nahm nunmehr die Handtasche an sich und verließ die Örtlichkeit. Bevor er die Tasche wieder wegwarf, entnahm er ihr das Bargeld und die Wertgegenstände, um diese zu behalten. C. Anmerkungen Der BGH hat einen schweren Raub gem. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB bejaht. Der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfasst grundsätzlich alle bewusst gebrauchsbereit mitgeführten Gegenstände, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, als auch sog, Scheinwaffen, d.h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit nur vorgetäuscht wird. Ausgenommen sind hiervon jedoch solche Gegenstände, die schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken. Ein solcher Fall der objektiven Ungefährlichkeit liegt hier jedoch nicht vor. Die von Angeklagten verwendete Luftpumpe war auch für einen objektiven Beobachter nicht offenkundig ungefährlich. Insbesondere durch ihren Einsatz als Schlagwerkzeug gegen empfindliche Körperstellen hätte mit ihr erheblich auf den Körper eines anderen eingewirkt werden können. Der Gegenstand war "seiner Art nach" dazu geeignet, von dem Opfer als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Damit steht die vom Täter zugleich beabsichtigte Täuschung des Tatopfers hinsichtlich der von dem mitgeführten Gegenstand ausgehenden Drohwirkung nicht derart im Vordergrund, dass die Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB den Sinn des Gesetzes verfehlen würde. Denn eine Täuschung des Opfers wird bei dem Gebrauch jeder "Scheinwaffe" im Hinblick auf deren objektive Ungefährlichkeit angestrebt. Diese Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die Ausbildung. Dabei ist in erster Linie an die Labello-Entscheidung zu denken. Der Luftpumpe und dem Labello ist zwar gemein, dass sie täuschend echt als Scheinwaffe eingesetzt werden, allerdings könnte die Luftpumpe tatsächlich auch als Schlagwerkzeug verwendet werden und das Opfer hierdurch bedroht werden. Einem Labello muss diese Fähigkeit in jedem Fall abgeschrieben werden. D. In der Prüfung I. § 249 Abs. 1 StGB 1. Fremde bewegliche Sache 2. Wegnahme 3. Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels 4. Kausalität 5. Objektive Zurechnung 6. Vorsatz 7. Rechtswidrigkeit und Schuld II. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB III. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB 1. Beisichführen eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs 2. Kausalität 3. Objektive Zurechnung 4. Vorsatz 5. Rechtswidrigkeit und Schuld E. Literaturhinweise BeckOK StGB/Wittig StGB § 250 Rn. 7, 7; MüKoStGB/Sander StGB § 250 Rn. 42. Entscheidung-der-Woche-35-2023 .pdf PDF herunterladen • 141KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 51-2021 (ZR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 51-2021 (ZR) Joshua Mensak Der Ausnahmefall des § 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB, wonach der Verkäufer für seine unzutreffende öffentliche Äußerung über Eigenschaften der Kaufsache nicht haftet, wenn die Äußerung die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH V ZR 119/20 in: MDR 2021, 1327 NZM 2021, 810 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Der Ausnahmefall des § 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB, wonach der Verkäufer für seine unzutreffende öffentliche Äußerung über Eigenschaften der Kaufsache nicht haftet, wenn die Äußerung die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte, liegt nur vor, wenn ein Einfluss der Äußerung auf die Kaufentscheidung nachweislich ausgeschlossen ist. 2. Mit der „Kaufentscheidung“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB ist der Abschluss des Kaufvertrages, im Fall eines Grundstückskaufs daher der Zeitpunkt der notariellen Beurkundung des Grundstückkaufvertrages, und nicht der Zeitpunkt, zu dem sich der Käufer zum Kauf entschlossen hat, gemeint. B. Sachverhalt Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht der Käuferin zweier Grundstücke Schadensersatz von der Beklagten. Die Käuferin beabsichtigte von der Beklagten jeweils zwei mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Grundstücke zu einem Preis von EUR 1,5 Millionen zu erwerben. Mit E-Mail vom 11.10.2015 erklärte die Käuferin nach Besichtigung der Objekte gegenüber dem Makler, die Grundstücke erwerben zu wollen. Dieser teilte der Käuferin am 14.10.2015 mit, die Eigentümerin habe das Angebot angenommen. Er übersandte der Käuferin auch ein Exposé des Kaufobjekts, in dem dieses als „solide (…) Wohnanlage zum Sanieren oder Neuentwickeln“ beschrieben wurde, nebst der Visualisierung einer ursprünglich von der Beklagten geplanten Umbaumaßnahme (Neubau eines Doppelhauses, Sanierung der bestehenden Gebäude, Ausbau des Dachgeschosses). Die für die Umbaumaßnahme der Beklagten erteilte Baugenehmigung war inzwischen abgelaufen, wovon die Käuferin Kenntnis hatte. Der notarielle Kaufvertrag über die Grundstücke datierte auf den 23.10.2015, wobei dieser den Ausschluss der Haftung für Sachmängel enthielt. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe die Angaben in Exposé und Visualisierung bewusst wahrheitswidrig getätigt, eine Mitarbeiterin des Bauamtes habe der Beklagten bereits Anfang 2015 mitgeteilt, die visualisierten Maßnahmen seien nicht genehmigungsfähig. C. Anmerkungen Der BGH vertritt mit seiner Entscheidung eine andere Rechtsauffassung als die Vorinstanzen. Das Berufungsgericht hatte eine Haftung der Beklagten aus §§ 437, 441, 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 u. S. 3 BGB verneint, da das Exposé inhaltlich zutreffend und die Visualisierung jedenfalls keinen Sachmangel darstellen könne, da sie der Käuferin erst nach Kaufentschluss übersandt worden sei und diesen Entschluss daher nicht mehr habe beeinflussen können. Aufgrund letzterem bestehe ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss ebenfalls nicht, da eine etwaige Täuschung für die Kaufentscheidung und den Vertragsschluss somit nicht kausal geworden sein könne. Der BGH stellt fest, dass die Begründung des Berufungsgerichts nicht ausreiche, um einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß §§ 434 Abs. 1 S. 3, 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 S. 1, 280 Abs. 1 u. 3 BGB i.V.m. § 398 BGB bzw. aus Verschulden bei Vertragsschluss auszuschließen. Denn sowohl Exposé als auch Visualisierung stellten öffentliche Äußerungen über Eigenschaften der Kaufsache iSd § 434 Abs. 1 S.3 BGB dar, von denen negativ abgewichen wurde. Ein Ausschluss der Haftung nach § 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB sei allerdings nicht gegeben. Der Beweis, dass eine Äußerung die Kaufentscheidung nicht habe beeinflussen können, sei schwieriger zu führen, als derjenige der bloß fehlenden Kausalität, was sich aus den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zum Vertrauensschutz ergäbe. Eine Beeinflussung der Kaufentscheidung müsse daher schlicht ausgeschlossen sein. Für diesen Einfluss wiederum genüge bereits, dass der Käufer die öffentliche Äußerung in seine Abwägung für und gegen den Kauf einbezogen hat. Daneben sei mit der „Kaufentscheidung“ iSd § 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB auch – anders als das Berufungsgericht meint – erst der Abschluss des Vertrages, im vorliegendem Fall damit die notarielle Beurkundung des Grundstückkaufvertrages (§ 311b Abs. 1 BGB), und nicht bereits der einseitig gefasste Entschluss der Käuferin für den Kauf entscheidend. Denn da es bis zum bindenden Vertragsabschluss den Beteiligten aufgrund ihrer Privatautonomie grundsätzlich möglich sei, vom Vertrag ohne Weiteres Abstand zu nehmen, sei auch ein Käufer in seiner Entscheidung für oder gegen den Vertragsschluss noch durch öffentliche Äußerungen in Bezug auf die Kaufsache beeinflussbar und daher schutzbedürftig. D. In der Prüfung §§ 434 Abs. 1 S. 3, 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 S. 1, 280 Abs. 1 u. 3 BGB 1. Schuldverhältnis (Kaufvertrag; Form: § 311b Abs. 1 BGB) 2. Pflichtverletzung (Mangel) a. Vereinbarte Beschaffenheit, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB (-) b. Verwendungseignung, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB (-) c. Übliche Beschaffenheit, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 u. S. 3 BGB (P) aa. Öffentliche Äußerungen genannter Personen? bb. Ausnahme: Keine Beeinflussung der Kaufentscheidung? E. Zur Vertiefung Grunewald, in: Ermann, BGB, 16. Aufl. 2020, § 434 Rn. 29; Westermann, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2019, § 434 Rn. 35. Entscheidung-der-Woche-51-2021 .pdf PDF herunterladen • 75KB Zurück Nächste

  • Entscheidung der Woche 21-2023 (ÖR) | Hanoverlawreview

    Entscheidung der Woche 21-2023 (ÖR) Jasmin Wulf Die alleinige und abschließende Gewährung subjektiven Wahlrechtsschutzes durch die Länder bei Wahlen in ihrem Verfassungsraum steht der Statthaftigkeit von Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht gegen landesverfassungsrechtliche Wahlprüfungsentscheidungen... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG 2 BvR 2189/22 in: becklink 2027129 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Die alleinige und abschließende Gewährung subjektiven Wahlrechtsschutzes durch die Länder bei Wahlen in ihrem Verfassungsraum steht der Statthaftigkeit von Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht gegen landesverfassungsrechtliche Wahlprüfungsentscheidungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG entgegen. 2. Die Unantastbarkeit landesverfassungsgerichtlicher Wahlprüfungsentscheidungen steht unter dem Vorbehalt der Beachtung des Homogenitätsgebots gemäß Art. 29 Abs. 1 GG. B. Sachverhalt Am 26. September 2021 wurden in Berlin die Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sowie die Bundestagswahl durchgeführt. Auf gegen das festgestellte Wahlergebnis erhobene Einsprüche wegen zahlreicher Pannen erklärte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit Urteil vom 16. November 2022 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen insgesamt für ungültig. Dies führte zur Notwendigkeit einer Wiederholungswahl im gesamten Wahlgebiet. Am 15. Dezember 2022 haben die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie die Wiederholungswahl verhindern wollten. In der Hauptsache beantragten sie, festzustellen, dass die angegriffene Entscheidung sie in ihren Grundrechten aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. C. Anmerkungen Das BVerfG lehnte den Eilantrag ab, weil die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde nicht statthaft und damit unzulässig ist. Das Grundgesetz gewährleistet Bund und Ländern eigenständige Verfassungsbereiche, die auch das Wahlrecht umfassen. Daher wird bei Wahlen im Verfassungsraum eines Landes der subjektive Wahlrechtsschutz grundsätzlich durch das jeweilige Land allein und abschließend gewährt. Vor diesem Hintergrund ist für eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gegen landesverfassungsgerichtliche Wahlprüfungsentscheidungen regelmäßig kein Raum. Dies gilt auch, wenn mit ihr unmittelbar lediglich die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten jenseits der allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt wird. Denn Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte über Fragen, die allein dem Verfassungsraum der Länder zuzuordnen sind, sind grundsätzlich unantastbar. Das BVerfG ist nach der föderalen Ordnung des Grundgesetzes keine zweite Instanz über den Landesverfassungsgerichten, die berufen ist, deren Urteile in vollem Umfang nachzuprüfen. Andernfalls wäre die Autonomie der Länder im Bereich des subjektiven Wahlrechtsschutzes gefährdet. Zudem soll aus Gründen der Rechtssicherheit ein endgültiges Wahlergebnis für die ordnungsgemäße Zusammensetzung der Volksvertretung möglichst zügig erreicht werden. Diese Sperrwirkung des eigenständigen Verfassungsraums der Länder steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass ihre verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere die Regelung und Tätigkeit ihrer mit Aufgaben des Wahlrechtsschutzes betrauten Verfassungsgerichtsbarkeit den Homogenitätsanforderungen des Art. 28 Abs. 1 GG genügen. Dies ist im Land Berlin der Fall. D. In der Prüfung Einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG A. Zulässigkeit I. Statthaftigkeit II. Antragsberechtigung III. Keine evidente Unzulässigkeit der Hauptsache IV. Keine Vorwegnahme der Hauptsache V. Rechtsschutzbedürfnis VI. Form und Frist B. Begründetheit (P) Unstatthaftigkeit und damit Unzulässigkeit der Hauptsache E. Literaturhinweise Glauben, Neue Wege im Wahlprüfungsrecht - die Ungültigerklärung der Berlinwahlen durch den Berliner Verfassungsgerichtshof, NVwZ 2023, 21; Austermann, Berliner Wahldesaster - Lehren für die Wahlprüfung des Bundes, ZRP 2023, 23; Walter in: BeckOK BVerfGG, § 32. Entscheidung-der-Woche 21-2023 .pdf PDF herunterladen • 119KB Zurück Nächste

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