Suchergebnisse
424 Ergebnisse gefunden mit einer leeren Suche
- Entscheidung der Woche 03-2023 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 03-2023 (ÖR) Sirin Al Hakim Bodenrecht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG ist die flächenbezogene Ordnung der Nutzung von Grund und Boden durch öffentlich-rechtliche Normen, die Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand haben... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG – 1 BvR 2661/21 in: BeckRS 2022, 30620 NJW 2023, 47 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Bodenrecht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG ist die flächenbezogene Ordnung der Nutzung von Grund und Boden durch öffentlichrechtliche Normen, die Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand haben; also Normen, welche die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln, indem sie den Flächen Nutzungsfunktionen zuweisen und diese voneinander abgrenzen. Prägend ist die Flächenzuweisung für eine bestimmte Nutzung, die andere Nutzungen an diesem Standort im Wesentlichen ausschließt. 2. Die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG für Naturschutz und Landschaftspflege umfasst sowohl den Schutz durch Abwehr von Gefahren für Natur und Landschaft als auch die Pflege durch gestaltende Tätigkeit des Staates, die darauf abzielt, den Zustand von Natur und Landschaft zu verbessern. Gegenständlich an Bodenflächen ansetzende Regelungen im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege unterscheiden sich von bodenrechtlichen Regelungen durch ihre spezifischere Ausrichtung an den Schutzgütern Natur und Landschaft. 3. Für die Zuweisung von Flächen zur Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich hat der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Bodenrecht im Baugesetzbuch Gebrauch gemacht. Eine Öffnung, aus der der Landesgesetzgeber eine Kompetenz für einen generellen Ausschluss von Windenergieanlagen auf Waldflächen herleiten könnte, enthält das Baugesetzbuch nicht. Gegen eine Durchbrechung der in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB geregelten Privilegierung der Windkraft im Außenbereich durch pauschale landesrechtliche Verbote von Windenergieanlagen im Wald spricht auch, dass der Ausbau der Nutzung der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels leistet und zugleich die Sicherung der Energieversorgung unterstützt. B. Sachverhalt Bei der Abänderung der Nutzungsart von Wäldern ist in Thüringen, wie auch in allen anderen Bundesländern eine behördliche Genehmigung erforderlich, es handelt sich um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die hierzu einschlägige Norm des ThürWaldG, § 10 wurde im Dezember 2020 um § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG ergänzt. Hiernach sind solche Genehmigungen zwingend zu untersagen, die auf eine Waldnutzung zur Errichtung von Windenergieanlagen abzielen. Daraufhin erhoben dagegen mehrere Eigentümer von in Thüringen gelegenen Waldstücken Verfassungsbeschwerde, mit der Begründung, die Regelung sei kompetenzwidrig, zumal der Bund mit § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB eine abschließende Regelung zur Errichtung von Windrädern im Außenbereich getroffen habe. C. Anmerkungen Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärte § 10 Abs. 1 S. 2 des Thüringer Waldgesetzes (ThürWaldG) als mit dem Grundgesetz unvereinbar und somit nichtig. Das in der Vorschrift geregelte ausnahmslose Verbot der Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten zur Errichtung von Windenergieanlagen, wodurch jeglicher Bau von Windenergieanlagen in Waldgebieten verboten wird verhindert wird, stellt einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG. Die beschwerdeführenden Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer sind somit in ihrem Eigentumsrecht verletzt. Infolge der formellen Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 S. 2 des ThürWaldG ist der Eingriff in ebendieses Grundrecht auch nicht gerechtfertigt. Der Freistaat Thüringen hat für die genannte Norm nicht die nötige Gesetzgebungskompetenz. Die Norm ist der Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht zuzuordnen, von der der Bund in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB abschließend Gebrauch gemacht hat. Hierin regelt er die bauplanungsrechtliche Privilegierung der Windenergienutzung im Außenbereich. Das BVerfG stellt weiterhin fest, dass der § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG nicht lediglich den Zweck des Naturschutzes und der Landschaftspflege verfolgt, zumal das ThürWaldG hierzu bereits zahlreiche andere Normen enthält, vielmehr werden hierdurch andere Zwecke verfolgt, etwa die Durchbrechung der bodenrechtlichen Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich aus § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB durch ein ebenfalls flächenbezogenes Verbot. Das BVerfG stellt klar, dass § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG durch Art. 72 Abs. 1 GG gesperrt ist. Neben der Privilegierung aus § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB hat der Bundesgesetzgeber den Ländern zudem in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB, Möglichkeit der sogenannten Konzentrationszonenplanung, sowie in § 249 Abs. 3 BauGB, Möglichkeit zur Normierung von Mindestabständen für Windräder, definierte Ausnahmen gestattet. D. In der Prüfung I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde 1. Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage 1.Formelle Rechtmäßigkeit des § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG a) Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70ff. GG E. Literaturhinweise Schlacke/Wentzien/Römling, Beschleunigung der Energiewende, NVwZ 2022, 1577; Kment, Eine neue Ära beim Ausbau von Windenergieanlagen, NVwZ 2022, 1153. Entscheidung-der-Woche-03-2023 .pdf PDF herunterladen • 125KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 10-2019 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 10-2019 (ZR) Paula Kirsten Fluggesellschaften haften nicht bei verzögerter Abfertigung wegen eines mehrstündigen Systemausfalls im Flughafenterminal. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH, Urt. v. 15.01.2019 - X ZR 15/18 u. X ZR 85/18 A. Orientierungs- oder Leitsatz Fluggesellschaften haften nicht bei verzögerter Abfertigung wegen eines mehrstündigen Systemausfalls im Flughafenterminal. Es besteht keine Ausgleichszahlungspflicht wegen Flugverspätung. B. Sachverhalt Die Klägerinnen buchten bei der beklagten Airline Flüge von New York nach London mit Anschlussflügen nach Deutschland. Aufgrund eines Ausfalls aller Computersysteme am Terminal starteten die Flüge in New York verspätet. Infolgedessen landete die Maschine mit mehr als zwei Stunden Verspätung am Flughafen in London. Der ursprünglich gebuchte Weiterflug konnte nicht wahrgenommen werden. Mit einer Verspätung von mehr als neun Stunden erreichten die Passagiere schließlich den Zielflughafen. Die Anspruchstellerinnen begehrten Ausgleichszahlung wegen der verspäteten Flüge auf Grundlage von Art. 7. Abs. 1 S. 1 lit. c der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004). C. Anmerkungen Die vorliegende Entscheidung des BGH bestätigt, dass der Einfluss von EU-Recht im deutschen Rechtssystem keine Seltenheit, sondern vielmehr die Regel ist. Eine Auslegung von europäischen Verordnungen ist im Rahmen der zivilrechtlichen Fallbearbeitungs- und Klausurpraxis durchaus möglich. Ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Flughafenterminals stellt einen Fall der außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung (kurz: Fluggastrechte-VO) dar. Nach dieser Vorschrift ist eine Airline nicht zur Leistung von Entschädigungszahlungen verpflichtet, wenn außergewöhnliche Umstände die Verspätung verursacht haben. Eine Haftung der Airline für den Ausfall der Systeme am Abflughafen scheidet unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes aus, dass der Betrieb technischer Einrichtungen des Flughafens dem Flughafenbetreiber und gerade nicht der betroffenen Airline obliegt; die Überwachung und Wartung von Telekommunikationsleitungen fallen nicht in den Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich der Airline. Maßgeblich ist schließlich, ob die Airline alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine pünktliche Ankunftszeit ihrer Passagiere zu ermöglichen. Eine solche zumutbare Maßnahme realisiert sich in der manuellen Abfertigung der Fluggastpassagiere. Schließlich kommt es aber auch darauf nicht an, wenn damit die für Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung erhebliche Verspätungen des Fluges nicht hätten verhindert werden können. D. In der Prüfung I. Ausgleichsanspruch aus Art. 7 Fluggastrechte-VO 1. Anwendungsbereich der Verordnung gem. Art. 3 Abs. 1 Fluggastrechte-VO 2. Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen Verspätung oder Annullierung gem. Art. 5, 6 Fluggastrechte-VO 3. kein außergewöhnlicher Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO 4. Höhe des Ausgleichsanspruchs gemäß Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-VO Merke: Der Ausgleichsanspruch des Art. 7 Fluggastrechte-VO ist verschuldens- und schadensunabhängig! Daneben ist ein Schadensersatzanspruch aus nationalem Recht gemäß §§ 280ff. BGB denkbar. Ein Schuldverhältnis ergibt sich aus der durch die Fluggastrechte-VO statuierten gesetzlichen Sonderverbindung (vgl. BGH NJW 2013, 378 Rn. 33). E. Zur Vertiefung EuGH, Urt. v. 31.05.2018 – C-537/17; LG Kleve, Urt. v. 07.06.2018 – 6 S 122/17, mit Anm. NJW-RR 2018, S. 1084-1086; Steinrötter in: BeckOK Großkommentar, Fluggastrechte-VO. Entscheidung-der-Woche-10-2019 .pdf PDF herunterladen • 96KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 13-2022 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 13-2022 (ÖR) Btissam Boulakhrif § 315 d StGB ist mit dem GG vereinbar. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG – 2 BvL 1/20 – in: BeckRS 2022, 2993 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. § 315 d StGB ist mit dem GG vereinbar. 2. Die Vorlage im Zwischenverfahren steht der Entscheidungserheblichkeit gem. Art. 100 Abs. 1 GG nicht entgegen. 3. § 315d StGB verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. B. Sachverhalt Das Amtsgericht Villingen-Schwenningen legte dem BVerfG die Frage vor, ob der § 315d StGB mit dem GG vereinbar ist. Im entsprechenden Gerichtsverfahren vor dem AG wird dem Angeklagten eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 1, § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, § 52 StGB wegen einer Polizeifluchtfahrt bei dem dieser Geschwindigkeiten von 80 bis 100 km/h erreicht habe, vorgeworfen. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Norm gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. C. Anmerkungen Die Vorlage ist laut BVerfG entscheidungserheblich. Dabei schade es auch nicht, dass diese bereits im Zwischenverfahren erfolgt ist. Das Gericht sei zur Prüfung aller rechtlichen Gesichtspunkte auch bereits im Zwischenverfahren verpflichtet. Darunter falle auch die Frage, welche Normen überhaupt angewandt werden können. Eine spätere Entscheidung des BGH zu der Frage sei ebenfalls unschädlich. Es existiere keine verfassungsprozessuale Pflicht der Gerichte, auch nach Vorlage an das BVerfG, den Vorlagebeschluss später erneut zur Prüfung zu stellen. Ob der Bestimmtheitsgrundsatz verletzt ist, sei laut BVerfG durch eine wertende Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Der Senat entschied hier, dass das Bestimmtheitsgebot gewahrt sei, denn zum einen sei es möglich den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB mittels der gewöhnlichen Auslegungsmethoden auszulegen und zum anderen gehe auch das Absichtserfordernis des § 315d StGB nicht in der Definition der weiteren Tatbestandsmerkmale vor, sodass auch kein Verstoß gegen die sog. Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen angenommen werden könne. Der Senat stellte auch fest, dass die Reichweite des Art. 7 EMRK, welcher das Bestimmtheits- und Klarheitsgebot normiert nicht über die des Art. 103 Abs. 2 GG hinausgeht. Durch die hinreichende Konkretisierung der Norm, sei gleichzeitig auch das Bestimmtheitsgebot aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 3 GG gewahrt. Schließlich prüfte das Gericht auch eine Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 GG und stellte hierbei eine Vereinbarkeit der Norm des § 315d StGB mit dem Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit fest. Insbesondere sei auch die Verhältnismäßigkeit gegeben. So fördere die Norm durch die Strafbewehrung die Sicherheit des Straßenverkehrs effektiver als das Ordnungswidrigkeitenrecht. Weiterhin stelle sie auch ein angemessenes Mittel im Hinblick auf das hohe Rechtsgut des Lebens, welches über die Sicherheit des Straßenverkehrs geschützt werden solle, dar. D. In der Prüfung Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG 1. Zulässigkeit a. Vorlageberechtigung b. Vorlagegegenstand c. Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit d. Entscheidungserheblichkeit e. Form und Begründung, §§ 80 Abs. 2, 23 Abs. 1 BVerfGG 2. Begründetheit a. Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 103 Abs. 2 GG b. Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 3 GG c. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG aa. Schutzbereich bb. Eingriff cc. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung bb. Schranken-Schranken E. Literaturhinweise AG Villingen Schwenningen, SVR 2020, 146 (mit Anm. Krumm); Krumm, Illegale Rennen – der Alleinraser!, SVR 2020, 8; BGH, Verbotenes „Alleinrennen“ – Geschwindigkeitsüberhöhung und Absicht, NJW 2021, 1173 (mit Anm. Hoven); Müller/Rebler, Nicht angepasste Geschwindigkeit und höchstmögliche Geschwindigkeit – die verfassungsrechtliche Problematik des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, SVR 2020, 245. Entscheidung-der-Woche-13-2022 .pdf PDF herunterladen • 114KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 20-2020 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 20-2020 (ZR) Felicia Maas In einem sogenannten Pferdepensionsvertrag hält eine formularmäßige Vertragsbestimmung, die eine beiderseitige Kündigungsfrist von acht Wochen zum Monatsende vorsieht, grundsätzlich der AGB – rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB stand. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH, 02.10.2019 – XII ZR 8/19 in: BeckRS 2019, 26889 NJW 2020, 328 A. Orientierungssätze In einem sogenannten Pferdepensionsvertrag hält eine formularmäßige Vertragsbestimmung, die eine beiderseitige Kündigungsfrist von acht Wochen zum Monatsende vorsieht, grundsätzlich der AGB – rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB stand. B. Sachverhalt (verkürzt & vereinfacht) Die Parteien stritten um die Vergütung für die Einstelllung von Pferden in einer Reitanlage. Die Bekl. hatte zwei Pferde seit Februar 2012 aufgrund von „Pferdeeinstellungsverträgen“ für eine monatliche Vergütung von je 650 Euro auf dem Hof des Kl. eingestellt. Die einzelnen Vertragsbedingungen ergaben sich aus gleichlautenden Formularverträgen, die vom Kläger gestellt wurden und auszugsweiselauten: § 2. (...)Der Vertrag kann von jedem Vertragspartner mit einer achtwöchigen Frist zum Monatsende gekündigt werden. Der Vertrag kann ohne Fristeinhaltung nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.(...) Der Einsteller ist berechtigt, sein Pferd jederzeit (bereits vor Vertragsablauf) wieder an sich zunehmen. §3 Folgende Leistungen sind im Preis enthalten: Vermietung und Nutzung der Pferdebox und Anlagen, Lieferung von Heu, Einstreu und Kraftfutter sowie Entmistung(...). Am 20.08.2014 erklärte die Bekl. Ein Pferd „mit sofortiger Wirkung“ aus der Reitanlage zunehmen. Im Dezember 2015 zog die Bekl. Auch mit dem zweiten Pferd aus der Reitanlage des Kl. aus. C. Anmerkungen Bei einem „Pferdeeinstellvertrag“ handelt es sich aufgrund der verwahrungs-, miet- ,dienst- und kaufrechtlichen Elemente um einen typengemischten Vertrag. Ein rechtlicher Schwerpunkt des Vertrages liegt laut BGH im Verwahrungsrecht. Die besonderen pflegerischen Elemente des Vertrages, die über bloße Obhut des Pferdes hinausgehen, seien von untergeordneter Natur, sodass ein dienstvertraglicher Schwerpunkt abzulehnen sei. Nach §695 S.1 BGB ist eine Beendigung des Verwahrungsvertrages jederzeit möglich. Fraglich war daher, ob die abweichende achtwöchige Kündigungsfrist nach § 307 Abs. Nr.1 BGB unvereinbar mit dem wesentlichen Grundgedanken des § 695 S. 1 BGB ist. Ob das jederzeitige Rückforderungsrecht für den Typus des § 695 BGB zwingend ist, ist streitig, könne jedoch vorliegend dahinstehen, denn die Vereinbarung zu den Kündigungsfristenberühre nicht das Recht der Bekl., ihre eingestellten Pferde jederzeit wieder an sich zunehmen. Problematisch ist aber, dass mit der Kündigung auch der Verwahrungsvertrag endet und durch die Frist davon abgewichen wird. Jedoch lässt der Wortlaut des § 695 Abs.2 BGB eine derartige Abweichung zu, weshalb § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht einschlägig ist. Ferner war fraglich, ob die achtwöchige Kündigungsfrist nach Abgleich der Interessen von Verwahrer und Hinterleger nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen war. Zwar ergebe sich ein nachvollziehbares und schutzwürdiges Interesse für den Verwahrer aus Gründen der Planungssicherheit, aber auch der Einsteller werde durch die Kündigungsfrist geschützt, indem er nicht wie bei der Geltendmachung eines nicht fristgebundenen Rücknahmeanspruchs durch den Reitstallinhaber vor erhebliche Probleme gestellt wird. Als Leitbild für die Angemessenheit der Länge der Kündigungsfrist greift der BGH auf § 473 Abs. 1 HGB zurück, wonach ein Lagervertrag unter Einhaltung einer Mindestfrist von einem Monat gekündigt werden kann. Demnach könne im Rahmen einer AGB– rechtlichen Kontrolle am Maßstab des § 307 BGB eine maßvolle Überschreitung der Monatsfrist hingenommen werden, wenn diese dem Einsteller von einem gewissen Nutzen sein kann. D. In der Prüfung A. Anspruch auf Zahlung der Vergütung für ausstehenden Pensionspreise für die Monate September und Oktober 2014 und Januar und Februar 2016 I. Anspruch entstanden II. Anspruch erloschen 1. Keine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund 2. Wirksamkeit des § 2 hinsichtlich der Kündigungsfrist von 8 Wochen a) Einbeziehung § 305 b) Unwirksamkeit gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 aa) Rechtsnatur des Pferdeeinstellvertrages bb) Verwahrungsrecht anwendbar, § 695 S. 1 cc) (P) Abweichung durch Frist mit Grundgedanken des § 695 unvereinbar, § 307 Abs. 2 Nr. 1? c) Unwirksamkeit gem. § 307 Abs. 1 S. 1? (P) Frist von 8 Wochen III. Anspruch durchsetzbar B. Ergebnis E. Zur Vertiefung Zu den einzelnen Ansichten des Streites s. Henssler, in MüKo BGB § 695 Rn. 2; Zu abweichende Vereinbarung s. Schlinker, in BeckOGK § 699 Rn. 9; Zu Unangemessenheit s. Eckelt, in BeckOGK § 307 Rn.77–83. Entscheidung-der-Woche-20-2020 .pdf PDF herunterladen • 100KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 17-2018 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 17-2018 (ZR) Paula Kirsten Bei einem Zusammenwirken einer vorsätzlichen Schädigung und einem fahrlässigen Verhalten des Geschädigten, bleibt der Beitrag des letzteren i.d.R. unberücksichtigt. Wo? BGH VI ZR 128/16 in: ZIP 2018, 694 MDR 2018, 274 Vorinstanz LG Bonn, 19.06.2015 – 3 O 25/11 OLG Köln, 17.03.2016 – 7 U 149/15 Was? BGH, Urteil vom 19.12.2017 Mit Urteil vom 19.12.2017 bestätigt der BGH den Regelfall, dass bei einer Haftung im Rahmen der § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB eine anspruchsmindernde Berücksichtigung eines fahrlässigen Verhaltens des Geschädigten nicht in Betracht kommt, wenn der Schädigende mit Schädigungsvorsatz handelte. Einem vorsätzlich handelnden Schädiger ist es verwehrt, sich auf ein fahrlässiges Mitverschulden des Geschädigten gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu berufen. Regelfall Bei einem Zusammenwirken einer vorsätzlichen Schädigung und einem fahrlässigen Verhalten des Geschädigten, bleibt der Beitrag des letzteren i.d.R unberücksichtigt. Ausnahmen von dieser Regel müssen dann zugelassen werden, wenn unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben i.S.d. § 242 BGB und den Umständen des Einzelfalls eine Schadensteilung gerechtfertigt ist, diese Einzelfälle in der Klausur zu kennen, sichert die befriedigende Lösung. Ausnahme Eine Möglichkeit der Schadensteilung wurde angenommen, wenn: der Vorsatz des Schädigers nicht den eingetretenen Schaden umfasste (BAG, Urteil 1 AZR 520/69), der Schädiger keine Vorstellung von der Höhe des drohenden Schadens (Senat, Urteil VI ZR 245/67) hatte, der vorsätzlich Handelnde dem Geschädigten Sicherungsmöglichkeiten angeboten hatte und sich bemüht hat, den Schaden zu verhindern (Senat, Urteil VI ZR 229/67), die Ursächlichkeit des Schadens so überwiegend beim Kläger lag, dass von einem einfachen Verursachungsbeitrag nicht mehr die Rede sein kann (BGH, Urteil VII ZR 313/69). Vertiefungsaufgabe Haftungsvoraussetzungen gemäß § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB – Wagner in: MüKoBGB, § 823; Vertiefend: Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, S. 619f. Entscheidung-der-Woche-17-2018 .pdf PDF herunterladen • 258KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 34-2024 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 34-2024 (SR) Johanna Lange Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: BayObLG, Beschluss vom 12.03.2024 - 203 StRR 73/24 Fundstelle: openJur 2024, 2920 A. (redaktionell veränderte) Orientierungs - oder Leitsätze 1. Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten und unterliegt denselben Voraussetzungen. 2. Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer. 3. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage. Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten. B. Sachverhalt A beobachtet, wie T und U sich heftig streiten und U seines Empfindens nach in Gefahr ist. Er beschließt, dem U zu helfen und streckt den T mit einem heftigen Faustschlag gegen den Kopf nieder. T erleidet davon mehrere schwere Verletzungen. Später gibt T an, dass U ihn gegen die Wand gedrückt habe; an alles Weitere könne er sich nicht mehr erinnern. Handelte A aus Nothilfe gem. § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt. StGB, da er den T als Angreifer wahrnahm und dem U helfen wollte und ist somit von einer gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu rechtfertigen? C. Anmerkungen Der Tatbestand von §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist durch den des lebensgefährdenden Schlag gegen den Kopf des T erfüllt. Für eine Rechtfertigung nach § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt. StGB muss eine Nothilfelage bestanden haben, die durch eine geeignete und gebotene Nothilfehandlung zumindest aufgelöst hätte werden können. Eine Nothilfelage liegt vor, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf eine andere Person vorliegt. Aufgrund der Aussage des T sich an nichts Weiteres erinnern zu können, ist es nicht ausgeschlossen, dass das von A bemerkte Hin und Her zwischen T und U so stattgefunden hat. Somit kann es nicht ausgeschlossen werden, dass T angegriffen hat. Weitere Umstände konnten nicht geklärt werden. Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass A den U aus einer solchen Nothilfelage befreien wollte. Die erfolgte Nothilfehandlung müsste geeignet, das mildeste Mittel und geboten gewesen sein. Der Schlag auf den Kopf war geeignet, den Angriff des T mit sofortiger und endgültiger Wirkung zu beenden. Das Erfordernis des relativ mildesten Mittels bedeutet, dass der Verteidiger unter mehreren ihm zur Verfügung stehenden gleich effektiven Mitteln dasjenige wählen muss, das den Angreifer am wenigsten schädigt. Dabei hat der Eingreifende den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen der effektiven Verteidigung möglich ist und dies auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes einschließlich der Intensität und Dauer zu berücksichtigen. Dies wird aus einer ex ante Sicht beurteilt. Maßgeblich dafür ist die konkrete Kampflage, also unter welchen Umständen sich Angriff und Abwehr abspielten und auch durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen. A setzte den Schlag ein, während augenscheinlich der Streit zwischen T und U in einer größeren Gruppe losging. Dem A standen damit schonendere Mittel zu Verfügung, etwa die Androhung eines Einschreitens zur Unterstützung des U, ein Dazwischentreten oder auch ein weniger heftig geführter Schlag. Damit ist die Notwehrhandlung zwar geeignet, aber nicht das relativ mildeste Mittel. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt mangels einer Fehlvorstellung des Täters nicht vor. D. In der Prüfung §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB I. Tatbestand 1. Grundtatbestand, § 223 Abs. 1 StGB (+) 2. Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (+) II. Rechtswidrigkeit 1. Nothilfe, § 32 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt StGB a. Nothilfelage (+) b. Nothilfehandlung aa. Geeignetheit (+) bb. relativ mildestes Mittel (-) c. Zwischenergebnis 2. Zwischenergebnis III. Schuld (+) IV. Ergebnis (+) E. Literaturhinweise Fischer, Strafgesetzbuch, 71. Auflage 2024, § 32. Entscheidung der Woche 34-2024 .pdf PDF herunterladen • 70KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 46-2025 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 46-2025 (ÖR) Leon Münch Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hat eine wirtschaftliche und eine auf die Erhaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: 1 BvR 1796/23 A. Orientierungs - oder Leitsätze Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hat eine wirtschaftliche und eine auf die Erhaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension. Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO erreicht die mit ihr verfolgten legitimen Ziele nur noch zu einem geringen Grad und schränkt die Berufsfreiheit unverhältnismäßig ein, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. B. Sachverhalt Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1992 als Notar zugelassen und war Anwaltsnotar. Sein Notaramt ist durch Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres mit Ablauf des 30. November 2023 erloschen. Im Jahr 2021 hat der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Köln eine berufsgerichtliche Klage gegen den Präsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf als Aufsichtsbehörde erhoben. Er hat beantrag festzu-stellen, dass sein Notaramt nicht mit Erreichen der Altersgrenze erlösche. Die gesetzliche Altersgrenze verstoße gegen Art. 21 Abs. 1 GRCh sowie gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach Art. 1, Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG. Sie sei wegen eines inzwischen eingetretenen Mangels an Bewerbern für Notariatsstellen nicht mehr erforderlich und damit nicht gerechtfertigt. Das Oberlandesgericht Köln hat die Klage mit Urteil vom 10. Februar 2022 als unbegründet abgewiesen. Die Berufung des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof mit Urteil von 7. August 2023 auch zurückgewiesen. Somit richtete der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Urteil und die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sowie gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln. Mittelbar wendet er sich gegen § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO. C. Anmerkungen Im Fokus liegt die Frage, welchen legitimen Zwecken die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO dient. Die Festlegung eines Höchstalters für die Berufsausübung soll eine funktionstüchtige Rechtspflege gewährleisten. Die Altersgrenze ist auch ein Mittel, mit dem eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen bezweckt wird. Somit wird schließlich der Zweck verfolgt, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren zu schützen. Das Überangebot an Bewerbern auf das Anwaltsnotariat hat sich inzwischen grundlegend gewandelt. Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und - erhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab. Nach diesen Maßstäben erweist sich die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO als nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres greift schwerwiegend in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein. Demgegenüber stehen zwar Gemeinwohlbelange, die ebenfalls erhebliches Gewicht haben. Mit Blick darauf, dass der Grad der Zweckerreichung durch die Altersgrenze im Anwaltsnotariat mittlerweile gering ist, besteht aber kein verfassungsrechtlich angemessener Interessenausgleich mehr. D. In der Prüfung Zulässigkeit (+) Begründetheit I. Verstoß gegen Art. 12 I (Berufsfreiheit) Schutzbereich (+) Eingriff (+) Rechtfertigung (Dreistufentheorie) b) Subjektive Zulassungsvoraussetzungen (P) Abwägung: Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts im Gegensatz zur Einschränkung der Berufsfreiheit der Notare E. Literaturhinweise BVerfG, Urt. v. 23.9.2025 - 1 BvR 1796/23 Entscheidung der Woche 46-2025 .pdf PDF herunterladen • 71KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 14-2022 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 14-2022 (ZR) Anika Brämer Die Denkmaleigenschaft des Kaufobjekts kann einen Sachmangel iSd § 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB begründen. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH V ZR 158/19 in: ZEV 2021, 382 RÜ 2021, 477 (mit Anm. Marski) NJW-RR 2021, 1068 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Die Denkmaleigenschaft des Kaufobjekts kann einen Sachmangel iSd § 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB begründen. 2. Verkauft der Testamentsvollstrecker ein Nachlassgrundstück, kann ihm die Kenntnis der Erben über Mängel der Kaufsache oder andere offenbarungspflichtige Umstände nicht nach den für juristische Personen und öffentliche Körperschaften geltenden Grundsätzen über die „Organisation eines innerbetrieblichen Informationsaustausches“ zugerechnet werden. 3. Eine solche Zurechnung findet im Verhältnis eines Grundstücksverkäufers zu einer von ihm (nur) mit der Verwaltung des Grundstücks beauftragten, rechtlich und organisatorisch selbstständigen Hausverwaltung nicht statt. B. Sachverhalt B verkaufte als Testamentsvollstrecker über den Nachlass seines Vaters ein mit Wohnhaus bebautes Grundstück in Hamburg für 5 Mio € an K, wobei im 2011 vollzogenen notariellen Kaufvertrag vom 21.12.2009 alle Rechte wegen Sachmängeln ausgeschlossen waren. Mitglieder der Erbengemeinschaft waren neben B dessen Bruder und Schwester. Das Haus war bereits 2006 in das Verzeichnis der erkannten Denkmäler aufgenommen und 2013 in die Denkmalliste eingetragen und damit unter Denkmalschutz gestellt worden. Bezüglich der Aufnahme ins Verzeichnis 2006 war ein Informationsschreiben an die Schwester zugestellt sowie ein ebensolches an die Grundstücksverwaltung gesandt worden. K meint, das Grundstück sei wegen des Denkmalschutzes mangelhaft und verlangt Schadensersatz, während B sich darauf beruft, das Schreiben an die Schwester nicht gekannt zu haben. Es greife der vertragliche Haftungsausschluss. C. Anmerkungen Der Fall beinhaltet neben den klassischen Examensproblematiken Sachmangel und Haftungsausschluss auch Probleme der Zurechnung von Kenntnissen aus dem BGB AT und ist daher wie gemacht für eine Examensklausur, die sich mit solidem Grundverständnis gut lösen lässt. Der BGH hat einen Anspruch nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB geprüft. Richtigerweise handelt es sich mangels Einflussmöglichkeiten des B auf die Aufnahme ins Verzeichnis jedoch um einen Fall der anfänglichen Unmöglichkeit, so dass §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB die einschlägige Anspruchsgrundlage ist. Der Senat hat offengelassen, ob die Aufnahme ins Verzeichnis bereits einen Sachmangel darstellen kann. Insofern spricht vieles für eine Bejahung, da aufgrund der Aufnahme bereits objektiv damit zu rechnen war, dass das Grundstück in absehbarer Zeit unter Denkmalschutz gestellt wird. So hatte auch das Berufungsgericht einen Sachmangel bejaht. Eine Kenntniszurechnung der Schwester als Wissensvertreterin des B oder aufgrund der Grundsätze der Organisation im Rahmen eines innerbetrieblichen Informationsaustausches scheidet mangels Eingliederung in die Organisation des Testamentsvollstreckers, der selbstständig und unter Umständen auch gegen den Willen der Erben entscheiden muss, aus. Auch die organisatorisch selbstständige Hausverwaltung ist nicht in eine arbeitsteilige Organisation des Verkäufers eingegliedert. D. In der Prüfung I. §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB 1. Notarieller Kaufvertrag 2. Sachmangel bei Gefahrübergang § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB a. Aufnahme in die Denkmalliste 2013 b. (P) Eintragung ins Verzeichnis der erkannten Denkmäler 3. Anfängliche Unmöglichkeit § 275 Abs. 1 BGB 4. Vertretenmüssen iSd § 311a Abs. 2 S. 2 BGB a. Kenntnis des B b. (P) Zurechnung der Kenntnis der Schwester gem. § 166 Abs. 1 BGB analog c. (P) Zurechnung der Kenntnis der Hausverwaltung gem. § 166 Abs. 1 BGB analog d. Schuldhafte Unkenntnis 5. jedenfalls: Haftungsausschluss (keine Unwirksamkeit gem. § 444 Alt. 1 BGB) II. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (c.i.c.) 1. Voraussetzungen 2. Wirksamer Haftungsausschluss E. Literaturhinweise Zu Baubeschränkungen als Sachmängel siehe MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, BGB § 434 Rn. 55ff; Zur Zurechnung nach § 166 BGB analog siehe BeckOK BGB/Schäfer, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 166 Rn. 18ff. Entscheidung-der-Woche-14-2022 .pdf PDF herunterladen • 77KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 07-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 07-2020 (ÖR) Daniel Müller Die Abschaffung der Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen ist mit den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats i. S. v. Art. 1 Abs. 1, Art 2 Landesverfassung NRW i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: VerfGH NRW, Urt. v. 20.12.2019 – 35/19 in: BeckRS 2019, 32591 A. Leitsätze Die Abschaffung der Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen ist mit den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats i. S. v. Art. 1 Abs. 1, Art 2 Landesverfassung NRW i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig. B. Sachverhalt (verkürzt) § 46c Abs. 2 KWahlG NRW a. F. sah vor, dass eine Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen durchzuführen sei, sofern keiner der Bewerber im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhält. Zwischen 2018 und 2019 brachten die Landtagsfraktionen von CDU und FDP mehrere Änderungsanträge ein, die eine erneute Abschaffung der Stichwahl bei den Bürgermeister- und Kommunalwahlen in § 46c KWahlG vorsahen. Zur Begründung heißt es, die Wiedereinführung der Stichwahl im Jahr 2011 habe nicht die erhoffte Wirkung gezeigt, da die Wahlbeteiligung bei 93 Stichwahlen jeweils niedriger gelegen habe als im ersten Wahlgang. Es sei ein fortschreitendes Absinken der Wahlbeteiligung zu verzeichnen. Die Erfahrungen bei Landtags- und Bundestagswahlen zeige zudem, dass es keine Zweifel an der demokratischen Legitimation der Gewählten gebe, obwohl die Wahl durch die relative Mehrheit entschieden werde. Im April 2019 verabschiedete der Landtag das Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes. Nach § 46c Abs. 1 KWahlG NRW n. F. ist als Bürgermeister oder Landrat gewählt, wer von den gültigen Stimmen die höchste Stimmenzahl erhalten hat. Hiergegen wenden sich die Antragsteller im Wege einer abstrakten Normenkontrolle. C. Anmerkungen Prüfungsmaßstab der vorliegenden Entscheidung im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 75 Nr. 3 LV, § 12 Nr. 6, § 47a VerfGHG sind das Landesverfassungsrecht sowie - vermittelt durch das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG - die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Art. 1 und 20 GG. Der Verfassungsgerichtshof setzt sich dabei ausführlich mit einem möglichen Verstoß gegen das Demokratieprinzip aufgrund einer ungenügenden Prognoseentscheidung des Gesetzgebers auseinander. 1. Eine abstrakte Beurteilung der Legitimationswirkung einer einstufigen Wahl ist nicht möglich. Diese muss vielmehr anhand der tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden. 2. Der Landesgesetzgeber verfügt bei der konkreten Ausgestaltung der Wahl über einen weiten Gestaltungsspielraum. Die gerichtliche Kontrolle ist dabei auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen beschränkt. 3. Das Ziel, einer Schwächung der Legitimationskraft entgegenzuwirken, kann grundsätzlich einen sachlichen Grund für die Wahlrechtsänderung darstellen. Das Gebot hinreichender Legitimationskraft folgt aus dem Demokratieprinzip. 4. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft kann bei einer einstufigen Wahl künftig zu einer höheren Zahl von Hauptverwaltungsbeamten führen, die nur mit jeweils niedrigen relativen Mehrheiten gewählt werden. Dies hätte der Gesetzgeber bei der Prognose über die Legitimationskraft zwingend berücksichtigen müssen. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Verstoß gegen Grundrechte 2. Verstoß gegen sonstiges Verfassungsrecht a. Verstoß gegen das Demokratieprinzip b. Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl c. Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Bewerber E. Zur Vertiefung Mehde, Zur Abschaffung und Wiedereinführung der Stichwahlen, KommJur 2013, 446 - 452. Entscheidung-der-Woche-07-2020 .pdf PDF herunterladen • 90KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 15-2024 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 15-2024 (ZR) Lea Kramer Die Äußerung „#DubistEinMann“ ist eine zulässige Meinungsäußerung und stellt keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne des §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG dar. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: OLG Frankfurt,Hinweisbeschluss v. 26.09.2023 - 16 U 95/23 Fundstelle: GRUR-RR 2024, 122; NJW RR 2024/325 A. Orientierungs - oder Leitsätze Die Äußerung „#DubistEinMann“ ist eine zulässige Meinungsäußerung und stellt keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne des §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG dar. B. Sachverhalt Die Klägerin ist eine Transfrau und postet im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit auf „X“, ehemals Twitter, Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen. In dem Kommentar spricht sie sich gegen „#TERFs“ (d.h. Trans Exclusionary Radical Feminists) aus und fordert zu mehr Unterstützung des deutschen Frauenrats auf. Die Beklagte reagiert direkt unter dem Kommentar der Klägerin mit dem Hashtag „times changed! #DubistEinMann “. Dazu fügt sie ein Smiley- Emoji mit lachendem Gesicht ein. Die Klägerin sieht sich durch den Kommentar in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Beklagte behaupte durch die Äußerung, dass die Klägerin ein Mann sei. Damit spreche die Beklagte ihr in ehrverletzender Weise ihre tatsächliche Geschlechtsidentität und Lebensrealität ab. Insofern stehe ihr ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zu, es zu unterlassen, in Bezug auf ihre Person zu verbreiten, dass „sie ein Mann sei.“ C. Anmerkungen Die streitgegenständliche Äußerung „#DubisteinMann“ ist nach Auffassung des LG Frankfurt eine zulässige Meinungsäußerung. Nachdem auch das OLG Frankfurt in einem Hinweisbeschluss diese Meinung teilte, nahm die Klägerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. In der Entscheidung wird ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog geprüft. Im Kern steht die Frage, ob ein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG vorliegt. Die Reichweite des APR als Rahmenrecht ist nicht klar zu bestimmen. Daher muss unter Abwägung der entgegenstehenden grundrechtlichen Interessen die Rechtswidrigkeit positiv festgestellt werden. Abzuwägen ist der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegenüber dem Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens, sowie der Beurteilung geprägt.Das Gericht sieht in der Aussage „#DuBistEinMann“ eine politische und gesellschaftliche Meinungsäußerung bezüglich transidenter Personen sowie eine Kritik am Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes. Der Kommentar stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beitrag und sei daher als Reaktion auf die sachliche Auseinandersetzung anzusehen. Somit handele es sich bei der umstrittenen Auseinandersetzung um eine gesellschaftspolitische Meinung und gar nicht um unzulässige Schmähkritik. Eine Bewertung der streitgegenständlichen Äußerung sei aus Sicht eines verständigen und unvoreingenommenen Dritten zu beurteilen. Bei der Beurteilung stellt das Gericht auf die Schreibweise des Kommentars ab. Demnach sei die Klägerin durch die Verwendung des Personalpronomens „du“ nicht persönlich angesprochen. Die Kritik richte sich an alle Personen, die sich für ein Gesetz zur Selbstbestimmung einsetzen. Auch der Gebrauch des unbestimmbaren Artikels „ein“ zeige, dass die Äußerung sich nicht auf die Klägerin persönlich beziehe, sondern als verallgemeinernde Aussage zu verstehen sei. Das Wort „Mann“ stelle ein Akronym für den von der Klägerin verwendeten Hashtag „#TERFs“ dar. Die Äußerung stehe daher in unmittelbarem Zusammenhang mit dem von der Klägerin verwendeten Hashtag. Außerdem diene die Verwendung eines Hashtags gerade dazu, eine Verknüpfung zu anderen Beiträgen herzustellen und Reichweite zu generieren beziehungsweise Gleichgesinnte zu finden. Darüber hinaus ist der Kommentar der Klägerin öffentlich im Internet zugänglich. Unter Verwendung des Hashtags „#TERFs“ habe sich die Klägerin daher bewusst in die Öffentlichkeit begeben und damit das gesellschaftliche Thema zum öffentlichen Diskurs gemacht. Naturgemäß müsse die Klägerin dabei auch mit anderen Meinungen rechnen. D. In der Prüfung A. Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB I. Analoge Anwendbarkeit des § 1004 Abs.1 S. 2 BGB II. Verletzung geschützten Rechtsguts i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB III. Rechtswidrigkeit des Eingriffs insb. keine Duldungspflicht, § 1004 Abs. 2 BGB analog IV. Weitere bevorstehende Beeinträchtigungen V. Anspruchsgegner ist Störer E. Literaturhinweise Grüneberg/Sprau, § 823 Rn 83 ff.; BeckOK BGB/Fritzsche § 1004 Rn. 4. Entscheidung der Woche 15-2024 .pdf PDF herunterladen • 148KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 52-2024 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 52-2024 (SR) Anna Bredemeier Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: BGH Urt. v. 01.02.2024 - 4 StR 287/23 Fundstelle: NJW 2024, 241; VRS 147, 169; ZfS 2024, 345 A. Orientierungs- oder Leitsätze 1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. 2. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl in der Tatsituation nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. 3. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. B. Sachverhalt A wurde auf einem Parkplatz in seinem Auto sitzend von K angesprochen. Dieser bat ihn, ihm ein Gramm Cannabis zu verkaufen. A sagte die spätere Lieferung des Rauschgifts durch einen Dritten zu. K, der das Cannabis sofort konsumieren wollte, geriet in Wut. Er schlug A nach einer verbalen Auseinandersetzung ins Gesicht und nannte ihn einen "räudigen Hund". A wollte die Demütigung nicht auf sich beruhen lassen und beschloss, unter Einsatz des von ihm geführten Kraftfahrzeugs den K anzufahren. A verließ den Parkplatz, wobei er die Vorfahrt missachtete. Um eine Kollision mit einem anderen Auto zu vermeiden, musste er scharf abbremsen. K nahm diese Bremsgeräusche wahr und sah, dass A mit dem Auto auf ihn zufuhr. Dabei hielt er es für möglich, dass A ihm folgen könnte, um ihm Angst einzujagen. Mit einer körperlichen Auseinandersetzung rechnete er nicht. Er führte seinen Weg unbeirrt fort. A beschleunigte nun sein Fahrzeug und lenkte es mit rund 50 km/h gezielt auf den Gehweg. K sah sich kurz vor der Kollision noch einmal um und sah, dass A auf ihn zusteuerte. Ihm verblieb aber keine Zeit, noch auszuweichen. Tatplangemäß erfasste A den K mit dem Kfz, wodurch K mehrere Verletzungen erlitt. A nahm an, ihn getötet zu haben. C. Anmerkungen Der BGH bestätigte ein heimtückisches Handeln im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB des A. Zwar ging dem Tatgeschehen zwischen A und K eine verbale und körperlich geführte Auseinandersetzung voraus. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung verhielt sich der Angeklagte aber zurückhaltend, passiv und ängstlich. K erwartete nach der aus seiner Sicht beendeten Auseinandersetzung keinen erheblichen Angriff gegen seine körperliche Integrität, sondern rechnete allenfalls damit, dass der ihm körperlich unterlegene A ihn angesichts seines vorangegangenen Verhaltens zur Rede stellen oder ihm "Angst einjagen" könne. K rechnete somit nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit. Dass er sich unmittelbar vor der Kollision umwandte und den Angriff daher in letzter Minute wahrnahm, stellt seine Arglosigkeit nicht in Frage, weil die verbleibende Zeitspanne zu kurz war, um der nunmehr erkannten Gefahr zu begegnen. Diese Annahme wird daraus gefolgert, dass K dem A den Rücken zuwandte und seinen Weg unbeirrt fortsetzte, ohne die Möglichkeit einer Flucht zu ergreifen. Auch das Ausnutzungsbewusstsein des A wird bejaht. Dafür spricht die Höchstgefährlichkeit der Angriffsweise. D. In der Prüfung §§ 211 Abs. 2, 22, 23 StGB I. Vorprüfung II. Tatentschluss 1. Taterfolg 2. Heimtücke 3. Kausalität 4. objektive Zurechnung III. Unmittelbares Ansetzen IV. Rechtswidrigkeit V. Schuld E. Literaturhinweise Balke/Frese/Koehl, NJ 2024, 245 (241 f). Entscheidung der Woche 52-2024 .pdf PDF herunterladen • 158KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 20-2023 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 20-2023 (SR) Kevin Schmolowski "Donuts" (360-Grad-Kehren) sind kein unerlaubtes Kraftfahrzeugrennen und unterfallen nicht § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Aktenzeichen & Fundstelle Az: KG 3 Ss 59-60/21 in: BeckRS 2022, 1853 DAR 2022, 393 LSK 2022, 1853 A. Orientierungs- oder Leitsätze 1. "Donuts" (360-Grad-Kehren) sind kein unerlaubtes Kraftfahrzeugrennen und unterfallen nicht § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. 2. Der Tatbestand der Nötigung erfordert in Bezug auf die Zwangswirkung nicht in jedem Fall Absicht. B. Sachverhalt Am 09.02.2020 befuhr A mit dem Pkw Maserati die J-Straße in Berlin. Unter starker Beschleunigung brachte er das von ihm geführte Fahrzeug in eine kreisende, driftende Fahrbewegung. Unter zunehmender weiterer Beschleunigung vollzog der A für etwa 10 Sekunden „Donuts“ (360-Grad-Kehren auf der Stelle) über den gesamten Kreuzungsbereich, wobei die Reifen quietschten und aufgrund des Reifenabriebs starke Qualmentwicklung die Folge war. Aufgrund des sich mit starker Beschleunigung im Kreis bewegenden Pkw des A wurden andere Verkehrsteilnehmer durch die physisch unmittelbar blockierend wirkende Anwesenheit des Pkw, sowie die von diesem ausgehende Gefahr aufgrund eines jederzeit möglichen unkontrollierten Ausbruchs des Fahrzeugs daran gehindert, den gesamten Kreuzungsbereich ungehindert zu befahren. Dies hatte zur Folge, dass eine unbestimmte Anzahl an Verkehrsteilnehmern, hier insbesondere andere Kraftfahrzeugführer, Radfahrer und Fußgänger, jedenfalls vorübergehend an einem sicheren und zügigen Passieren der Kreuzung durch A gehindert wurden. A kam es hierbei vorrangig darauf an, anderen Teilnehmern des sich vor Ort befindlichen Hochzeitskorsos zu imponieren, wobei dieser zumindest billigend in Kauf nahm, dass auch andere Verkehrsteilnehmer angesichts seines risikobehafteten Fahrmanövers den Kreuzungsbereich vorübergehend nicht passieren konnten. Nachdem A das Fahrzeug mehr als zweimal um die eigene Achse gedreht hatte, fuhr er entgegen der Fahrtrichtung in die H-Straße. Hat sich A wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB oder wegen einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht? C. Anmerkungen Sowohl die Amtsanwaltschaft Berlin als auch der Angeklagte legten Revision ein. Erstere macht geltend, der Angeklagte hätte auch wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt werden müssen. Letzterer vertritt die Auffassung, die Feststellungen trügen eine Verurteilung wegen Nötigung weder in Bezug auf die innere noch auf die äußere Tatseite. Beide Rechtsmittel blieben erfolglos. Entschieden hat das Kammergericht Berlin, welches als Oberlandesgericht des Landes Berlin das höchste Berliner Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist. Im vierstufigen Gerichtsaufbau Deutschlands steht das Kammergericht über den Amtsgerichten und dem Landgericht, aber unterhalb des Bundesgerichtshofs. Durch sein verkehrsfremdes Fahrmanöver hat der Angeklagte ein physisches Hindernis errichtet und folglich mit kompulsiver Gewalt eine der zentralen Straßenkreuzungen Berlins blockiert und hierdurch eine unbestimmte Zahl von Verkehrsteilnehmern für einen nicht unwesentlichen Zeitraum (vollständig) daran gehindert, die Kreuzung zu Verkehrszwecken zu nutzen. Wie lange eine Zwangswirkung andauern muss, um tatbestandsrelevant zu sein, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Vorliegend hat der Vorgang mit der Dauer des Einfahrens in die Kreuzung, der Positionierung sowie dem Ausfahren aus der Kreuzung etwa 15 Sekunden gedauert. Diese Dauer liegt im zeitlichen Rahmen solcher im Straßenverkehr begangener Tathandlungen, die als Nötigung anerkannt sind, z. B. eines Ausbremsens. In Bezug auf § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sieht der Senat zunächst das Merkmal der „Fortbewegung“ als nicht verwirklicht an, denn der A hat sich durch seine 360-Grad-Kehren gerade nicht fortbewegt, sondern er rotierte auf der Stelle. Eine Auslegung dahin, Rotationen seien eine Art der Fortbewegung, scheitert bereits an der Wortlautgrenze. Darüber hinaus handelte A nicht, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Der Terminus der „nicht angepassten Geschwindigkeit“ zeigt, dass der Gesetzgeber Fahrweisen unter Strafe stellen wollte, die einer angepassten Geschwindigkeit grundsätzlich zugänglich sind. Das missbräuchliche Rotierenlassen eines PKW fällt nicht darunter. Auch die amtliche Überschrift des § 315d StGB „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ lässt erkennen, dass die Vorschrift das hier abgeurteilte Verhalten, dem jedes kompetitive Moment fehlt, nicht erfasst. A hat sich wegen einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Eine Strafbarkeit gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB scheidet aus. D. In der Prüfung I. § 240 StGB 1. Tatbestand a) Nötigungshandlung: Gewalt b) Nötigungserfolg c) Vorsatz 2. Rechtswidrigkeit 3. Schuld II. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB E. Literaturhinweise Heger in: Lackner/Kühl/Heger, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2023, § 315d Rn. 5. Entscheidung-der-Woche 20-2023 .pdf PDF herunterladen • 206KB Zurück Nächste












