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- Entscheidung der Woche 12-2020 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 12-2020 (SR) Celina Weddige Die Annahme eines bedingten Körperverletzungsvorsatzes kann sich […] auch daraus ergeben, dass der Täter eine Handlung vornimmt, die eine so hohe Gefahr für die körperliche Integrität des Opfers beinhaltet... Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 4 StR 255/18 in: NStZ-RR 2019, 76 f. A. Orientierungs- oder Leitsatz Die Annahme eines bedingten Körperverletzungsvorsatzes kann sich [...] auch daraus ergeben, dass der Täter eine Handlung vornimmt, die eine so hohe Gefahr für die körperliche Integrität des Opfers beinhaltet, dass im Einzelfall ohne weitergehende Begründung aus der Kenntnis der Tatumstände auf das Wissens- und der gleichwohl erfolgten Tatausführung auf das Wollenselement des bedingten Vorsatzes geschlossen werden kann B. Sachverhalt Q und H überfielen mit R ein Juweliergeschäft, nachdem sie diesen hierzu gedrängt hatten. Anlässlich des geplanten Überfalls kaufte R eine Softair-Pistole, die H bei dem Überfall bei sich führte. Dieser richtete sie auf die Zeugin Z, die Geschäftsinhaberin und auf eine weitere Angestellte. Z leidet an einer Parkinsonerkrankung. Sie geriet infolge der Bedrohung mit der Softair-Pistole in Todesangst und musste nach Luft schnappen. Zudem wurde ihr übel und schwindelig. Hat sich R wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht? C. Anmerkungen Das LG verurteilte R wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB. Außer Zweifel steht, dass die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. R müsste auch vorsätzlich gehandelt haben. Das LG argumentierte, dass R die mögliche Wirkung der Bedrohung bei den anwesenden Personen Z, der Geschäftsinhaberin und der weiteren Angestellten jedenfalls billigend in Kauf nahm, als er den Überfall mit H und Q plante. Zudem handelten H und Q gemeinschaftlich und die körperlichen Folgen bei Z lägen nicht außerhalb der Lebenserfahrung. Dabei führte das LG aus, dass R die jeweiligen Tatumstände hinsichtlich H und Q kannte und billigte. Er müsse sich den Taterfolg der beiden Beteiligten gem. § 25 Abs. 2 StGB zurechnen lassen und handelte demnach mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz. Der BGH hält dem entgegen, dass die Annahme des LG, R habe die Auswirkung der Bedrohung auf die körperliche Integrität der Z billigend in Kauf genommen, nicht belegt sei. Aufgrund dessen könne R auch kein bedingter Körperverletzungsvorsatz unterstellt werden. Der BGH erkennt zwar an, dass, soweit durch die Handlung des Täters eine Gefahr für die körperliche Integrität des Opfers geschaffen werde, - wie bei der Feststellungbedingten Tötungsvorsatzes - auch direkt aus den Tatumständen auf das Wissens- und aus der Tatausführung auf das Wollenselement des bedingten Körperverletzungsvorsatzes geschlossen werden könne. Jedoch liege eine solche Fallkonstellation bei R nicht vor. Durch die geplante Bedrohung mit der Softair-Pistole wurde noch keine erhebliche Gefahr für die körperliche Integrität der Z geschaffen. Aufgrund dessen kann nicht angenommen werden, dass R mit dem Eintritt körperlicher Folgen wie der Todesangst, dem Schwindel und der Übelkeit, hätte rechnen können bzw. diese billigend in Kauf nahm. Auch, dass H und Q gemeinschaftlich handelten, die Folgen nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung lagen und R sich diesen Taterfolg gem. § 25 Abs. 2 StGB auf objektiver Seite zurechnen lassen musste, rechtfertigt aus Sicht des BGH nicht den Schluss, dass R in subjektiver Hinsicht mit dem Eintritt körperlicher Folgen hätte rechnen müssen. D. In der Prüfung I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tathandlung und Taterfolg aa) Gemeinsamer Tatplan bb) Gemeinschaftliche Tatausführung b) Kausalität und objektive Zurechnung c) Qualifikationsmerkmal, § 224 Abs. 1 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bzgl. Grundtatbestand b) Vorsatz bzgl. der Qualifikation und bzgl. der Mittäterschaft E. Zur Vertiefung Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 5 Rn. 87ff. Entscheidung-der-Woche-12-2020 .pdf PDF herunterladen • 179KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 13-2019 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 13-2019 (ZR) Patrick Glatz Bei der Vermietung einer Wohnung durch zwei Miteigentümer bleiben beide auch dann Vermieter, wenn der eine seinen Miteigentumsanteil später an den anderen Veräußert. Auf einen solchen Eigentumserwerb findet § 566 Abs. 1 BGB weder direkte noch analoge Anwendung. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH, Beschluss. v. 09.01.2019 – VIII ZB 26/17 in: MDR 2019, 341 A. Leitsatz Bei der Vermietung einer Wohnung durch zwei Miteigentümer bleiben beide auch dann Vermieter – und ist eine Kündigung gegenüber demgemäß von beiden Vermietern auszusprechen -, wenn der eine seinen Miteigentumsanteil später an den anderen Veräußert. Auf einen solchen Eigentumserwerb findet § 566 Abs. 1 BGB weder direkte noch analoge Anwendung. B. Sachverhalt Die Klägerin und ihr Ehemann waren Miteigentümer eines Zweifamilienhauses. Mit Vertrag vom 1. Oktober 2013 vermieteten sie eine der beiden Wohnungen an den Beklagten. Später wurde die Klägerin, welche die andere Wohnung im Haus bewohnt, durch Übertragungen des Miteigentumsanteils ihres Ehemanns Alleineigentümerin des Anwesens. Sie kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 18. Februar 2016 gem. § 573a Abs. 1 BGB und nahm die Beklagten auf Räumung und Herausgabe in Anspruch. Nach dem Auszug der Beklagten aus der streitgegenständlichen Wohnung haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Kosten waren den Beklagten auferlegt worden. Die dagegen zugelassene und gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten blieb daraufhin erfolglos. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die Beklagte, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. C. Anmerkungen Der vorliegenden Beschluss des BGH nimmt Stellung zu der Frage, ob bei der wirksamen Übertragung eines Miteigentumsanteils an den anderen Miteigentümer eines Mietshauses, die Kündigung einer darin befindlichen Mietwohnung durch beide ursprünglichen Miteigentümer zu erfolgen hat, oder ob § 566 Abs. 1 BGB analog angewendet werden muss. Einstiegspunkt für den Beschluss ist das Prozessrecht, über die Kostenregelung des § 91a ZPO war die Frage letztlich zum BGH gekommen. Dies bietet nicht nur die Möglichkeit, sich mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung und deren Rechtsfolge nach § 91a ZPO auseinanderzusetzen, sondern auch mit der materiell interessanten Frage nach einer Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB bei Veräußerungen eines Miteigentumsanteils. Grundsätzlich kann eine Klage durch drei Erklärungen/Vereinbarungen aus der Welt geschafft werden: durch Klagerücknahme (§ 269 ZPO), durch Vergleich (§ 278 Abs. 6 ZPO) oder durch Erledigungserklärung (in der ZPO nicht geregelt, aber durch § 91a ZPO vorausgesetzt). Letztere war im vorliegenden Fall von Bedeutung. Denn erklären beide Parteien im Prozess übereinstimmend die Hauptsache für erledigt, so trifft das Gericht nach § 91a ZPO die Kostenentscheidung danach, welche Partei bei einer Entscheidung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre und legt dieser die Kosten des Rechtsstreits auf. Diese Frage bietet hier den Einstiegspunkt in die materielle Prüfung. Der BGH hat in seinem Beschluss verdeutlicht, dass selbst wenn ein ursprünglicher Miteigentümer seinen Miteigentumsanteil wirksam an den anderen Miteigentümer veräußert die Kündigung von beiden Vermietern zu erfolgen hat. Das Rechtsbeschwerdegericht hatte noch festgehalten, dass § 566 Abs. 1 BGB keine direkte Anwendung fände, da der Wortlaut von einer Veräußerung an einen Dritten spricht, allerdings analog herangezogen werden müsste. Der BGH geht in seinem Beschluss jedoch davon aus, dass auch eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB in der konkreten Situation nicht in Betracht komme. Sinn und Zweck des § 566 BGB sei der Schutz des Mieters vor einem Verlust des Besitzes an der Wohnung gegenüber dem neuen Erwerber. Dieser Schutzzweck, der für das Vorliegen einer Analogie maßgeblich ist, sei aber gerade nicht berührt, da der neue Alleineigentümer weiter an den Mietvertrag gebunden ist und ein Verlust des Besitzes aufgrund des Veräußerungsvorgangs nicht im Raume steht. Mithin sind für eine wirksame Kündigung die Kündigungserklärungen beider Vermieter notwendig. D. In der Prüfung A. Wirksame ordentliche Vermieterkündigung I. Kündigungsgrund (!) Grundsatz § 573; Erleichterung § 573a II. Kündigungsfrist, § 573c III. Kündigungserklärung (!) Vom Vermieter auszusprechen E. Zur Vertiefung Zur Erledigung der Hauptsache: Heiß/Heiß, Die Erledigung der Hauptsache im Zivilprozess – Grundsätze und übereinstimmende Erledigungserklärung, JA 2018, 499f.; Becker, Erledigung und Klagerücknahme im Zivilprozess, JuS 2018, 1050f.; Zur Wohnraummiete und Kündigung: Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 42. Auflage 2018, 2. Kapitel § 13 Rn. 11ff.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht BT II, 18. Auflage, § 25 Rn. 12ff. Entscheidung-der-Woche-13-2019 .pdf PDF herunterladen • 248KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 31-2018 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 31-2018 (ÖR) Floriane Willeke Ein Nachrichtenmagazin ist auch bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verpflichtet, einen Nachtrag abzudrucken, sofern das Verfahren eingestellt wurde. Wo? Az.: BVerfG, Beschl. v. 02.05.2018 1 BvR 666/17 in: www.bundesverfassungsgericht.de Was? BVerfG, Beschluss vom 02.05.2018 Ein Nachrichtenmagazin ist auch bei rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung verpflichtet, einen Nachtrag abzudrucken, sofern das Verfahren eingestellt wurde. Dieser genügt allerdings geringen Anforderungen. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Jahr 2008 über eine Bank berichtet, die wegen riskanter Kreditgeschäfte aufgefallen war. Die Autoren erwähnten in ihrem Artikel Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter wegen unzulässiger Abhöraktionen. Das Verfahren wurden später mangels hinreichendem Tatverdachts eingestellt. Daraufhin reichte der betroffene Mitarbeiter Klage auf Richtigstellung und Abdruck einer von ihm vorformulierten, umfangreichen Erklärung ein. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) gab dem Kläger Recht. Das beklagte Nachrichtenmagazin reichte daraufhin Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein und rügte die Verletzung von Art. 5 I 2 GG. Das BVerfG schloss sich in seiner Entscheidung weitestgehend der Auffassung des Nachrichtenmagazins an. Warum? Das BVerfG entschied, dass auch bei rechtmäßigen Verdachtsberichterstattungen ein Nachdruck erscheinen müsse, sofern das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Dies diene dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Personen. Jedoch seien an den Umfang sowie Art und Weise des Nachdrucks geringe Anforderungen zu stellen. Denn es handele sich im Ausgang weiterhin um eine rechtmäßige Berichterstattung, welche von der Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG geschützt wird. Deshalb genüge eine kurze Zusammenfassung des ursprünglichen Berichts und ein kurzer Hinweis auf die Einstellung des Verfahrens. Eine Neubewertung der Berichterstattung sei indes nicht erforderlich. Vertiefungsaufgabe Das BVerfG widmet sich regelmäßig der Überprüfung der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Ebenso häufig ist die Grundrechtsprüfung von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Thema juristischer Klausuren; Vergleichend kann die aktuelle BVerfG-Entscheidung vom 07. Februar 2018 (1 BvR 442/15) zum Abdruck von Gegendarstellungen herangezogen werden. Entscheidung-der-Woche-31-2018 .pdf PDF herunterladen • 285KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 08-2022 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 08-2022 (ZR) Patrick Glatz Die im Rahmen eines allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BAG – 5 AZR 211/21 in: NJW 2022, 560 (m. Anm. Marski) NZA 2022, 182 A. Orientierungs- oder Leitsatz Die im Rahmen eines allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos. B. Sachverhalt Die Parteien des Rechtsstreits sind die Beklagte, eine Unternehmerin, die ein Filialgeschäft für Nähmaschinen und Zubehör unterhält, und die Klägerin, die dort bei der Beklagten als geringfügig Beschäftigte gegen eine Vergütung von 432 € monatlich im Verkauf tätig ist. Aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und Eröffnungen bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Corona-Virus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23.3.2020 musste der Betrieb der Beklagten vorübergehend schließen. Die Klägerin konnte infolgedessen nicht arbeiten und erhielt keinen Lohn. Mit ihrer Klage verfolgte die Klägerin die Zahlung des Entgelts für den Monat April 2020. C. Anmerkungen Das Urteil behandelt die im Corona-Kontext wichtige und examensrelevante Frage des Individualarbeitsrechts nach der Zahlung des Lohnes bei behördlich verfügter Betriebsschließung. Grundsätzlich gilt zwar „ohne Arbeit kein Lohn“ nach § 326 Abs. 1 BGB. Soweit also die täglich geschuldete Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unmöglich geworden ist, entfällt der Lohnanspruch des Arbeitnehmers, da der Arbeitgeber von seiner Verpflichtung frei wird. Davon macht das Gesetz jedoch an einigen Stellen Ausnahmen, indem es den Anspruch des Arbeitnehmers trotzdem erhält. Dazu zählt auch § 615 BGB, der eine Erhaltung des Lohnanspruchs für den Arbeitnehmer vorsieht, wenn entweder der Arbeitgeber sich im Verzug der Annahme der Arbeitsleistung befindet oder aber der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalles zu tragen hat. Letzteres, also das sog. Betriebsrisiko, war im hier anzumerkenden Urteil Schwerpunkt der Prüfung des BAG. Unter Betriebsrisiko wird allgemein zunächst dem Wortlaut des § 615 S. 3 BGB nach das Risiko des Arbeitgebers gefasst, seinen Betrieb nicht betreiben zu können. Diesen weiten Wortlaut hat die Rechtsprechung über die Jahre eingehegt. Als Betriebsrisiko wurden vor allem die Fälle äußerer Einwirkung durch höhere Gewalt oder Naturkatastrophen gefasst. Begrenzt wird die Lehre dort, wo sich das Wege- oder Lohnrisiko des Arbeitnehmers verwirklicht, eine Existenzgefährdung des Betriebes droht oder die Lehre vom Arbeitskampfrisiko greift. Dogmatische Grundlinie der Frage nach dem Betriebsrisiko, und darauf kommt es hier an, ist, welche nachteiligen Einwirkungen auf den Betrieb des Arbeitgebers dieser aufgrund seiner Organisations- und Leistungsgewalt und der damit verbundenen besseren Beherrschbarkeit und Kalkulierbarkeit der Risiken zu tragen hat. Das BAG hat sich in seiner Entscheidung nun zu der Frage positioniert, inwiefern auch behördlich verfügte Betriebsschließungen in die Risikosphäre des Arbeitgebers fallen. Dabei kommt es, nach einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Schrifttum, zu dem Ergebnis, dass auf den Zweck der jeweiligen Maßnahme abzustellen ist. Die Behörde ordnete hier nicht die Schließung eines wegen einer betrieblichen Entscheidung besonders risikoreichen Betriebes an, sondern adressierte die Breite der Wirtschaft über ganze Branchenzweige hinweg. Damit realisierte sich nicht ein der unternehmerischen Entscheidung unterliegendes betriebliches Risiko, sondern ein „allgemeines Risiko“. Dass geringfügig Beschäftigte, anders als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, nicht vom Kurzarbeitergeld profitieren, sei eine politische Entscheidung. Diese Lücke habe der Gesetzgeber zu füllen. Letztere Einschätzung ist bemerkenswert, aber nicht neu für die Rechtsprechung der obersten Gerichte. Der BGH hatte in einem mietrechtlichen Fall ähnliche Erwägungen angestellt (Az. XII ZR 8/21). Das Ergebnis des BAG ist dennoch nicht ohne Kritik geblieben. Das Urteil bietet eine gute Gelegenheit, sich wieder mit Anspruchserhaltungsnormen, hier insbesondere § 615 BGB, auseinanderzusetzen und die grundlegende Wertung der Betriebsrisikolehre aufzufrischen. D. In der Prüfung A. Anspruch auf Arbeitslohn gem. § 611a Abs. 2 BGB 1. Anspruch entstanden II. Anspruch untergegangen 1. § 326 I 2. Aber: Anspruchserhaltung nach § 615 S. 1, S. 3? a) Arbeitsverhältnis b) Betriebsstörung (!) c) Kein Vertretenmüssen einer Partei d) Keine abweichende Vereinbarung e) Rechtsfolge E. Literaturhinweise Preis/Mazurek/Schmid, Rechtsfragen der Entgeltfortzahlung in der Pandemie, NZA 2020, 1137; Sagan/Brockfeld, Arbeitsrecht in Zeiten der Corona-Pandemie, NJW2020, 1112; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht § 44 Rz. 2082ff. Entscheidung-der-Woche-08-2022 .pdf PDF herunterladen • 2.03MB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 15-2025 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 15-2025 (SR) Dilan Haviri Einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Die Qualifikation setzt eine Beteiligung voraus, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation für das Opfer erhöht. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: BGH 2 StR 44/24 Fundstelle: BeckRS 2024, 30175 HRRS 2024 Nr. 1508 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Die Qualifikation setzt eine betellgung voraus, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation für das Opfer erhöht. 2. Für die Verwirklichung des Qualfkationsmerkmales wird Eigenhändigkeit nicht vorausgesetzt. Es reicht aus, wenn ein weiterer Beteiligter am Tatort anwesend ist und die Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise unterstützt, welche dazu beiträgt, die Lage des Opfers zu verschlechtern. B. Sachverhalt Der Angeklagte und die beiden gesondert Verfolgten, D und L, beschlossen, gemeinsam einen Werttransporter mit Schusswaffen zu überfallen und bei Bedarf auch körperliche Gewalt anzuwenden. Während die Fahrer des Transporters M und O Schmuckstücke und Luxusuhren in insgesamt elf Paketen aus dem Werttransporter in ein Lager umluden, näherten sich L und D ihnen. L und I waren gemäß ihres Tatplanes mit Sturmmasken maskiert und mit Handfeuerwaffen bewaffnet. Jedenfalls D hatte seine Handfeuerwaffe gezogen und führte - in Absprache mit L und dem Angeklagten - einen Teleskopschlagstock mit sich. D richtete seine geladene Pistole aus etwa 50 cm Entfernung an den Kopf des O und befahl ihm, in den Transporter zu steigen. O kam der Aufforderung nach. M sah wie sein Kollege überfallen wurde und äußerte seine Überraschung darüber, woraufhin L zu M lief und ihm einen Kinnhaken versetzte. M prallte daraufhin gegen die Fahrzeugsäule und verlor das Bewusstsein. Diese Gewaltanwendung war mit D und dem Angeklagten abgesprochen. Der Angeklagte, der das Geschehen beobachtete und auf die Überwältigung der Fahrer gewartet hatte, fuhr nun rückwärts an dem Werttransporter heran. Nachdem die Wertsachen in das Fluchtfahrzeug umgeladen worden waren, flohen der Angeklagte, L und D vom Tatort. Der Inhalt der erbeuteten Ware wurde tatplangemäß erheblich unter Wert an einen von L organisierten Hehler veräußert. Jedem der drei Komplizen verblieb ein Anteil von ca. 30.000 bis 40.000 €. C. Anmerkungen Der BGH befasst sich im vorhegenden Fall mit den Anforderungen an die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmales einen gemeinscharthich begangenen korperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Der Qualifikation als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung mit einem anderen gemeinschaftlich begeht. Die Voraussetzung der Gemeinschaftlichkeit setze eine Beteiligung voraus, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation für das Opfer erhöhe. Für die Verwirklichung des Oualifikationsmerkmales sei jedoch keine Eigenhändigkeit erforderlich. Es reiche aus, dass ein weiterer Beteiligter am Tatort anwesend ist und die Körperverletzungshandlung des Täters unterstützt. Diese Unterstützung könne sowohl psychischer als auch physischer Form sein. Jedenfalls müsse die Unterstützung geeignet sein, die Lage des Tatopfers zu verschlechtern. Die Unterstützung des Beteiligten sei regelmäßig dazu geeignet, die Lage des Tatopfers zu verschlechtern, wenn das Tatopfer durch die Anwesenheit mehrerer Personen auf der Täterseite in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung zu entkommen, indem es ihm Gegenwehr leistet, ausweicht oder flüchtet. Die Unterstützung sei allerdings nicht zur Lageverschlechterung geeignet, wenn die anderen Tatbeteiligten in einiger Entfernung zu dem Täter sind, sodass eine etwaige Unterstützungshandlung nicht festgestellt werden kann. Da der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine gemeinschaftliche Begehungsweise voraussetze, lasse er es nicht genügen, dass eine solche Begehungsweise lediglich jederzeit möglich wäre Es fehle auch an der gemeinschaftlichen Begehung, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt fühlen. D. In der Prüfung §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB I. Tatbestand 1. Grundlatbestand, § 223 StGB a. Tatobjekt: gegen einen anderen Menscher b. Tathandlung: körperliche Misshandlung und/oder Gesundheitsschädigung 2. Qualifikationstatbestand: § 224 StGB a. Nr. 4: mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich E. Literaturhinweise Kindhäuser, et. al. § 224 Rn. 23 ff. BeckOK StGB, § 224 Rn. 37 ff. MüKo StGB, § 224 Rn. 35 ff. Entscheidung der Woche 15-2025 .pdf PDF herunterladen • 451KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 09-2024 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 09-2024 (ZR) Hawa Etemadi Der Vermieter von E-Rollern haftet nicht aus einer Gefährdungshaftung als Halter, da E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge von der Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sind. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: OLG Bremen, Urt. v. 15.11.2023 - 1 U 15/23 Fundstelle: BeckRS 2023, 31723 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Der Vermieter von E-Rollern haftet nicht aus einer Gefährdungshaftung als Halter, da E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge von der Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sind. 2. Der Vermieter von E-Rollern genügt grundsätzlich seinen Verkehrsicherungspflichten bezüglich der Art und Weise des Aufstellens der E-Roller, wenn er die hierzu ergangenen Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis beachtet, die ihm die Nutzung der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus gestattet. 3. Eine über die Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis hinausgehende Verpflichtung des Vermieters von E-Rollern, diese so aufzustellen, dass jedes erdenkliche Schadensszenario ausgeschlossen ist, besteht nicht, da dies im Ergebnis einer Gefährdungshaftung entsprechen würde, die nach § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen ist. B. Sachverhalt Der Kläger, ein blinder Fußgänger, benutzt einen Langstock im Straßenverkehr zur Orientierung. Der Beklagte vermietet gewerblich E-Roller im sog. free-floating-Modell, d.h. ohne festen Standort der E-Roller. Das Ordnungsamt erteilte dem Angeklagten eine Sondernutzungserlaubnis zur Einbringung von bis zu 500 E-Rollern im öffentlichen Straßenverkehr der Stadtgemeinde. Diese Erlaubnis beinhaltet Bestimmungen zur Sicherheit im Straßenverkehr, insbesondere für Senioren, Kinder, Menschen mit Behinderungen und bezüglich der Abstände der aufgestellten E-Roller. Am 28.07.2020 verunfallte der Kläger, indem er über zwei auf dem Gehweg befindliche E-Roller des Beklagten stürzte. Durch den Sturz erlitt der Kläger einen Oberschenkeslhalsbruch, der operativ behandelt werden musste. Die Roller standen parallel zur Hauswand und blockierten den Gehweg. Der Kläger hat vorgetragen, er sei mit seinen Langstock an der "inneren Leitlinie" entlang der Hauswand orientierend auf dem Gehweg gelaufen und habe den ersten Roller noch als Hindernis wahrgenommen. Beim Übersteigen des ersten Rollers sei er sodass auf den zweiten Roller getreten und dabei gestolpert und infolgedessen schwer gestürzt. Er habe nicht erkennen können, dass es sich um zwei Roller gehandelt habe. C. Anmerkungen Das OLG Bremen prüfte zunächst einen möglichen Anspruch aus § 7 Abs. 1 i.V.m. § 11 S. 2 StVG. Zwar bejahte das OLG, unter Bezugnahme auf die heute herrschende verkehrstechnische Auffassung, dass sich auch bei auf dem Gehweg abgestellten E-Rollern, sich die typische Betriebsgefahr eines Kfz realisiert. Jedoch verneinte das Gericht dies letztendlich aufgrund des Ausschlussgrundes nach § 8 Nr. 1 StVG. Dabei sah das Gericht E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge i.S.d. § 8 Nr. 1 StVG an und begründete dies mit der maximalen Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Auch der im weiteren geprüfte Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 823 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB wurde vom Gericht abgelehnt. Um zunächst, innerhalb der Prüfung des § 823 BGB, ein Unterlassen anzunehmen, kann sich eine Rechtspflicht zum Handeln aus einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Eine solche Pflicht besteht, wenn jemand in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft. Der Beklagte verleiht sowie stellt gewerblich E-Roller in der Stadtgemeinde auf, sodass die von den E-Rollern ausgehenden Gefahren im Verantwortungsbereich des Beklagten liegen und eine Verkehrssicherungspflicht somit bestand. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat das OLG hier abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass der Beklagte die Anforderungen aus der Sondernutzungserlaubnis erfüllte. Die Art und Weise des Aufstellens der Roller entsprach hinsichtlich der darin konkret geregelten Abstände und Maße den Bestimmungen der Sondernutzungserlaubnis. Diese machen auch in Bezug auf die weitere Art und Weise des Aufstellens der E-Roller keine konkreten Vorgaben, insbesondere gibt sie nicht vor, ob die Roller längs oder quer zum Gehweg aufzustellen sind. Die Unfallörtlichkeit selbst birgt an sich keine besonderen Gefahren, auch wurden die Belange von besonders schutzbedürftigen Menschen beachtet. Hier stand noch ausreichen Gehweg zur Verfügung. Eine allgemeine Pflicht, die E-Roller so zu platzieren, dass jedes erdenkliche Schadensszenario durch die E-Roller ausgeschlossen sein muss, besteht grundsätzlich nicht. Dies würde sonst zu einer Gefährdungshaftung, wie bei § 7 StVG führen, die gerade durch § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen sein soll. D. In der Prüfung § 823 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB 1. Rechtsgutsverletzung 2. Unterlassen a) Verkehrssicherungspflicht b) Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (P) E. Literaturhinweise BeckOGK/Spindler, § 823 Rn. 94, 415 ff. Grüneberg/Sprau, § 823 Rn. 51 ff. Entscheidung-der-Woche-09-2024 .pdf PDF herunterladen • 2.03MB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 07-2022 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 07-2022 (ÖR) Lisa Mariß Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgt nicht, dass die Landesregierung und ihre Mitglieder gehindert wären, verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: Niedersächsischer StGH, Urteil vom 24.11.2020 – 6/19 in: openJur 2020, 77853 Entscheidungsdatenbank Niedersachsen A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgt nicht, dass die Landesregierung und ihre Mitglieder gehindert wären, verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren. 2. Die Landesregierung und ihre Mitglieder sind insbesondere berechtigt und verpflichtet, das freiheitlich-demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Niedersachsen zu bewahren und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen zu sensibilisieren sowie das bürgerschaftliche Engagement hiergegen zu stärken. Das schließt die Befugnis ein, Angriffe auf die Pressefreiheit und die Institution der Freien Presse im Rahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit entschieden zurückzuweisen und die bürgerschaftlichen Kräfte zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundwerte zu ermutigen. B. Sachverhalt Der Niedersächsische Ministerpräsident der A-Partei hatte im November 2019 in diversen Tweets auf der Plattform Twitter seinen Unmut über eine Versammlung der B-Partei kundgetan. Dort hatte der A-Politiker die Partei u.a. als rechtsextrem bezeichnet und Bürger*innen dazu aufgerufen, sich der Versammlung entgegenzustellen. Der Landesverband der B-Partei sah in den Äußerungen sein Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verletzt. C. Anmerkungen Der niedersächsische Staatsgerichtshof wies die Klage als unbegründet zurück, da die Antragsstellerin nicht in ihrem Recht auf chancengleiche Teilhabe am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt ist. Die B-Partei ist eine vom BVerfG als verfassungsfeindlich eingestufte Partei, die indes nicht verboten wurde. Nach der Parteiverbotsnorm des Art. 21 Abs. 2 GG wurden ihr als Sanktion zur Ausnahme der Parteienprivilegierung einige Rechte abgesprochen, jedoch nicht das Recht auf chancengleiche Teilhabe am Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, sodass der persönliche Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG hier eröffnet ist. Auch der sachliche Gewährleistungsbereich ist eröffnet, da Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG im Rahmen der politischen Meinungsbildung des Volkes auch das Recht der politischen Parteien schützt, im Wege einer Versammlung auf ihre politischen Ziele hinzuweisen und für diese zu werben. Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt an dem Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, ist verletzt, wenn Staatsorgane durch besondere Maßnahmen in amtlicher Funktion zu Lasten einer politischen Partei auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken. Demnach liegt ein Eingriff vor, wenn Staatsorgane sich einseitig unter Missachtung des Neutralitätsgebots mit einer Ankündigung einer politischen Kundgebung einer Partei auseinanderzusetzen. Der Eingriff ist allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit betroffen ist. Die der Landesregierung obliegende Aufgabe der Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil eine solche Befugnis ein. Die Landesregierung, sowie der Ministerpräsident als Teil von ihr, dürfen im Rahmen ihrer Informationsarbeit zur Wahrung und Verteidigung verfassungsrechtlich besonders geschützter wesentlicher Institutionen tätig werden. Darunter fällt auch die Meinungsäußerung verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien auch als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren. Solche Einschätzungen werden erst unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen. Dies liegt hier jedoch nicht vor, da selbst das BVerfG die Verfassungsfeindlichkeit der Partei ausdrücklich festgestellt hat und die Versammlung im konkreten Fall die Institutionsgarantie der freien Presse (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2. S. 1 NV) angreift. Dennoch müsse das Sachlichkeitsgebot gewährt sein, d.h verfälschende, herabsetzende Äußerungen zu unterlassen. Hier beruhten die Tweets allerdings auf wahren Tatsachengrundlagen, mithin nicht auf sachfremden Erwägungen. Das Urteil hat in Zeiten des Anstiegs verfassungsfeindlicher Strömungen besondere Bedeutung. Im Hinblick auf das Neutralitätsgebot der Staatsorgane stärkt der niedersächsische Staatsgerichtshof die Verteidigung der Verfassung durch die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in die politische Chancengleichheit. D. In der Prüfung Begründetheit I. Verletzung einer Rechtsstellung der Antragsstellerin 1. Gewährleistung der Rechtsposition 2. Eingriff 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung a) Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit c) Beachtung des Sachlichkeitsgebotes E. Literaturhinweise Zur Vertiefung: Grimmig/Rössig, Eingeschränktes Neutralitätsgebot bei der Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – Nds. StGH 6/19, HanLR 2/2021 Entscheidungen, S. 85-95. Entscheidung-der-Woche-07-2022 .pdf PDF herunterladen • 982KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 24-2019 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 24-2019 (ÖR) Frederike Hirt Für das Verfahren beim Ausschluss aus einer Gemeinderatsfraktion gelten die im Vereinsrecht anerkannten Grundsätze zur Unzulässigkeit eines „Richters in eigener Sache“. Aktenzeichen & Fundstelle Bay VGH – 4 CE 17.2450 in: BeckRS 2018, 5115 DVBl 2019, 54 A. Orientierungssatz Für das Verfahren beim Ausschluss aus einer Gemeinderatsfraktion gelten die im Vereinsrecht anerkannten Grundsätze zur Unzulässigkeit eines „Richters in eigener Sache“. B. Sachverhalt (verkürzt) Der Oberbürgermeister der Stadt N erstattete Strafanzeige wegen der Verbreitung von Gerüchten. Ermittelt wurde diesbezüglich gegen T, Mitglied der C-Fraktion. Im Rahmen einer Zeugenvernehmung sagte die Antragstellerin A aus, dass ihr Fraktionskollege T diese in Fraktionssitzungen angesprochen habe und sie deshalb vermute, dass T Urheber der Gerüchte sei. Daraufhin wurde A von der C-Fraktion vorgeworfen, sie hätte Fraktionsinterna preisgegeben. A wurde zu einer Fraktionssondersitzung eingeladen, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Im Anschluss wurde sie mit Beschluss von sechs Ja- und vier Nein-Stimmen aus der Fraktion ausgeschlossen. Dabei stimmte sowohl T als auch Fraktionsmitglied H ab, der im Ermittlungsverfahren als sein Rechtsanwalt aufgetreten war. Um weiterhin an der Fraktionsarbeit teilzunehmen, begehrt A im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren als Fraktionsmitglied zugelassen zu werden. C. Anmerkungen Der Fall behandelt die Wirksamkeit des Ausschlusses aus einer Ratsfraktion. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass kommunalrechtliche Vorschriften bei der frei gebildeten Personenvereinigung nicht direkt anwendbar sind. Eine analoge Anwendung der Vorschriften des NKomVG scheidet regelmäßig wegen des fehlenden Bezugs zur Gemeindeverwaltung aus. Stattdessen wird insbesondere auf die Vorschriften für Vereine zurückgegriffen. Aus diesen werden allgemeine Rechtsgrundsätze für auf ein Zusammenwirken mehrerer Beteiligter angelegte Dauerrechtsverhältnisse abgeleitet. Im Rahmen der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs war zu bedenken, dass die Rechtsnatur von Fraktionen und damit auch der Charakter ihrer Innenrechtsstreitigkeiten umstritten ist. Überwiegend wird darauf abgestellt, dass eine Fraktionszugehörigkeit sich unmittelbar auf die Rechtsstellung innerhalb des Rates auswirkt. Als Annex dieser Rechtsstellung haben Innenrechtsstreitigkeiten von Fraktionen öffentlich-rechtlichen Charakter. In der Hauptsache handelt es sich um ein Kommunalverfassungsstreitverfahren in Form der Feststellungklage i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO. Statthafte Antragsart ist also § 123 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Innerhalb der Begründetheit ist zu prüfen, ob der Ausschluss unwirksam war. Verfahrensmäßig folgt für den Fraktionsausschluss aus dem Demokratie- und Rechtstaatsprinzip ein Anhörungserfordernis. Dazu gehört auch, dass die Vorwürfe konkret bezeichnet werden müssen. Jedenfalls mit Bekanntgabe der Entscheidung müssen die Gründe schriftlich mitgeteilt oder persönlich erläutert werden. Beides hat die C-Fraktion nicht getan. Nach §§ 54 Abs. 3, 41 Abs. 1 Nr. 1, 4 NKomVG hätte für H und T außerdem ein Mitwirkungsverbot bestanden. Diese finden aber keine Anwendung. Demgegenüber findet sich im Vereinsrecht das „Verbot des Richtens in eigener Sache“, § 34 BGB. Zumindest T unterlag diesem Stimmverbot. Auch ohne die Beteiligung des T wäre aber eine ausreichende Mehrheit erreicht worden. Es fehlt demzufolge an der Kausalität zwischen Stimmverbot und Ergebnis. Materiell war ein wichtiger Grund erforderlich. Die Verschwiegenheitspflicht aus §§ 54 Abs. 3, 40 NKomVG konnte A mangels Bezug zu Gemeindeaufgaben weder unmittelbar noch analog verletzen. Auch eine Unrichtigkeit der Zeugenaussage steht nicht fest. A hatte auch kein Zeugnisverweigerungsrecht, was sie hätte nutzen können. Im Übrigen hat A mit der Zeugenaussage lediglich ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist daher ausnahmsweise zulässig. D. In der Prüfung A. Eröffnung des Verwaltungsrechtwegs (!) B. Zulässigkeit -> beachte hier die analoge Anwendung von § 42 Abs. 1 und § 61 Nr. 2 VwGO für A als (ehemaliger) Teil einer Fraktion C. Begründetheit I. Anordnungsanspruch (!) Unwirksamkeit des Ausschlusses bei formeller bzw. materieller Rechtswidrigkeit II. Anordnungsgrund III. Glaubhaftmachung IV. Vorwegnahme der Hauptsache (!) E. Zur Vertiefung OVG NRW, BeckRS 3765 und BeckRS 3180 in ähnlichen Fällen; Ipsen, Rechtsschutz gegen Fraktionsausschluss, NVwZ 2005, 361; Lenz, Der Fraktionsausschluss, NVwZ 2005, 364 zur staatsorganisationsrechtlichen Ebene. Entscheidung-der-Woche-24-2019 .pdf PDF herunterladen • 239KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 50-2019 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 50-2019 (SR) Nathalie Hamm Die Entsorgung von Lebensmitteln eines Supermarktes in einen Abfallcontainer beinhaltet nicht zwingend einen Eigentumsverzicht. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BayObLG München - 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19 in: BeckRS 2019, 24051 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Herrenlos und damit nicht „fremd“ i. S. d. § 242 StGB sind u.a. Sachen, bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz an der Sache aufgibt (§ 959 StGB). Der Verzichtswille braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er kann sich auch aus dem nach außen erkennbaren Verhalten des Eigentümers ergeben, z.B. durch Wegwerfen einer Sache. Ob in der Besitzaufgabe ein Eigentumsverzicht liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. 2. Die Entsorgung von Lebensmitteln eines Supermarktes in einen Abfallcontainer beinhaltet nicht zwingend einen Eigentumsverzicht. Steht der Container vielmehr abgesperrt auf dem Firmengelände zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereit, macht der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar, dass keine Einwilligung in eine Mitnahme besteht, sondern das Eigentum nur zugunsten einer andere Person – dem Entsorgungsunternehmen – aufgegeben wird. B. Sachverhalt Die Angeklagten A und B begaben sich auf das Firmengelände des S-Marktes in den Anlieferbereich. Dort waren in einem verschlossenen Abfallcontainer Lebensmittel zur Abholung durch ein gesondert bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestellt worden. Diesen Container öffneten A und B mithilfe eines mitgebrachten Schraubenschlüssels, entnahmen zahlreiche Lebensmittel und verließen sodann das Gelände des S-Marktes. C. Anmerkungen Das BayObLG beschäftigt sich mit einer Strafbarkeit der Angeklagten wegen Diebstahls. Dabei ist bereits die Tauglichkeit der Lebensmittel als Tatobjekte i. S. d. § 242 Abs.1 StGB fraglich: Das Wegwerfen durch den Supermarktbetreiber könnte eine Dereliktion (vgl. § 959 BGB) darstellen, infolge derer die Lebensmittel herrenlos und damit nicht mehr „fremd“ wären. Eine solche Dereliktion erfordert, dass der Eigentümer den Besitz an der Sache in der Absicht aufgibt, auf das Eigentum zu verzichten. Zwar muss dieser Verzichtswille nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch durch äußeres Verhalten zum Ausdruck kommen. Allerdings lassen weder die Wertlosigkeit der Sachen noch ihre Entsorgung in Abfalltonnen für sich genommen zwingend auf einen generellen Eigentumsverzichtswillen schließen. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls in die Bewertung einzubeziehen. So ist hier maßgeblich, dass der Abfallcontainer auf dem Firmengelände der Eigentümerin stand und zusätzlich verschlossen war. Das Öffnen des Containers erforderte zwar kein Spezialwerkzeug, aber zumindest einen Schraubenschlüssel, den nicht jeder ständig bei sich führt. In dieser Absicherung kam daher der eindeutige Wille der Eigentümerin zum Ausdruck, den Inhalt gerade nicht dem Zugriff beliebiger Dritter auszusetzen. Das Eigentum sollte nur zugunsten des gesondert bezahlten Entsorgungsunternehmens aufgegeben werden, insbesondere auch da die Eigentümerin für die gesundheitliche Unbedenklichkeit der in Verkehr gebrachten Lebensmittel einzustehen hat. Für die Annahme einer Dereliktion bleibt daher in vorliegenden Fall kein Raum. Die Lebensmittel im Container waren also weiterhin fremd. Das BayObLG erklärt damit aber nicht das sog. „Containern“ generell für strafbar. So wäre etwa die Entnahme von Lebensmitteln aus öffentlich zugänglichen Abfalltonnen möglicherweise anders zu beurteilen. In einer Klausur sollten alle Sachverhaltsangaben sorgfältig ausgewertet werden, um die Eigentumsverhältnisse schlüssig herauszuarbeiten. Zu beachten sind wegen des geringen Verkehrswertes der entsorgten Lebensmittel zudem § 248a und § 243 Abs.2 StGB. In der Praxis wird häufig eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 153f. StPO in Betracht kommen. D. In der Prüfung I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Fremde bewegliche Sache (P) Dereliktion gem. §959 BGB E. Zur Vertiefung Zur Dereliktion: Münchener Kommentar StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn.34-35. Siehe auch Esser/Scharnberg, Anfängerklausur – Strafrecht: Containern, JuS 2012, 809. Entscheidung-der-Woche-50-2019 .pdf PDF herunterladen • 98KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 12-2019 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 12-2019 (ÖR) Anna Ordina Eine nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich verbotene Differenzierung liegt auch vor, wenn eine Maßnahme an ein dort genanntes Merkmal kausal neben anderen Gründen in einem Motivbündel anknüpft. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: OVG NRW, Urt. v.07.08.2018 – 5 A 294/16, in: BeckRS 2018, 17945 JuS 2019, 95 JA 2019, 237 A. Orientierungs- oder Leitsatz Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist wegen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG anzunehmen, wenn sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie ohne dessen Annahme regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich ist. Eine nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich verbotene Differenzierung liegt auch vor, wenn eine Maßnahme an ein dort genanntes Merkmal kausal, als (mit-)tragendes Kriterium („wegen“) neben anderen Gründen in einem Motivbündel, anknüpft. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer durchgeführten Feststellung der Identität des Klägers. Dieser ist deutscher Staatsangehöriger und dunkler Hautfarbe. Er betrat gegen 22 Uhr einen Hauptbahnhof, um seine Lebensgefährtin abzuholen. Die an diesem Abend eingesetzten Beamten wurden auf den Kläger aufmerksam, als dieser sich seine Kapuze überstreifte und sich aus dem Blickfeld der Beamten entfernte, indem er hinter ein Aufzugsgebäude trat. Daraufhin begaben sich die Beamten zu ihm. Sie forderten den Kläger auf, sich auszuweisen, woraufhin sich dieser über den Grund der Kontrolle erkundigte. Die Beamten stützten sich hierbei auf die polizeilichen Lageerkenntnisse, wonach die meisten Eigentums- und Drogendelikte am Bahnhof von männlichen Nordafrikanern im Alter zwischen Anfang 20 und Mitte 30 verübt werden. Außerdem erweckte der Kläger den Eindruck, sein Gesicht vor den Beamten verstecken zu wollen. Die Beamten hielten an der Aufforderung der Vorlage eines Ausweispapiers fest, welcher der Kläger auch nachkam, indem er seinen deutschen Personalausweis aushändigte. Die Personalien wurden daraufhin jedoch nicht aufgenommen. Mit seiner Klage gegen den Bund, vertreten durch das Bundespolizeipräsidium, begehrt der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung. Er ist der Ansicht, in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei ungerechtfertigt eingegriffen worden. Dabei habe sein Verhalten keine Kontrolle der Identität rechtfertigen können. Er ist ferner der Meinung, dass die Beamten ihn nur aufgrund seiner Hautfarbe, also aus rassistischen Gründen kontrolliert haben. Die Beamten bringen hervor, dass sie ihre Lageerkenntnisse, die Hautfarbe des Klägers und sein auffälliges Verhalten zu einer Ausweiskontrolle veranlasst haben. Daraufhin legte die Bundespolizeidirektion eine Kriminalstatik vor, aus der hervorgeht, dass 2017 von den Tatverdächtigen 161 Personen die deutsche und 36 eine andere Staatsangehörigkeit hatten. C. Anmerkungen Das OVG befasst sich mit der Problematik des sog. „racial profiling“ und bestätigt die Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Beamten. Grundsätzlich stellt das Gericht fest, dass für eine polizeiliche Identitätsfeststellung nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 BPolG ein Gefahrenverdacht ausreiche. Jedoch muss diese ermessensfehlerfrei ergehen. Vorliegend wurde in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG eingegriffen. Eine nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG grundsätzlich verbotene Differenzierung ist auch dann gegeben, wenn eine Maßnahme an ein dort genanntes Merkmal kausal, als (mit-)tragendes Kriterium („wegen“) neben anderen Gründen in einem ausdifferenzierten Motivbündel, anknüpft. Eine ausschließliche Anknüpfung an die Hautfarbe ist grundsätzlich nicht rechtfertigungsfähig. Die im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG bestehende Rechtfertigungsmöglichkeit gilt zum Schutz eines kollidierenden Verfassungsrechts. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anknüpfung an die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stigmatisierende Wirkung zukommen kann, weshalb erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung bestehen und Behauptungen darlegungspflichtig sind. D. In der Prüfung A. Sachentscheidungsvoraussetzungen B. Begründetheit I. Ermächtigungsgrundlage, § 23 Abs. 1 Nr.1 BPolG II. Formelle Rechtmäßigkeit III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Gefahr 2. Störerauswahl 3. Verhältnismäßigkeit der Maßnahme 4. Ermessensfehler → Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG → Rechtfertigung (-) E. Zur Vertiefung OVG Rheinland-Pfalz, 21.04.2016 – 7A 11108/14. Entscheidung-der-Woche-12-2019 .pdf PDF herunterladen • 359KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 33-2019 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 33-2019 (ÖR) Alina Amin Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim Motorradfahren zu befreien. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerwG, Urt. v. 04.07.2019- 3 C 24.17 in: https://www.bverwg.de/pm/2019/54 (Pressemitteilung) A. Orientierungssatz Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim Motorradfahren zu befreien. B. Sachverhalt (verkürzt) K stellte bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelmes. Zur Begründung teilt er mit, er sei als Sikh aus religiösen Gründen Träger eines Turbans und es sei ihm nicht möglich, den Helm und seinen Turban gleichzeitig zu tragen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, eine Ausnahmegenehmigung könne nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Die Schutzhelmtragepflicht diene dem Schutz des Kraftfahrers vor schweren Körperverletzungen und stelle keinen unzulässigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit oder freie Religionsausübung dar. Der ordnungsgemäß erhobene Widerspruch wird zurückgewiesen. Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO sei die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt, wobei an den Nachweis solcher Dringlichkeit strenge Anforderungen zu stellen seien. Die Ausnahmegenehmigung setze Gründe voraus, die das öffentliche Interesse an dem Gebot überwiegen. Explizit vorgesehen sei das Erteilen einer Ausnahmegenehmigung aus gesundheitlichen Gründen. Mit form- und fristgerecht erhobener Klage begehrt K die Verpflichtung der Behörde, ihm die beantragte Ausnahme von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Führen eines Kraftrads zu genehmigen. C. Anmerkungen Das BVerwG hat die Revision des Klägers, mit der er eine Verpflichtung auf die Erteilung der Ausnahmegenehmigung begehrte, zurückgewiesen. Die in § 21a Abs. 2 StVO angeordnete Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu tragen, könne den Kläger als gläubigen Sikh mittelbar in seiner Religionsausübungsfreiheit beeinträchtigen. Er werde hierdurch aber nicht an der Praktizierung seines Glaubens gehindert. Um der, von ihm als zwingend erachteten religiösen Vorschrift des Turbans zu folgen, müsse er dann auf das Motorradfahren verzichten. Die Helmpflicht soll nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte schützen. Sie könnten durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem nicht mit einem Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden. Ein durch Helm geschützter Motorradfahrer werde zudem im Fall eines Unfalls eher in der Lage sein, zur Rettung anderer Personen beizutragen, etwa indem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder Rettungskräfte ruft. Daher ist die Einschränkung auch mit Blick auf die durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützte Religionsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt und vom Kläger hinzunehmen, weil sie anderen Rechtsgütern Dritter dient. Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht könne daher allenfalls bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Anhaltspunkte hierfür habe der Kläger, der über eine Fahrerlaubnis zum Führen von Pkw verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt. D. In der Prüfung § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b Alt. 2 StVO I. Tatbestand II. Ermessen a) Ermessensreduktion auf Null aa) Glaubensfreiheit (1) Eingriff in Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG (2) Rechtfertigung bb) Selbstbindung der Verwaltung b) Ermessensfehler E. Zur Vertiefung Zur Ermessenentscheidung bei gesundheitlichen Hinderungsgründen: BVerwG, Beschl. v. 08.02.2017 – 3 B 12.16. Entscheidung-der-Woche-33-2019 .pdf PDF herunterladen • 130KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 21-2022 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 21-2022 (SR) Lilly Pietsch Wer sein argloses Opfer in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt. Aktenzeichen & Fundstelle Az: BGH 4StR134/19 in: NStZ 2020, 609 NJW 2020, 2421 A. Orientierungs- oder Leitsatz Wer sein argloses Opfer in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt. B. Sachverhalt Die drei Angeklagten einigten sich darauf, „Entführungen“ und Erpressungen zum Nachteil von wohlhabenden Geschäftsleuten zu begehen und so viel Geld zu bekommen. Um zu verhindern, dass sie erwischt werden und um die Beute behalten zu können, hatten zwei der Angeklagten von Beginn an die Absicht, die Opfer nach der erfolgreichen Erpressung zu töten. Die dritte Angeklagte wusste hiervon nichts. Die dritte Angeklagte lockte das erste Opfer unter falschem Vorwand in eine Halle, wo die beiden anderen lauerten und das ahnungslose Opfer, welches dadurch nur eingeschränkt verteidigungsfähig war, unvermittelt angriffen und überwältigten. Die beiden fesselten es und drohten ihm. Als ihnen klar wurde, dass sie nicht noch mehr Geld erhalten würden, erdrosselten sie es mit einem Kabelbinder. Das erbeutete Geld teilten die ersten beiden Angeklagten untereinander auf, während der dritten Angeklagten vermittelt wurde, dass das Opfer kein Geld bei sich gehabt hatte. Ein weiteres Opfer wurde ebenfalls unter falschem Vorwand in die Halle gelockt, wo es ahnungslos, und dadurch in seinen Möglichkeiten sich richtig zu verteidigen, eingeschränkt, versuchte sich zu verteidigen, schließlich aber überwältigt und gefesselt wurde. Die beiden ersten Angeklagten erpressten von ihm Lösegeld, welches die dritte Angeklagte abholte, dann wurde das Opfer von den ersten beiden Angeklagten erdrosselt. Das Lösegeld teilten die drei untereinander auf. C. Anmerkungen Die beiden ersten Angeklagten wurden wegen Heimtückemordes verurteilt. Die beiden Geschädigten waren bei Eintritt des Tötungsdelikts in das Versuchsstadium nicht arglos. Die Angeklagten haben mit der Überwältigung der Opfer, die sie in die Halle gelockt hatten, noch nicht unmittelbar zur Begehung des Mordes i.S.d. § 22 StGB angesetzt. Die beiden hatten noch einige Zwischenschritte zu tatbestandsfremden Zwecken geplant. Ebenfalls fehlte beim ersten Zugriff der Zusammenhang mit der Tötung. Als die Angeklagten ansetzten, die Opfer zu erdrosseln, waren diese nicht mehr arglos, weil ihnen vorher schon Gewalt angetan und mit dem Tode gedroht wurde. Heimtückisch i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB können auch die bereits lange vom Täter geplante Tat und die Vorkehrungen sein, die getroffen wurden, um die Tötung zu einer guten Gelegenheit durchführen zu können. Dies ist nur der Fall, wenn die Vorkehrungen bei der Tat weiter fortwirken. Es kommt nicht mehr darauf an, ob das Opfer zu Beginn der Tötungshandlung arglos war, wenn ihm eine Falle gestellt wurde oder es in einen Hinterhalt gelockt wurde. Es reicht aus, wenn der Täter die Arglosigkeit des Opfers ausnutzt und das Opfer so im Vorbereitungsstadium in eine wehrlose Lage gebracht wird. Der Täter muss in diesem Moment aber schon mit Tötungsvorsatz handeln und das Opfer muss von Beginn an bis zur Tatausführung wehrlos bleiben. Wehrlos ist das Opfer auch, wenn es infolge seiner Arglosigkeit weiterhin in seinen Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt ist und sich dem Täter deswegen nicht zur Wehr setzen kann. Dies wird angenommen, wenn sich das Opfer in einer Situation befindet, in der es daran gehindert wird, zu fliehen, sich zu verteidigen, den Täter durch Wörter davon abzubringen, den Plan weiter zu verfolgen oder Hilfe herbeizurufen. Diese Voraussetzungen sind in beiden Fällen erfüllt, weswegen ein Heimtückemord gegeben ist. D. In der Prüfung § 211 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Erfolg b) Tatbezogene Mordmerkmale der 2. Gruppe (1) Heimtücke (2) Grausam (3) Gemeingefährlich d) Kausalität e) Objektive Zurechnung 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandes und der Mordmerkmale der 2. Gruppe b) Täterbezogene Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe II. Rechtswidrigkeit III. Schuld E. Literaturhinweise Eschelbach in: v. Heintschel-Heinegg, Beck’scher Online Kommentar StGB, 52. Edition 2022, § 211 Rn. 36-58; Neumann/Saliger in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Nomos-Kommentar zum StGB, 5. Aufl. 2017, § 211 Rn. 46-74a; Safferling in: Matt/Renzikowski, Kommentar zum StGB, 2. Aufl.2020, § 211 Rn. 40-54. Entscheidung-der-Woche-21-2022 .pdf PDF herunterladen • 207KB Zurück Nächste












