Suchergebnisse
425 Ergebnisse gefunden mit einer leeren Suche
- Entscheidung der Woche 28-2025 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 28-2025 (ÖR) Patricia Moreno Blanco Bei Schmerzgriffen/Nervendrucktechniken handelt es sich um eine Maßnahme, bei der durch die Erzeugung von Druck auf empfindliche Stellen des Körpers ein Schmerzgefühl hervorgerufen wird. Es wird durch direkte Anwendung von Körperkraft auf den Körper des Betroffenen eingewirkt, sodass es sich um eine Form unmittelbaren Zwangs handelt. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: VG Berlin, Urt. v. 20.03.2025 - VG 1 K 281/23 in: BeckRS 2025, 4655 A. Orientierungs- oder Leitsätze 1.Bei Schmerzgriffen/Nervendrucktechniken handelt es sich um eine Maßnahme, bei der durch die Erzeugung von Druck auf empfindliche Stellen des Körpers ein Schmerzgefühl hervorgerufen wird. Es wird durch direkte Anwendung von Körperkraft auf den Körper des Betroffenen eingewirkt, sodass es sich um eine Form unmittelbaren Zwangs handelt. 2.Ein Wegtragen von Personen ist nicht stets das mildere gleich geeignete Mittel gegenüber der Anwendung von Schmerzgriffen. Das Wegtragen scheidet jedenfalls dann aus, wenn nicht genügend Polizeikräfte vorhanden oder alle anwesenden Kräfte mit anderen Aufgaben befasst sind. B. Sachverhalt Der Klimaaktivist K ist Teilnehmer einer Straßenblockade der „Letzten Generation". K hatte sich dort zusammen mit etwa 40 weiteren Aktivist:innen der "Letzten Generation" auf die Fahrbahn gesetzt. Einige hatten sich auch festgeklebt, K aber nicht. Der 21-Jährige ist an die zwei Meter groß, aber schlank - zu dritt konnten ihn die Beamten jedenfalls tragen. Aufgrund der Straßenblockade war kein Durchfahrtsverkehr mehr möglich, weshalb die eintreffenden Polizeikräfte die Teilnehmenden mehrfach aufforderten, die Fahrbahn zu verlassen und ihre Demonstration auf dem Gehweg fortzusetzen. Als die Teilnahmenden der Aufforderungen nicht nachkamen. losten die Beamten die Versammlung auf und drohten unmittelbaren Zwang an. Nachdem K trotzdem sitzen bleibt, forderte ihn eine Einsatzkraft der Polizei mehrmals auf, die Fahrbahn zu verlassen und erläuterte ihm, dass er die nächsten Tage „Schmerzen beim Kauen und schlucken haben werde", wenn der K „ihn zwinge", ihm Schmerzen zuzufügen. K verblieb im Schneidersitz mit den Armen am Körper. Nachdem die Einsatzkraft bis drei gezählt hatte, begann sie, den K gemeinsam mit einer weiteren Einsatzkraft unter Anwendung von Schmerzgriffen von der Fahrbahn zu bewegen. K leistete keinen Widerstand. K ist der Auffassung, die Anwendung des Schmerzgriffs sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen. Die Beamten hätten sich auf das Wegtragen beschränken können. C. Anmerkungen I. Prozessrecht Das VG Berlin hielt die Klage des K für zulässig und begründet. Statthafte Klageart ist die allgemeine Feststellungsklage in Form der negativen Feststellungsklage gem. § 43 1 Var. 2 VwGO, da Streitgegenstand die Frage ist, ob die Anwendung von Schmerzgriffen ggü. K rechtmäßig war. K möchte damit feststellen lassen, dass die Polizeikräfte nicht dazu befugt waren - das streitige Rechtsverhältnis also nicht bestand. Zu berücksichtigen ist zudem dass es sich hierbei um ein erledigtes, vollständig in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis handelt, weshalb ein besonderes, qualifiziertes Feststellungsinteresse erforderlich ist Dies ist hier zu bejahen, da die Anwendung der Schmerzgriffe einen möglichen tiefgreifenden Grundrechtseingriff des K in Art. 2 II 1 GG und Art. 8 1 GG darstellen könnte. Zudem ist ein sich typischerweise kurzfristig erledigendes Verwaltungshandeln gegeben. II. Materielles Recht K hat einen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anwendung von Schmerzgriffen durch den Beamten, da diese im konkreten Einzelfall nicht erforderlich waren. Rechtsgrundlage der Anwendung von Schmerzgriffen ist § 6 II VwVG i.V.m. § 91 lit. c), § 12 VwVG (i.V.m. UZwG). Führt die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Ziel oder sind sie untunlich, so kann die Vollzugsbehörde nach § 12 VwVG den Pflichtigen zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingen oder die Handlung selbst vornehmen. Dabei stellen Schmerzgriffe Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs dar und sind als direkte Einwirkung von Körperkraft des handelnden Polizeibediensteten auf den Körper des Betroffenen unter der nicht abschließenden Aufzählung des § 2 III UZwG zu subsumieren. Schwerpunkt dieses Falles ist die ordnungsgemäße Art und Weise der Vollziehung, insb. die Anwendung des Zwangsmittels unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Im Ergebnis erweist sich die Anwendung der Schmerzgriffe als unverhältnismäßig, da das Wegtragen des K ohne Zufügung von Schmerzen ein milderes, gleich geeignetes Mittel darstellt - zumal K keinen Widerstand leistete. D. In der Prüfung: Rechtmäßigkeit der Anwendung des Schmerzgriffes gegen K I. Ermächtigungsgrundlage: §§ 6, 9 I lit. c), 12 VwVG II. Formelle Rechtmäßigkeit III. Materielle Rechtmäßigkeit Vollstreckungsvoraussetzungen im gestreckten Verfahren → (-), da keine schriftliche Androhung gem. § 13 I 1 VwVG Vollstreckungsvoraussetzungen im Sofortvollzug a. Sofortvollzug trotz vorherigen VAs b. Verhinderung einer rechtswidrigen Tat c. Notwendigkeit des Sofortvollzugs d. Handeln im Rahmen der Befugnisse 3. Ordnungsgemäße Art und Weise der Vollstreckung a) Richtiges Zwangsmittel (P) Schmerzgriffe = unmittelbarer Zwang? b) Androhung und Festsetzung c) Anwendung des 2wangsmitteis, Insd. VHMK (P) Wegtragen = milderes, gleich effektives Mittel? (+) E. Literaturhinweise RÜ 07/2025, 409; LTO: „Schmerzgrenze im Einzelfall überschritten" Entscheidung der Woche 28-2025 .pdf PDF herunterladen • 106KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 47-2018 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 47-2018 (ZR) Patricia Meinking Beim Kauf eines Neuwagens kann auch eine Warnmeldung einen Sachmangel nach § 434 BGB darstellen, selbst dann, wenn eine weitergehende Funktionsbeeinträchtigung nicht gegeben ist. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH VIII ZR 66/17 in: bundesgerichtshof.de A. Orientierungs- oder Leitsatz Beim Kauf eines Neuwagens kann auch eine Warnmeldung einen Sachmangel nach § 434 BGB darstellen. Der Käufer eines Neuwagens kann unter Umständen trotz nachträglich erfolgter Mängelbeseitigung durch den Verkäufer Ersatzlieferung verlangen. B. Sachverhalt Der Kläger kaufte bei der Beklagten im September 2012 einen Neuwagen. Ab Januar 2013 erschien im Textdisplay des Autoradios mehrfach eine Warnmeldung, die den Fahrer aufforderte, den Wagen anzuhalten, um die Kupplung abkühlen zu lassen. Mehrere Werkstattbesuche ergaben, dass die Kupplung technisch korrekt montiert war und auch im Fahrbetrieb genügend Gelegenheit zur Abkühlung hatte. Es wurde gefolgert, dass es sich um einen Anzeigefehler handeln solle, der das Fahrverhalten des Fahrzeugs nicht beeinträchtige. Im Juli 2013 verlangte der Kläger von der Beklagten Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs. Während des anschließenden Rechtsstreits gab der Kläger das Fahrzeug im Oktober 2014 in eine Werkstatt der Beklagten, wo ein zwischenzeitlich zur Verfügung stehendes Software-Update die Anzeige der Fehlermeldung von diesem Zeitpunkt an verhinderte. C. Anmerkungen Der Bundesgerichtshof hat die Berufungsentscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Sache wegen eines weiteren Gutachtens an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er bestätigte das Vorliegen eines Mangels und schloss sich überwiegend der käuferfreundlichen Ansicht der Vorinstanz an. Die fehlerhafte Warnmeldung selbst stelle, so der BGH, einen Sachmangel nach § 434 BGB dar. Sie fordere den Fahrer zum Anhalten auf, um die Kupplung abkühlen zu lassen, obwohl dies nicht erforderlich sei. Der Wagen sei daher gemäß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB weder zur gewöhnlichen Verwendung geeignet noch weise er eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die ein Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Der Käufer habe somit grundsätzlich einen Anspruch auf Neulieferung des Wagens gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Diesem Anspruch auf Nacherfüllung stehe auch ein vorherig geltend gemachter Mängelbeseitigungsanspruch nicht entgegen, denn er stelle keine bindende Gestaltungserklärung dar. Die nachträgliche Mängelbeseitigung durch den Verkäufer ohne Einverständnis des Käufers schließe den Anspruch des Käufers auf Neulieferung ebenfalls nicht aus. Dieser dürfe an seiner Wahl festhalten, so wie es das Gesetz in § 439 Abs. 1 BGB vorsehe. Die Entscheidung zeigt, dass es für eine Sachmangelhaftigkeit im Gesetzessinne nicht unbedingt einer Funktionseinschränkung bedarf, auch fehlerhafte Anzeigen, Komforteinbußen oder bloße Abweichungen vom Normalzustanden können, eine gewisse – niedrig anzusetzende – Erheblichkeit vorausgesetzt, Sachmangel sein. D. In der Prüfung I. Kaufvertrag II. Sachmangel bei Gefahrübergang 1. Sachmangel, § 434 BGB a. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB b. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB c. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB (!) 2. Bei Gefahrübergang, § 446 S. 1 BGB III. Rechtsfolge IV. Ergebnis E. Zur Vertiefung OLG Nürnberg Urt. v. 20.01.2017 – 14 U 199/16 (Vorinstanz); Zum Sachmängelgewährleistungsrecht beim Autokauf: Ball, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Autokauf, DAR 2018, 481ff; Lorenz, Garantien und Sachmängel beim Autokauf, DAR 2014, 627ff; Wiederholung zum Nacherfüllungsanspruch und Wahlrecht des Käufers im Kaufrecht: Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 42. Auflage, München 2018, Kap. 1 § 4 Rn. 40ff; Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, 13. Auflage, München 2018, S. 33ff. Entscheidung-der-Woche-47-2018 .pdf PDF herunterladen • 257KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 13-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 13-2020 (ÖR) Rocky Glaser Das Verbot für Rechtsreferendare, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten ein Kopftuch zu tragen, ist verfassungsgemäß. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine weltanschaulich-religiöse Verhaltenspflicht im Referendariat ist zu respektieren. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 - 2 BvR 1333/17 A. Orientierungssätze Das Verbot für Rechtsreferendare, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten ein Kopftuch zu tragen, ist verfassungsgemäß. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine weltanschaulichreligiöse Verhaltenspflicht im Referendariat ist zu respektieren. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Beschwerdeführerin war Rechtsreferendarin beim Land Hessen und wurde vor Aufnahme der Ausbildung vom zuständigen OLG per Hinweisblatt darüber belehrt, dass sich nach hessischer Gesetzeslage Rechtsreferendare im juristischen Vorbereitungsdienst religiös neutral zu verhalten hätten. Sie dürfe mit Kopftuch keine Tätigkeiten ausüben, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte. Der hiergegen erhobene Eilrechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten blieb erfolglos, das Hauptsacheverfahren ruhte, als Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben wurde. C. Anmerkungen Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde zurück und beschäftigte sich im Kern mit der individuell geschützten Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerin gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Zwar stellt die weltanschaulich-religiöse Verhaltenspflicht einen grundrechtlichen Eingriff in Art. 4 Abs. 1, 2 GG dar. Als widerstreitende Verfassungsgüter kommen jedoch die Verpflichtung des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung sowie die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht. Keine rechtfertigende Kraft entfaltet dagegen insbesondere das Gebot richterlicher Unparteilichkeit. Das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst ist für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen. Die Auflösung des genannten Spannungsverhältnisses zwischen den Verfassungsgütern obliege in erster Linie dem demokratischen Gesetzgeber. Ihm kommt bei der Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob Werte von Verfassungsrang eine derartige Regelung rechtfertigen, eine Einschätzungsprärogative zu. Vorliegend kam keiner der kollidierenden Rechtspositionen ein Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers sei daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren. Zugunsten der Beschwerdeführerin wurde der Umstand berücksichtigt, dass das Kopftuch für sie nicht lediglich ein Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Gruppe ist, welches jederzeit abgenommen werden könnte. Für die Verfassungsmäßigkeit des Verbots sprach, dass es sich auf wenige einzelne Tätigkeiten beschränkt. Rechtsreferendare haben wie Beamte die Werte, die das Grundgesetz der Justiz zuschreibt, zu verkörpern. Wenngleich die Ausbildungsvorschriften den betroffenen Tätigkeiten wie dem staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst einen hohen Stellenwert beimessen, besteht auf ihre Wahrnehmung doch kein Rechtsanspruch. Der Umstand, dass Regelleistungen nicht erbracht werden, hatte nach der maßgeblichen Erlasslage keinen Einfluss auf die Bewertung. Die Ableistung eines im Ergebnis vollwertigen Rechtsreferendariats blieb also möglich. Im Übrigen wurde die Verfassungsbeschwerde ebenso als unbegründet befunden. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Prüfungsmaßstab II. Verletzung von Art. 4 Abs. 1, 2 GG (-) 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung III. Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (-) IV. Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (-) V. Verletzung von Art. 3 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (-) E. Zur Vertiefung BVerfG NJW 2015, 1359; NJW 2017, 2333; BAG, NZA 2019, 693. Entscheidung-der-Woche-13-2020 .pdf PDF herunterladen • 85KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 14-2024 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 14-2024 (ÖR) Jasmin Wulf Die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, stellt eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: EuGH, Urt. v. 18. Juni 2019, Rs. C-591 / 17 Fundstelle: https:/ / eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF / ?uri=CELEX:62017CJ0591 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, stellt eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. 2. Die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt und damit einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bedeutet. B. Sachverhalt Bereits 2015 hat Deutschland den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infrastrukturabgabe geschaffen, d. h. einer Abgabe für die Benutzung der Bundesfernstraßen einschließlich der Autobahnen durch Personenkraftwagen. Mit dieser Abgabe wollte Deutschland teilweise von einem System der Steuerfinanzierung zu einem auf das „Benutzerprinzip“ und das „Verursacherprinzip“ gestützten Finanzierungssystem übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollten zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden und ihre Höhe sollte sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs bemessen. Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen hatten nach den Plänen die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 Euro zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge sollte die Abgabe nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten sein. Insoweit sollte eine Zehntagesvignette (von 2,50 bis 25 Euro), eine Zweimonatsvignetten (von 7 bis 50 Euro) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 Euro) verfügbar sein. Parallel dazu hatte Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infrastrukturabgabe eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe zukommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten müssten. Österreich hat dagegen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Vertragsverletzungsklage gem. Art. 259 AEUV eingereicht. C. Anmerkungen Der EuGH hat entschieden, dass die Infrastrukturabgabe in der durch Deutschland vorgesehenen Form gegen den freien Warenverkehr gem. Art. 34 AEUV sowie gegen den freien Dienstleistungsverkehr gem. Art. 56 AEUV verstößt. Das in Art. 34 AEUV aufgestellte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen erfasst nach ständiger Rechtsprechung jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern. Die streitigen nationalen Maßnahmen sind geeignet, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe, der tatsächlich nur die Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, ist nämlich geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen, und beeinträchtigt damit deren Wettbewerbsfähigkeit, obwohl sich die Abgabe nicht direkt auf Waren bezieht. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind solche nationalen Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen. Auch dies liegt hier vor. Die Infrastrukturabgabe kann nämlich aufgrund der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die Teil der streitigen nationalen Maßnahmen ist, entweder die Kosten der Dienstleistungen erhöhen, die von diesen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden, oder die Kosten erhöhen, die sich für diese Dienstleistungsempfänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Durch die Steuerentlastung würde es eine faktische Befreiung nur der Halter in Deutschland geben, die im Gegensatz zu den Haltern anderer Mitgliedstaaten zumeist auch deutscher Staatsangehörigkeit sind, sodass auch ein Verstoß gegen Art. 18 AEUV vorliegt. D. In der Prüfung Vertragsverletzungsverfahren, Art. 258, 259 AEUV A. Zulässigkeit B. Begründetheit: Verstoß gegen Unionsrecht 1. Verstoß gegen Art. 34 AEUV 2. Verstoß gegen Art. 56 AEUV 3. Verstoß gegen Art. 18 AEUV E. Literaturhinweise Korte/Gurreck , Die europarechtliche Zulässigkeit der sog. Pkw-Maut, EuR 2014, 420; Pracht, Primärrechtswidrigkeit der PKW-Maut, ZJS 2019, 425 Entscheidung der Woche 14-2024.pdf .pdf PDF herunterladen • 126KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 28-2022 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 28-2022 (ÖR) Daniel Müller Für den Bundeskanzler gelten die Maßgaben zur Abgrenzung des Handelns in amtlicher Funktion von der nicht amtsbezogenen Teilnahme am politischen Wettbewerb grundsätzlich in gleicher Weise wie für die sonstigen Mitglieder der Bundesregierung. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG 2 BvE 4/20 in: BeckRS 2022, 13335 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Für den Bundeskanzler gelten die Maßgaben zur Abgrenzung des Handelns in amtlicher Funktion von der nicht amtsbezogenen Teilnahme am politischen Wettbewerb grundsätzlich in gleicher Weise wie für die sonstigen Mitglieder der Bundesregierung. 2. Aus der Kompetenzordnung innerhalb der Bundesregierung folgt zwar – verglichen mit den übrigen Kabinettsmitgliedern – ein gegenständlich weiteres Äußerungsrecht des Bundeskanzlers, nicht jedoch ergeben sich daraus andere Anforderungen mit Blick auf die Beachtung des Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebots. 3. Gründe, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen und der Bundesregierung eine Befugnis zum Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien verleihen, müssen durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sein, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann. B. Sachverhalt Im Februar 2020 fand im Thüringer Landtag die Wahl zum Ministerpräsidenten statt. Nachdem in den beiden ersten Wahlgängen keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Stimmenmehrheit erhielt, nominierte die FDP-Fraktion ihren eigenen Kandidaten K. Dieser wurde im dritten Wahlgang mit der erforderlichen einfachen Mehrheit gewählt. Auf den von der AfD-Fraktion nominierten Kandidaten entfielen keine Stimmen. Wegen dieser vermuteten Unterstützung durch Abgeordnete der A-Fraktion stieß die Wahl des K anschließend auf Kritik. Bundeskanzlerin M – zu dieser Zeit Parteivorsitzende der CDU – äußerte sich auf einer Pressekonferenz in Südafrika wie folgt: „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der A-Partei gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. […]“. Die antragstellende AfD sieht sich durch diese Äußerungen in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt. C. Anmerkungen Der Antrag nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG ist zulässig und begründet. Die angegriffenen Äußerungen verletzen das Recht der AfD auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG. Das Gebot staatlicher Neutralität schließt nicht aus, dass Regierungsmitglieder außerhalb ihrer amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnehmen. Auch wenn eine strikte Trennung der Sphären von „Bundesminister“, „Parteipolitiker“ und „Privatperson“ nicht möglich ist, bleibt das Neutralitätsgebot im amtlichen Tätigkeitsbereich anwendbar. Für eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit ist daher entscheidend, ob ein Regierungsmitglied bei der Beteiligung am politischen Meinungskampf auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Ressourcen oder auf die spezifische Amtsautorität zurückgreift. Für das Amt des Bundeskanzlers gelten dabei die gleichen Maßstäbe wie für die übrigen Regierungsmitglieder. Aus dem äußeren Rahmen der Äußerungen sowie ihrem Inhalt folgt, dass sie durch die Bundeskanzlerin in Ausübung ihres Amtes getätigt wurden. Insbesondere wies diese nicht darauf hin, dass sie sich zur Ministerpräsidentenwahl nicht in ihrer Eigenschaft als Kanzlerin, sondern als Parteipolitikerin oder Privatperson äußern werde. Inhaltlich beschränkt sich die Bundeskanzlerin nicht auf eine Bewertung der Ministerpräsidentenwahl und des Verhaltens der CDU-Abgeordneten. Vielmehr machte sie deutlich, dass sie die Beteiligung der AfD an der Bildung parlamentarischer Mehrheiten generell als demokratieschädlich erachtet und griff damit einseitig in den politischen Wettbewerb ein. Als Verfassungsgüter, die Eingriffe in die Chancengleichheit rechtfertigen können, kommen der Schutz der Handlungsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung sowie das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft in Betracht. Beide vermögen die Äußerungen der Bundeskanzlerin jedoch ebenso wenig zu rechtfertigen wie die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. D. In der Prüfung Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG I. Beeinträchtigung der Chancengleichheit 1. Spezifische Inanspruchnahme von Amtsautorität (P): Abgrenzung zwischen amtlichen und parteipolitischen bzw. privaten Äußerungen (!) 2. Einwirkung auf den politischen Wettbewerb II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Arbeitsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung (-) 2. Vertrauen in die Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft (-) 3. Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit E. Literaturhinweise Barczak, Die parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014; Gröpl/Zembruski, Äußerungsbefugnisse oberster Staatsorgane und Amtsträger, Jura 2016, 268; Milker, Äußerungen von Hoheitsträgern im Wahlkampf und darüber hinaus, JA 2017, 647; Spitzlei, Die poltische Äußerungsbefugnis staatlicher Organe, JuS 2018, 856. Entscheidung-der-Woche-28-2022 .pdf PDF herunterladen • 1.91MB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 10-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 10-2020 (ÖR) Anna Ordina Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB. Dabei kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Vorschrift gegen das GG verstößt und nichtig ist. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG, Urt. v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15 A. Orientierungssätze Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt auch die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. B. Sachverhalt (verkürzt) § 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern , diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Hiergegen wenden sich u.a. Suizidhilfe anbietende Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätige Ärzte sowie im Bereich suizidbezogener Beratung tätige Rechtsanwälte. C. Anmerkungen Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB. Dabei kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Vorschrift gegen das GG verstößt und nichtig ist. Eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich, weil sie den Absichten des Gesetzgebers zuwiderliefe. Dies hat nicht zur Folge, dass jegliche Regulierung sich der Einflussnahme des Gesetzgebers entzieht. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Möglichkeit u.a. prozedurale Sicherungsmechanismen zu schaffen, etwa durch gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. Das Recht auf Selbsttötung verbiete es aber, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen, sie etwa vom Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und damit die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierfür sich bei Dritten Hilfe zu suchen und diese in Anspruch zu nehmen. Die selbstbestimmte Verfügung über das Leben zu disponieren ist letzter Ausdruck der Würde. § 217 StGB stellt durch die mittelbare oder faktische Wirkung, die ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Sterbewilliger dar. Der Eingriff müsste gerechtfertigt sein. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen. Hierfür muss die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben angemessen sein. Die existentielle Bedeutung, die der Selbstbestimmung speziell für die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität im Umgang mit dem eigenen Leben zukommt, legt dem Gesetzgeber strenge Bindungen bei der normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe auf. Dem Einzelnen muss die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden. Ein gegen die Autonomie gerichteter Lebensschutz widerspricht dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Werteordnung steht, und die sich damit zur Achtung und zum Schutz der freien menschlichen Persönlichkeit als oberstem Wert ihrer Verfassung verpflichtet. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Verstoß gegen das APR, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG a. Schutzbereich b. Eingriff c. Rechtfertigung E. Zur Vertiefung BVerfG, Urt. v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15 Entscheidung-der-Woche-10-2020 .pdf PDF herunterladen • 175KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 18-2022 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 18-2022 (SR) Anna Bredemeier Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann ein Ausweispapier im Sinne des § 281 I 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 5 StR 146/19 in: BeckRS 2020, 20323 NJW 2020, 3260 NStZ 2021, 43 StV 2021, 496 A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann ein Ausweispapier im Sinne des § 281 I 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden. 2. Zur Fälschung beweiserheblicher Daten durch Anmeldung bei einer Auktionsplattform und durch Online-Verkaufsangebote unter falschem Namen. B. Sachverhalt Nach einem Aufenthalt im Luxushotel fand A Gefallen an einem luxuriösen Lebensstil. Um sich diese Art von Leben leisten zu können, beging er zahlreiche Straftaten. A bot über das Internet unter anderem hochwertige Armbanduhren an, welche er jedoch weder liefern konnte noch wollte. A legte dafür auf Online-Verkaufsplattformen (eBay, eBay-Kleinanzeigen, chrono24) Konten auf nicht existierende Personen unter Angaben fingierter Kontaktdaten an oder trat bei den Verkaufsverhandlungen unter fremden Namen auf. Um über seine Identität zu täuschen, schickte A den Kaufinteressenten Personalausweise von anderen Personen in elektronischer Form ohne deren Wissen und Einwilligung. Im Vertrauen auf die falschen Versprechen des A überwiesen zahlreiche Käufer den vereinbarten Kaufpreis vorab, erhielten jedoch nicht den gekauften Gegenstand. Außerdem schloss A mit der Telekom mehrere Mobilfunk-Rahmenverträge mit einer Laufzeit von 24 Monaten ab. Dabei spiegelte er wahrheitswidrig vor, dass die Verträge nach Vertragsschluss von zahlungsfähigen und -willigen Dritten übernommen werden. Dafür legte er den Telekom-Mitarbeitern gefälschte Dokumente und deren elektronischen Kopien vor und fälschte Unterschriften. Er erhielt zahlreiche hochwertige Mobiltelefone, ohne dass der Telekom ein entsprechender Gegenwert zufloss. Hat sich A wegen Missbrauchs von Ausweispapieren gem. § 281 I StGB und wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gem. § 269 StGB strafbar gemacht? C. Anmerkungen Nach Ansicht des 5. Strafsenats ist der Begriff des Gebrauchens in § 281 I 1 StGB wie in § 267 I 1 StGB auszulegen. Danach macht von einer Urkunde Gebrauch, wer dem zu Täuschenden die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde ermöglicht. Dies kann nicht nur durch Vorlage der Urkunde selbst geschehen, sondern auch dadurch, dass der Täter dem zu Täuschenden eine Fotokopie oder ein Lichtbild einer Urkunde zugänglich macht. Denn auch hierdurch wird die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht. Eine Gegenansicht des 4. Strafsenats verneint die Übereinstimmung des Begriffs des Gebrauchenmachens in § 281 I 1 StGB und § 267 I StGB. Danach könne nicht wegen Ausweismissbrauchs bestraft werden, wer nur die unbeglaubigte Kopie eines Ausweispapiers oder einer diesem gleichgestellten Urkunde vorlege. § 281 StGB stelle nur den Missbrauch von Unterschriften, nicht auch denjenigen von Surrogaten unter Strafe. Das Gesetz setze Gebrauchmachen von der Urschrift voraus. Diese Ansicht überzeugt den 5. Senat nicht. Aus dem Wortlaut des § 281 I 1 StGB ergebe sich keine Einschränkung der Tathandlung auf besondere Formen des Gebrauchs eines Ausweispapiers. Eine Urkunde werde gebraucht, wenn ihre sinnliche Wahrnehmung ermöglicht wird. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann dies auch durch Vorlage eines Abbilds geschehen, denn dass die Urkunde unmittelbar dem zu Täuschenden in die Hand gegeben werden muss, setzt der Begriff nicht voraus. Auch nach der Gesetzessystematik ist der Begriff in § 281 I 1 StGB wie in § 267 I StGB auszulegen. Die gleichlautende Verwendung desselben Begriffs in zwei Strafnormen im selben Abschnitt des Besonderen Teils des StGB legt eine gleiche Begriffsauslegung nahe. Für diese Auslegung spricht auch der Sinn und Zweck von § 281 StGB. Dieser dient dem Schutz des Rechtsverkehrs durch Identitätsschutz. Wer ein für einen anderen ausgestelltes echtes Ausweispapier im Rechtsverkehr zur Identitätstäuschung nutzt, macht sich die besondere Beweiswirkung des Identitätspapiers zunutze. Dies geschieht nicht nur bei der Vorlage des Originals, sondern auch bei der Nutzung (digitaler) Kopien. Heute ist eine elektronische Kommunikation üblich, insbesondere auch bei der Verwendung von Ausweispapieren, an deren Übermittlung zur Identitätsprüfung der Rechtsverkehr ein besonderes Interesse hat. Der Rechtsverkehr vertraut darauf, dass nur derjenige zum Identitätsnachweis ein amtliches Ausweispapier nutzt, der berechtigter Inhaber ist. Dieses besondere – von § 267 StGB abweichende – Vertrauen wird auch beeinträchtigt, wenn der Täter das Ausweispapier eines anderen durch Übersendung oder Vorlage einer elektronischen Bilddatei oder einer Kopie nutzt und so über seine Identität in einer Weise täuscht, die aufgrund der veränderten technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Vorlage des Originals weithin gleichsteht. Die von A gesendete Lichtbilddatei und Vorlage der Kopie eines echten Ausweises erfüllen jeweils die Alternative des Gebrauchens gem. § 281 I 1 StGB. Weiterhin hat A sich wegen Fälschung beweiserheblicher Daten strafbar gemacht. Nach § 269 I StGB macht sich strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so speichert oder verändert, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde, oder wer derartige Daten gebraucht. Bei der Anmeldung eines eBay-Konto unter Verwendung falscher Personalien hat A ein entsprechendes Online-Formular ausgefüllt und abgeschickt. Dadurch gab er die Gedankenerklärung ab, dass die angegebene Person einen Nutzungsvertrag mit eBay abschließen möchte, die AGB des Unternehmens anerkennt und beim Handeln auf der Plattform unter dem gewählten Mitgliedsnamen auftritt. Diese Erklärung ist zum Beweis geeignet und bestimmt. Die Einrichtung eines Nutzerkontos bei eBay-Kleinanzeigen und chrono24 unter falschen Personalien fällt zwar nicht unter § 269 I StGB, da die persönlichen Daten bei der Registrierung nicht abgefragt werden. Jedoch erfolgt die Übermittlung der persönlichen Angaben spätestens zwischen den Vertragspartnern nach Einigwerden über ein Geschäft. A hat durch sein an die Geschädigten unter falschem Namen kommuniziertes Verkaufsangebot eine unechte Datenurkunde i.S.d. § 269 I StGB gebraucht. Die Erklärung, wer Vertragspartner eines über eine Online-Plattform vermittelten Kaufs wird, ist in solchen Fällen zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt. D. In der Prüfung A. Strafbarkeit des A gem. § 281 I StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Tatobjekt b. Tathandlung […] B. Strafbarkeit des A gem. § 269 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a. Tatobjekt b. Tathandlung[…] E. Literaturhinweise Grabmeier,Ausnutzen einer trügerischen Beweiseinheit als spezifisches Unrecht des § 281 StGB, ZIS 2021, 199. Entscheidung-der-Woche-18-2022 .pdf PDF herunterladen • 88KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 25-2019 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 25-2019 (ZR) Moritz Stamme Die Übermittlung eines „presserechtlichen Informationsschreibens“ greift in der Regel nicht rechtswidrig in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH VI ZR 506/17 in: NJW 2019, 781 ZUM 2019, 435 A. Orientierungs- oder Leitsatz Die Übermittlung eines „presserechtlichen Informationsschreibens“ greift in der Regel nicht rechtswidrig in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Presseunternehmens ein. Eine andere Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn das übersandte Informationsschreiben von vorneherein ungeeignet ist, präventiven Rechtsschutz zu bewirken. Hiervon ist auszugehen, wenn es keine Informationen enthält, die dem Presseunternehmen die Beurteilung erlauben, ob Persönlichkeitsrechte durch eine etwaige Berichterstattung verletzt werden. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Beklagte zu 1. ist eine Medienrechtskanzlei, die regelmäßig sogenannte „presserechtlichen Informationsschreiben“ per Fax, Post oder E-Mail an ausgewählte Verlage versendet. In dieser Warnmitteilung droht sie mit zivil- und strafrechtlichen Schritten, sofern der Adressat rechtswidrige Berichterstattung über einen prominenten Mandanten publiziert oder eine solche von anderen Verlagen aufgreift. Die Klägerin, eine in Frankfurt ansässige Verlagsgesellschaft, veröffentlicht in einer Rubrik ihrer Zeitung Veröffentlichungen aus der Boulevardpresse über Prominente; u.a. auch über den Beklagten zu 2. Im Oktober 2015 forderte die Klägerin die Beklagte zu 1. auf, den Versand solcher Informationsschreiben an sie zu unterlassen. Diese verursachten einen erheblichen Mehraufwand bei der Rechtsabteilung der Klägerin, ohne dass dem ein Mehrwert an Information gegenüberstehe. Im Mai 2016 übersandt die Beklagte zu 1. erneut ein solches Schreiben an die Klägerin, mit der Aufforderung angeblich persönlichkeitsrechtsverletzende, aber nicht genau konkretisierte Bild- und Wortberichterstattung aus der „Bunte“ über den Beklagten zu 2. nicht zu übernehmen. Dagegen wendet sich die Klägerin und verlangt Unterlassung. C. Anmerkungen Der BGH hat das erstinstanzliche Urteil zugunsten der Klägerin wiederhergestellt. Der BGH hatte das Begehren der Klägerin auf den „quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch“ gem. § 1004 analog i.V.m. § 823 BGB zu überprüfen. In einer gutachterlichen Prüfung müssten zusätzlich Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb gem. UWG und der negatorische Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB hinsichtlich einer Eigentumsschädigung am Fax-Gerät geprüft werden. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird nur gegenüber „betriebsbezogenen“ Eingriffen geschützt. Die direkte Beeinflussung der redaktionellen Arbeit durch das Warnschreiben und die vorgenommene ernsthafte Prüfung des Warnschreibens, was über eine bloße Belästigung hinausgeht, lässt der BGH für den betriebsbezogenen Eingriff genügen. Da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein Rahmenrecht ist, wird die Rechtswidrigkeit, die Voraussetzung für den Anspruch ist, nicht indiziert, sondern muss positiv festgestellt werden.Für den BGH ist die Zusendung solcher Warnschreiben auch gegen den Willen des Empfängers grundsätzlich nicht rechtswidrig. Im Streitfall führt aber eine überragende Bewertung des fehlenden „Erkenntnisgewinns“ durch das Warnschreiben zu einer Abweichung von dieser Grundregel. Der Eingriff war somit auch rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Unterlassung. D. In der Prüfung Anspruchsgrundlage: § 1004 Abs. 1 S. 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB I.Analogie des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB II. Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 S. 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB 1. Eingriff in eine durch § 823 Abs. 1 geschützte Rechtsposition Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 2. Rechtswidrigkeit des Eingriffs III. Ergebnis E. Zur Vertiefung Sajuntz, NJW 2018, 589; Saake/von Bressensdorf, JuS 2015, 683&JuS 2016, 297 (Grundfälle). Entscheidung-der-Woche-25-2019 .pdf PDF herunterladen • 96KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 52-2019 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 52-2019 (ZR) Jari Kohne Hinter einer als Notausgang gekennzeichneten Außentür dürfen sich grundsätzlich keine erheblichen Niveauunterschiede befinden. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: OLG Celle – 8 U 15/19 in: NJW-RR 2019, 1043 IBR 2019, 557 A. Orientierungssatz Hinter einer als Notausgang gekennzeichneten Außentür dürfen sich grundsätzlich keine erheblichen Niveauunterschiede befinden. B. Sachverhalt Die Beklagte ist Eigentümerin und Betreiberin einer Sporthalle. Im Bereich der Sporthalle ließ die Beklagte Bauarbeiten ausführen, im Zuge derer unter anderem das Erdreich hinter dem Notausgang der Sporthalle abgetragen wurde. In besagter Halle hielt sich die Klägerin als Zuschauerin einer Tanzveranstaltung auf. Um frische Luft in die Halle zu lassen, öffnete die Klägerin die Notausgangstür. Dabei trat sie einen Schritt nach außen und stürzte in die unmittelbar hinter dem Notausgang befindliche, maximal einen Meter tiefe, Baugrube. Dabei zog sie sich unter anderem eine distale Radiusfraktur rechts sowie Zerrungen und Ergüsse im Sprunggelenk rechts zu. Sie begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 823 Abs. 1 BGB. C. Anmerkungen Unstreitig war in dem Verfahren, dass die Beklagte hinter dem Notausgang eine Baugrube ausheben ließ, in welche die Klägerin hineinstürzte. Auch wurde eindeutig ausgeurteilt, dass es einen Verstoß gegen die allgemeine Verkehrssicherungspflicht darstellt, unmittelbar hinter einem Notausgang eine Baugrube ausheben zu lassen und diese weder zu kennzeichnen noch abzusperren. Der Streit entzündete sich indes an der Frage der Kausalität. So war das LG noch der Auffassung, die Kompensation der Verletzung der Klägerin sei nicht vom Schutzzweck der Norm gedeckt: Verkehrssicherungspflichten griffen stets nur gegenüber zulässigerweise im Gefahrenbereich aufhältigen Personen. Der Notausgang werde aber zulässigerweise nur von Personen genutzt, die auf Grund eines Notfalls das Gebäude verlassen müssen. Da ein solcher Notfall nicht vorlag, hätte die Klägerin die Notausgangstür gar nicht öffnen dürfen, so dass die Beklagte ihr gegenüber auch nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Das OLG folgte dieser Argumentation nicht und entschied, dass es stets eine Frage des Einzelfalls sei, ob sich Personen, die sich unberechtigt in einen Gefahrenbereich begeben, auf Verkehrssicherungspflichten berufen können. Im vorliegenden Fall stellte das OLG darauf ab, mit welchem Personenverhalten die Beklagte hätte rechnen müssen: Da es ständiger Erfahrung entspreche, dass Notausgänge regelmäßig genutzt würden, obwohl kein Notfall vorliegt, hätte die Beklagte eine solche rechtswidrige Nutzung erwarten müssen. Entsprechend wurde eine Verletzung dieser Verkehrssicherungsplicht angenommen. Auch ein Mitverschulden der Klägerin wurde vom OLG Celle nicht erkannt. Ein solches sah die Beklagte darin, dass die Klägerin wusste, dass auf dem Gelände Bauarbeiten stattfanden, trotzdem aber keine erhöhte Vorsicht walten ließ. Im Urteil heißt es, die Klägerin habe die Baumaßnahmen nicht im Detail gekannt und somit auch keine Kenntnis von der Grube gehabt. Die Kenntnis von Bauarbeiten im Allgemeinen zwinge auch nicht dazu, sich ein detailliertes Bild von diesen zu verschaffen. Vielmehr könne der Verkehr darauf vertrauen, dass Gefahrenstellen zutreffend abgesperrt seien. Zudem begründe die Kenntnis der Bauarbeiten keine Plicht der Klägerin zu erhöhter Aufmerksamkeit: Beim Öffnen einer sich in Gehrichtung öffnenden Tür die Türschwelle zu überschreiten, entspräche allgemeiner Handhabung. Es könne von niemandem erwartet werden, dass nach dem Öffnen der Tür zuerst eine gründliche Inspektion des der Türschwelle jenseitigen Bereichs erfolge, bevor die Tür durchschritten wird. D. In der Prüfung A. § 823 Abs. 1 BGB I. Rechts- oder Rechtsgutsverletzung II. Handeln III. Haftungsbegründende Kausalität 1. Äquivalenz 2. Adäquanz 3. (P) Schutzzweck der Norm III. Rechtswidrigkeit IV. Verschulden V. Schaden VI. Haftungsausfüllende Kausalität VII. (P) Mitverschulden B. Ergebnis E. Zur Vertiefung Zu Verkehrssicherungspflichten: Brox/Walker, Schuldrecht BT, 43. Aufl. 2019, § 45 Rn. 32ff. mit zahlreichen Beispielen; Zum Schutzzweck der Norm: Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 9. Aufl. 2019, § 16 Rn. 139ff. mit Beispielen und w.N. Entscheidung-der-Woche-52-2019 .pdf PDF herunterladen • 91KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 21-2018 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 21-2018 (SR) Finja Maasjost Für eine Verwirklichung des Raubes gem. § 249 StGB bedarf es nach hM eines subjektiven finalen Zusammenhanges zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme. Wo? Az.: BGH 3 StR 157/16 in: NStZ 2017, 27-28 www.bundesgerichtshof.de Was? BGH, Beschluss vom 12.07.2016 Für eine Verwirklichung des Raubes gem. § 249 StGB bedarf es nach hM eines subjektiven finalen Zusammenhanges zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme. Demnach muss das Nötigungsmittel aus Sicht des Täters gerade zur Ermöglichung der Wegnahme eingesetzt werden. Ausreichend ist auch eine ohne Wegnahmevorsatz getätigte abgeschlossene Gewaltanwendung, welche sich durch einschüchterndes Verhalten des Täters als konkludente Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkt. Für die Annahme eines qualifizierten Raubes gem. § 250 II Nr. 1 StGB ist dies unzureichend. Für eine „Verwendung bei der Tat“ bedarf es der zweckgerichteten Verwendung als Raubmittel, der Wahrnehmung als Drohmittel durch das Opfer sowie die Versetzung in eine qualifizierte Zwangslage. Demnach bedürfe es zumindest einer erneuten konkludenten Drohung des Einsatzes. Das bloße fortwirken lassen der Wirkung einer zuvor getätigten Gewaltanwendung genügt diesen Anforderungen nicht. Auch Angst des Opfers vor weiteren Misshandlungen genügt als Zustand allgemeiner Einschüchterung nicht. Warum? Die finale Verknüpfung iRd. § 249 StGB ist ein beliebtes Klausurproblem, das jeweils einer genaue Auswertung des Sachverhaltes bedarf, um verschiedene Konstellationen richtig ermitteln zu können und eine sinnvolle Abgrenzung zum Diebstahl gem. § 242 StGB zu ermöglichen. Insbesondere die Anwendung von Gewalt oder Drohung ohne Wegnahmevorsatz kann dabei zu Problemen führen, die eine nachvollziehbare Argumentation erfordern. Vertiefungsaufgabe Differenzierung der Fortdauer einer Gewaltanwendung (BGHSt 20, 32 (33)) und der bloßen Fortwirkung (BGH NStZ 13, 648 = BGH v. 08.05.2013 – 2 StR 558/12) vergegenwärtigen; Aktives Aufrechterhalten der Drohwirkung durch Unterlassen (BGHSt 48, 365ff.; Wessels/Hillenkamp, BT 2, 40. Auflage 2017, Rn. 364). Entscheidung-der-Woche-21-2018 .pdf PDF herunterladen • 275KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 40-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 40-2020 (ÖR) Rim Talal Das Thüringer Paritätsgesetz, welches den Parteien starre paritätische Quoten für die Aufstellung der Landeslisten vorgibt, verstößt gegen die Thüringer Verfassung und ist damit nichtig Aktenzeichen & Fundstelle Az.:ThürVerfGH NVwZ 2020, 1266 in: BeckRS 2020, 15854 LSK 2020, 15854 A. Orientierungs- oder Leitsatz Das Thüringer Paritätsgesetz, welches den Parteien starre paritätische Quoten für die Aufstellung der Landeslisten vorgibt, verstößt gegen die Thüringer Verfassung und ist damit nichtig. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf freie und gleiche Wahlen gemäß Art. 46 I ThürVerf sowie die politischen Parteien in ihrer Betätigungs- und Programmfreiheit sowie in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 9 S. 2 ThürVerf i.V.m. Art. 21 I GG. B. Sachverhalt Am 30.07.2019 wurde in Thüringen im Rahmen des siebten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes das Paritätsgesetz eingeführt. Dieses Gesetz sah vor, dass Landeslisten durch die politischen Parteien abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen sind. Die Fraktion der Alternative für Deutschland im Thüringer Landtag hielt die gesetzliche Einführung der geschlechterparitätischen Quotierung der Landeslisten der Parteien für die Wahlen zum Thüringer Landtag für verfassungswidrig und rief daraufhin in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle den Thüringer Verfassungsgerichtshof an. Dieser erklärte das Gesetz für nichtig. C. Anmerkungen Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet. Durch das Paritätsgesetz wird das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl gemäß Art. 46 I ThürVerf sowie das Recht der politischen Parteien auf Programmfreiheit, Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit gemäß Art. 21 I GG beeinträchtigt. Dies ergibt sich daraus, dass zum Recht auf Teilnahme an der Wahl auch die Möglichkeit, Wahlvorschläge vorzunehmen, gehört. Die Freiheit der Wahl meint, dass die Wahlen nicht durch Zwang und Druck von staatlicher Seite beeinflusst werden sollen. Durch das Paritätsgesetz sind die Wählerinnen und Wähler nicht mehr frei, da eine bestimmte geschlechterbezogene Zusammensetzung des Parlaments determiniert. Auch die Freiheit der Parteimitglieder wird eingeschränkt. Ihnen ist es nicht mehr möglich, einen Bewerber oder eine Bewerberin ganz unabhängig des jeweiligen Geschlechts zu wählen. Durch die gesetzliche Regelung sind die Parteien gezwungen paritätische Quoten einzuführen. Ferner beeinträchtigt das Paritätsgesetz auch die Gleichheit der Wahl. Bei der Aufstellung einer Liste verlieren Stimmen aufgrund des Gesetzes ihren Einfluss auf das Wahlergebnis und mithin ihren Erfolgswert, wenn diese für eine Frau oder einen Mann abgegeben werden, obwohl deren Kandidatur auf dem konkreten Listenplatz aufgrund des Reißverschlussprinzips nicht zulässig war. Auch die passive Wahlrechtsgleichheit wird durch das Paritätsgesetz beeinträchtigt. Art. 46 II ThürVerf erklärt jeden Bürger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet und im Freistaat Thüringen seinen Lebenswohnsitz hat, als wählbar und garantiert dadurch jedem Bürger das Recht, sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Dabei garantiert ihnen Art. 46 I ThürVerf ein Recht auf Chancengleichheit. Infolge des Paritätsgesetzes haben die Bewerber und Bewerberinnen nicht mehr die gleichen Chancen auf einen Listenplatz. Das liegt daran, dass für die Kandidaten, gleich ob Mann oder Frau, jeweils die Hälfte der Listenplätze wegfällt, auf die sie sich hätten bewerben können, wenn es das Paritätsgesetz nicht gäbe. D. In der Prüfung A. Verfassungsmäßigkeit des Paritätsgesetzes I. Formelle Verfassungsmäßigkeit II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Verstoß gegen passive Wahlrechtsgleichheit 2. Verstoß gegen aktive Wahlrechtsgleichheit 3. Verstoß gegen Freiheit der Wahl 4. Verstoß gegen Freiheit der Parteien 5. Verstoß gegen Chancengleichheit der Parteien 6. Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung 7. Verstoß gegen Demokratieprinzip III. Ergebnis E. Zur Vertiefung Butzer, NdsVbl 2019, 10; Gröpl, JuS 2020, 961, (Original-) Refenrendarexamensklausur- Öffentliches Recht: Verfassungsrecht- Wahlrechtliche Paritätsklauseln; JuS 2020, 994, Verfassungsrecht: Verfassungswidrigkeit eines Paritätsgesetzes für Landtagswahlen. Diese EdW steht leider nicht zum Download bereit! Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 29-2018 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 29-2018 (ZR) Jonas Vonjahr Bei einer Probefahrt des Bestellers Zwecks der Abnahme des Werks im Beisein des Werkunternehmers oder einem seiner Besitzdiener bleibt der Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer des KFZ. Wo? Az.: BGH Urt. v. 17.3.2017 – V ZR 70/16 in: JuS 2017, 785 JZ 2017, 410 NJW-RR 2017, 818 Was? BGH, Urteil vom 17.03.2017 Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein Herausgabeanspruch gem. § 861 BGB für den Fall besteht, in dem ein Besitzdiener des Werkunternehmers nach einer Probefahrt des Auftraggebers den Schlüssel eines KFZ wieder an sich nimmt. Zentral ist dafür die Frage, ob es sich beim Abziehen und Ansichnehmen des Schlüssels gegenüber dem Besteller um verbotene Eigenmacht handelt. Bei einer Probefahrt des Bestellers Zwecks der Abnahme des Werks im Beisein des Werkunternehmers oder einem seiner Besitzdiener bleibt der Werkunternehmer unmittelbarer Besitzer des Kfz. Es handelt sich lediglich um eine Lockerung des Besitzes. Anders als bei einer Probefahrt eines Kaufinteressenten ist der Besteller allerdings auch nicht als Besitzdiener des Unternehmers anzusehen. Nimmt der Werkunternehmer oder sein Besitzdiener den Schlüssel nach der Probefahrt wieder an sich, handelt es sich nicht um verbotene Eigenmacht i.S.d § 858 BGB. Anders als bei einer Probefahrt eines Kaufinteressenten ist der Besteller allerdings auch nicht als Besitzdiener des Unternehmers anzusehen. Warum? Der BGH begründet dies damit, dass der Werkunternehmer bei einer Probefahrt lediglich über kurze Dauer die tatsächliche Gewalt über das Auto aus der Hand gibt. Dies geschieht darüber hinaus nicht ineinem ausreichenden Maße, um einen Besitzübergang zu bejahen. Die Frage nach dem Besitzverhältnis während einer Probefahrt besitzt aufgrund ihrer vielfältigen Einflechtungsmöglichkeiten in mobiliarsachenrechtlichen Klausuren oder Hausarbeiten eine besondere Relevanz. Denkbar wäre hier zum Beispiel eine Konstellation mit Zurückbehaltungsrechten oder dem Werkunternehmerpfandrecht. Wie in diesem Fall ist insbesondere innerhalb der Prüfung des § 861 BGB bei der Verschiebung der Besitzverhältnisse zu Argumentieren. Vertiefung Anmerkung in JuS 2017, 785 nachlesen; Vergegenwärtigung der verschiedenen Besitzkonstellationen bei Probefahrt in Anbahnung eines Kaufvertrages und Probefahrt bei Abnahme einer Reparatur (sowohl im Beisein des Werkunternehmers als auch ohne die Anwesenheit des Werkunternehmers). Entscheidung-der-Woche-29-2018 .pdf PDF herunterladen • 382KB Zurück Nächste












