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- Entscheidung der Woche 15-2019 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 15-2019 (ÖR) Jasmin Wulf Amtliche Äußerungen eines kommunalen Amtsträgers im politischen Meinungskampf sind nur innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zulässig. Aktenzeichen & Fundstelle BVerwG 10 C 6.16 in: NVwZ 2018, 433 A. Orientierungs- oder Leitsatz Amtliche Äußerungen eines kommunalen Amtsträgers im politischen Meinungskampf sind nur innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zulässig. Die Befugnis zu amtlichen Äußerungen, die sich gegen eine nicht zu den politischen Parteien (Art. 21 GG) zählende politische Gruppierung richtet, findet ihre Grenze nicht in dem politischen Parteien gegenüber geltenden Neutralitätsgebot, wohl aber in dem für jedes staatliche Handeln geltende Sachlichkeitsgebot. Dieses verlangt, dass sich die amtliche Äußerung am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten und auf eine lenkende Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verzichten. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Klägerin meldete für den Abend des 12.01.2015 in Düsseldorf eine Versammlung mit dem Motto „Düsseldorf gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Dügida) an. Aus Anlass dieser Versammlung hatte der Düsseldorfer Oberbürgermeister vom 07. bis zum 11.01.2015 auf der Internetseite www.duesseldorf.de die Erklärung „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ eingestellt. Darin kündigte er an, dass am 12.01.2015 ab Beginn der Demonstration an verschiedenen öffentlichen Gebäuden der Stadt die Beleuchtung ausgeschaltet werde. Zugleich rief er die Düsseldorfer Bürger und Geschäftsleute auf, die Beleuchtung an ihren Gebäuden ebenfalls auszuschalten, um ein „Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus“ zu setzen. Darüber hinaus bat er in der Erklärung um die Teilnahme an einer parallel stattfindenden Gegendemonstration. Die angemeldete Versammlung fand am 12.01.2015 statt. Während ihrer Dauer wurde die Beleuchtung am Rathaus sowie an weiteren städtischen Gebäuden ausgeschaltet. Die Klägerin begehrte die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen. Das VG hatte ihre Klage als unzulässig abgewiesen (BeckRS 2015, 52178). Das OVG hatte den Aufruf des Oberbürgermeisters, das Licht auszuschalten, sowie das Ausschalten der Beleuchtung an städtischen Gebäuden als rechtswidrig beurteilt (NVwZ 2017, 1316). Die Bitte, an einer friedlichen Gegendemonstration teilzunehmen, hatte es dagegen als rechtmäßig bestätigt. C. Anmerkungen Das BVerwG hat das Urteil der Vorinstanz geändert und festgestellt, dass auch der Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration rechtswidrig war. Der Oberbürgermeister sei als kommunaler Wahlbeamter zwar grundsätzlich befugt, sich im Rahmen seines Aufgabenbereichs zu Themen der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern. Diese Befugnis unterliege jedoch Grenzen. Aus dem Demokratieprinzip folge, dass ein Amtsträger sich zwar am politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung beteiligen, ihn aber nicht lenken und steuern darf. Ebenso seien ihm Äußerungen nicht gestattet, die die Ebene des rationalen Diskurses verlassen oder die Vertreter anderer Meinungen ausgrenzen. Nach diesen Vorgaben hätten sich die in Rede stehenden Maßnahmen des Düsseldorfer Oberbürgermeisters als rechtswidrig erwiesen, so das BVerwG weiter. Der Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration habe in unzulässiger Weise in den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung eingegriffen. Mit dem Aufruf, das Licht auszuschalten, und dem tatsächlichen Ausschalten der Beleuchtung an städtischen Gebäuden seien die Grenzen der Äußerungsbefugnis, sich in sachlicher und rationaler Weise mit den Geschehnissen in der Stadt Düsseldorf auseinanderzusetzen, überschritten und der Bereich politischer Kommunikation durch diskursive Auseinandersetzung verlassen worden. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Schutzbereich des Art. 21 I GG II. Eingriff III. Rechtfertigung 1. Befugnis zur Öffentlichkeits- und Informationsarbeit 2. Schranken der Befugnis: Sachlichkeitsgebot -> Rechtfertigung (-) E. Zur Vertiefung Gusy, Neutralität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit – Voraussetzungen und Grenzen, NVwZ 2015, 700; OVG Münster, NVwZ 2017, 1316; VG Düsseldorf, BeckRS 2015, 52178. Entscheidung-der-Woche-15-2019 .pdf PDF herunterladen • 110KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 26-2025 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 26-2025 (ZR) Marie-Christin Runkel Hat der Unternehmer dem Verbraucher ermöglicht, über eine Internetseite einen Vertrag über die wiederkehrende Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen zu schließen, so muss er auf der Internetseite eine Kündigungsschaltfläche auch dann bereitstellen, wenn der Verbraucher für die vertraglichen Leistungen des Unternehmers ein einmaliges Entgelt zu entrichten hat und der Vertrag nach der vereinbarten Laufzeit automatisch endet. Aktenzeichen und Fundstelle Az.: BGH I ZR 161/24 in: openJur 2025, 14574 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Hat der Unternehmer dem Verbraucher ermöglicht, über eine Internetseite einen Vertrag über die wiederkehrende Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen zu schließen, so muss er auf der Internetseite eine Kündigungsschaltfläche auch dann bereitstellen, wenn der Verbraucher für die vertraglichen Leistungen des Unternehmers ein einmaliges Entgelt zu entrichten hat und der Vertrag nach der vereinbarten Laufzeit automatisch endet. 2. Für die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses kommt es nicht auf beiderseitige wiederkehrende Leistungspflichten von Verbraucher und Unternehmer an. Entscheidend sind lediglich die des Unternehmers. (eigener Leitsatz) B. Sachverhalt Die Beklagte betreibt einen Versandhandel. Über ihre Internetplattform kann die kostenlose "basic" Variante für Nutzerkonten, Bestellungen etc. verwendet werden. Zudem bietet sie gegen ein Jahresentgelt von 9,00 € ein "Plus-Paket" an. Nutzende, die über ein Kundenkonto bei der Beklagten verfügen, können zwischen dem Basisangebot und dem "Plus-Paket" wählen. Unabhängig von der gewählten Variante sammeln Kund:innen bei Einkäufen über die Plattform der Beklagten Punkte, die sie bei künftigen Bestellungen einlösen können. Über das "Plus-Paket" besteht jedoch die Möglichkeit, doppelte Punkte durch den Kauf nachhaltiger Produkte zu sammeln. Als weiteren Vorteil des "Plus-Pakets" ist jede Bestellung versandkostenfrei. Wenn das "Plus-Paket" gebucht wird, beträgt die Laufzeit 12 Monate und endet mit dem Ablauf dessen automatisch, ohne dass eine Kündigung erforderlich ist. Sofern allerdings die vorzeitige Beendigung des "Plus-Pakets" durch außerordentliche Kündigung beabsichtigt ist, gibt es keinen Kündigungsbutton auf der Startseite bzw. unmittelbar im Kundenkonto zu finden. Erforderlich ist dazu nach Eröffnung des Kundenkontos die Auswahl mehrerer Optionen auf einer Schaltfläche und im Anschluss das Ausfüllen eines Formulars, um zu der Schaltfläche "Vertrag kündigen" zu gelangen. Der Verbraucherschutzband klagte dagegen. C. Anmerkungen Der BGH hat die Beklagte entsprechend der Klage des Verbraucherschutzbundes verurteilt, es zu unterlassen, Verbraucher:innen kostenpflichtige Vorteilsprogramme anzubieten, ohne sicherzustellen, dass die Erklärung der außerordentlichen Kündigung über eine hinreichende Kündigungsschaltfl.che erfolgen kann. In der bisherigen Form sei dies gerade unzureichend gewesen und stelle einen Verstoß gegen § 312k BGB dar. Die Verpflichtung des Unternehmers zur Gestaltung der Kündigungsschaltfl.che nach § 312k Abs. 2 S. 1 BGB ist einschlägig, wenn es Verbraucher:innen im elektronischen Geschäftsverkehr ermöglicht wird, einen Vertrag zu schließen, der auf die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist. Hierbei ist der Anwendungsbereich nicht dadurch ausgeschlossen, dass Verbraucher:innen nur einmalig das Entgelt von 9,00 € entrichten. Während die Vorinstanz des OLG Hamburgs den Begriff des Dauerschuldverhältnisses dahingehend auslegte, dass die wiederkehrenden Leistungspflichten für beide Seiten bestehen müssten, vertrat der BGH mit seiner Entscheidung ein weiteres Begriffsverständnis. Kennzeichnend für das Dauerschuldverhältnis sind hier laut dem BGH allein die Leistungspflichten der beklagten Unternehmerin. Die Bereitstellung des kostenlosen Versandes und die Gewährung von Punktegutschriften sowie Preisvorteilen stellen die Hauptleistungspflichten dar und sind während der gesamten Vertragslaufzeit fortwährend zu erbringen, sodass die Charakteristika des Dauerschuldverhältnisses gegeben sind. Dieses weite Begriffsverständnis stehe auch mit dem Sinn und Zweck des § 312k BGB in Einklang. Im elektronischen Geschäftsverkehr seien Verbraucher:innen häufig bereits dadurch benachteiligt, dass ihnen die Kündigung durch die Gestaltung der Website erschwert werde. Durch die so erschwerte Kündigung besteht eine längere Bindung an den Vertrag. Das hat dann wiederum zur Folge, dass sich der Anteil des Betrags verringert, den Unternehmer:innen entsprechend § 628 Abs. 1 S. 3 BGB bzw. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu erstatten haben. D. In der Prüfung I. Vorzeitige Beendigung eines Vertrags durch Kündigung gem. § 312k Abs. 6 S. 1 BGB? 1. Verbrauchervertrag 2. im elektronischen Geschäftsverkehr 3. Dauerschuldverhältnis 4. Verstoß gegen § 312k Abs. 2 II. Ergebnis Der Vertrag ist jederzeit, ohne Kündigungsfrist kündbar. E. Literaturhinweise OLG Hamburg, MMR 2025, 295; Kloth, VuR 2024, 326.26 Entscheidung der Woche 26-2025 .pdf PDF herunterladen • 75KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 39-2022 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 39-2022 (SR) Domink Stanislavchuk Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 2 StR 41/21 in: NJW 2022, 1263 NStZ 2022, 571 A. Orientierungs- oder Leitsatz Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. B. Sachverhalt Während einer Faschingsfeier kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen N und B, einer Begleiterin des A. Während N im Krankenwagen versorgt wurde, berichtete B dem A, dass N ihre Mutter beleidigt und sie so geschubst habe, dass sie sich am Knie verletzte. A beschloss den N zur Rechenschaft zu ziehen und ihm mit einem mitgeführten Messer einen Denkzettel zu verpassen. N stieg gerade rückwärts aus dem Krankenwagen, als A von hinten an ihn herantrat und ihn mit einem Springmesser mit 8,5 cm Klingenlänge einen Messerstich in den Rücken versetzte, wobei ihm gleichgültig war, ob dieser daran versterben würde. Während der vor Schmerz aufschreiende N sich umdrehte, stach A erneut zu und traf die linke Schulter des N sowie mit zwei weiteren Stichen dessen Oberarm. Die Stiche zeigten zunächst keine Wirkung. A erschrak jedoch beim Blick in das schmerzverzerrte Gesicht des N. Obwohl ihm weitere Stiche möglich gewesen wären, wandte er sich ab und rannte davon. N wurde durch die Rettungskräfte versorgt und später aus dem Krankenhaus entlassen. Strafbarkeit des A nach dem StGB? C. Anmerkungen Der BGH verwarf die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn und bestätigte die Verurteilung des A – nur – wegen gefährlicher Körperverletzung. A hat im vorliegenden Fall unproblematisch den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB erfüllt. So braucht nur kurz angerissen werden, dass eine abstrakte Lebensgefährdung nach der Rechtsprechung für die das Leben gefährdende Behandlung i.S.d. Nr. 5 ausreicht und ein Messer, je nach Einzelfall, über das gefährliche Werkzeug hinaus auch eine Waffe i.S.d. Nr. 2 darstellen kann. Ein hinterlistiger Überfall gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 3 StGB scheidet hingegen aus, da sich die Absicht des Täters, dem anderen die Verteidigungsmöglichkeiten zu erschweren, äußerlich manifestieren muss. Ein – wie hier – plötzlicher Angriff von hinten oder das bloße Ausnutzen des Überraschungsmomentes reichen für sich genommen nicht aus. Im Zentrum des Urteils stand indes die Frage, ob A vom versuchten Mord gemäß § 211 Abs. 1 Gr. 2 Var. 1 StGB zurückgetreten ist. A glaubte angesichts der zunächst geringen Wirkung der Messerstiche nicht, bereits alles zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan zu haben, wobei er die Herbeiführung des Taterfolgs immer noch für möglich hielt. Bei einem solchen unbeendeten Versuch ist ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB möglich, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit in diesem Sinne liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. A war indes weder durch objektive Umstände noch aufgrund seiner psychischen Verfassung – Erschrecken über sein eigenes Verhalten − daran gehindert, seinen Angriff auf den N fortzusetzen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass A einem seelischen Druck ausgesetzt war, der ihn von der weiteren Tatausführung abhielt. Unter seelischen Druck fallen etwa Fälle, bei denen der Täter einen Schock erlebt. Ein einfacher – wie hier vorliegender – Schreck reicht hierfür nicht aus, denn A wäre es aus seiner Sicht weiterhin möglich gewesen, N weitere Stiche zuzufügen. A sah sich auch keines äußeren Zwangs ausgesetzt. Auch der Umstand, dass A sein außertatbestandliches Handlungsziel – den Denkzettel für N – durch die Messerstiche erreicht hat, schließt einen (freiwilligen) Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus. Der A ist deshalb vom versuchten Mord gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zurückgetreten. So erfolgte folgerichtig lediglich eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. D. In der Prüfung § 211 Abs. 1 Gr. 2 Var. 1, 22, 23 StGB I. Tatbestand 1. Tatentschluss 2. Unmittelbares Ansetzen II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB 1. Unbeendeter Versuch 2. Aufgabe der weiteren Tatausführung 3. Freiwilligkeit V. Ergebnis E. Literaturhinweise Murmann, „Aufgeben“ der weiteren Tatausführung und „Verhindern“ von deren Vollendung iSv § 24 I 1 StGB, JuS 2022, S. 193-199; Murmann, Die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch, JuS 2021, S. 1001-1006. Entscheidung-der-Woche-39-2022 .pdf PDF herunterladen • 156KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 52-2020 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 52-2020 (ÖR) Alina Amin Eine grundrechtsverletzende Auflage kann in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren auch dann noch – mit der Fortsetzungsfeststellungsklage – angegriffen werden, wenn die Auflage nach acht Monaten mangels Bedeutung für die weiteren Ausbildungsstationen aufgehoben worden ist. Aktenzeichen & Fundstelle BVerwG, 12.11.2020 - 2 C 5.19 in: PM: https://www.bverwg.de/de/pm/2020/65 A. Orientierungs- oder Leitsatz Eine grundrechtsverletzende Auflage kann in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren auch dann noch - mit der Fortsetzungsfeststellungsklage - angegriffen werden, wenn die Auflage nach acht Monaten mangels Bedeutung für die weiteren Ausbildungsstationen aufgehoben worden ist. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Klägerin (A) ist muslimischen Glaubens und trägt als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung ein Kopftuch. Im September 2014 wurde sie in Bayern zu dem im Oktober beginnenden juristischen Vorbereitungsdienst mit der Auflage zugelassen, dass „bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung (z.B. Wahrnehmung des staatsanwaltlichen Sitzungsdienstes, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in der Zivilstation) keine Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale getragen werden dürfen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung zu beeinträchtigen.“ Gegen diese Auflage legt A erfolglos Widerspruch ein. Der Beklagte hob die Auflage acht Monate nach Beginn des Referendariats auf. Die Strafrechtsstation war zu dem Zeitpunkt beendet und die Auflage laut des Beklagten nicht mehr erforderlich. Daraufhin beantragte A festzustellen, dass die Auflage rechtswidrig gewesen ist. Hiermit war sie erstinstanzlich erfolgreich, unterlag aber in der zweiten Instanz. Das Berufungsgericht sehe die Klage mangels Feststellungsinteresses als unzulässig. Es liege zwar ein Grundrechtseingriff vor. Dieser sei aber nicht tiefgreifend und habe sich auch nicht typischerweise kurzfristig erledigt. Hat die Klage der A am BVerwG Erfolg? C. Anmerkungen Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig, weil die „Kopftuch-Auflage“ einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, der sich typischerweise zu kurzfristig erledigt, um Hauptsacherechtsschutz zu erlangen. Die Auflage maß sich zwar Bedeutung für die gesamte zweijährige Referendariatszeit bei, hatte aber typischerweise nur in den ersten beiden Stationen - der Zivil- und der Strafrechtsstation - einen praktischen Anwendungsbereich. Innerhalb dieses Zeitraums ist Hauptsacherechtsschutz - auch unter Berücksichtigung des Widerspruchsverfahrens - regelmäßig nicht zu erlangen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet, weil es im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der Auflage von Oktober 2014 bis Mai 2015 in Bayern die erforderliche gesetzliche Grundlage für den mit einer solchen Auflage verbundenen Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) noch nicht gab. Diese gesetzliche Grundlage ist erst im Jahr 2018 mit Art. 11 Absatz 2 Bayerisches Richter- und Staatsanwaltsgesetz i.V.m. Art. 57 Bayerisches Gerichtsverfassungsausführungsgesetz geschaffen worden. D. In der Prüfung § 113 I 4 VwGO analog A. Besondere Sachentscheidungsvorraussetzungen I. Verwaltungsrechtsweg, 40 I 1 VwGO II. Statthafte Klageart, 88 VwGO III. Klagebefugnis, 42 II analog IV. Feststellungsinteresse (P) Ein sich typischerweise schnellerledigender Grundrechtseingriff (+) … B. Begründetheit Nach dem Vorbehalt des Gesetzes bedürfen belastende Hoheitsakte einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche RGL für die Auflage liegt nicht vor. E. Zur Vertiefung Detterbeck: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32. Entscheidung-der-Woche-52-2020 .pdf PDF herunterladen • 591KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 15-2022 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 15-2022 (SR) Johanna Lange n.v. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 3 StR 450/20 in: NStZ 2022, 163 StV 2022, 171 A. Orientierungs- oder Leitsatz n.v. B. Sachverhalt Eine Mutter, deren Beziehung von Gewalt und körperlichen Aggressionen ihres Partners ihr gegenüber geprägt war und welche aufgrund dessen bereits einen erfolglosen Suizidversuch durchlebt hatte, beauftragte ihren Sohn damit, jemanden zu finden, der ihrem gewalttätigen Partner eine „Tracht Prügel“ verpasste. Dafür gab sie ihm 2.500 Euro. Dabei äußerte sie, dass sie „ihm am liebsten mal einen Stein vor den Kopf hauen“ würde. Der Sohn wandte sich daraufhin an einen Berufsschulkameraden, der wiederum diesbezüglich einen weiteren Dritten ansprach. Zu dritt beschlossen sie, dem Partner der Mutter zu geben, „was er verdiene“. Dass er dabei krankenhausreif oder bewusstlos werden würde, wollten die beiden Kameraden dem Sohn nicht versprechen. Sie sollten für die Tat 1.500 Euro bekommen. Der Sohn versicherte auf Frage der anderen beiden, dass nicht damit gerechnet werden müsste, dass seine Mutter ihrem Partner noch einen Stein auf den Kopf fallen ließe. Am Abend fuhren sie zusammen zu dem Campingplatz, wo die Mutter mit ihrem Partner lebte. Einer der Kollegen trug ein Teleskopschlagstock bei sich, der andere ein Pfefferspray. Alle drei nahmen den Gebrauch der Gegenstände billigend in Kauf. Während die Mutter einen Toilettenbesuch vortäuschte, drangen die beiden Kollegen in den Wohnwagen ein und schlugen auf das Opfer unter mehrfachem Einsatz ihrer bei sich geführten Gegenstände und weiterer herumliegenden Gegenstände sowie ihrer Körperteile, ein. Das Opfer wurde dabei nicht lebensbedrohlich verletzt – den Tod nahmen sie auch nicht billigend in Kauf. Sodann fuhren die beiden Täter mit dem Sohn von dannen. Die Mutter fand ihren verletzten Partner im Wohnwagen vor und schlug – in Tötungsabsicht – mehrfach mit einem Pflasterstein auf seinen Kopf ein. Dann würgte sie ihn, bis er starb. Die Todesursache – eine Kombination aus Erstickungsgeschehen und Schädel-Hirn-Trauma – wird der Mutter zugerechnet, nicht den Berufsschulkollegen des Sohnes. Gefragt ist nach der Strafbarkeit des Sohnes sowie der der beiden Kollegen. C. Anmerkungen Es stellt zunächst keinen Widerspruch dar, dass das Opfer zunächst reglos und kampfunfähig am Boden lag, aber nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Die engagierten Täter und der Sohn sind nicht gem. § 227 StGB strafbar. Sie versetzten ihn zwar in eine Situation, in der die Mutter in der Lage war, ihn zu töten und begründeten damit eine Kausalreihe für den Tod eines Menschen. Jedoch ist das eigenverantwortliche Handeln der erwachsenen Frau den Tätern nicht zurechenbar. Bei der mittelbaren Verursachung einer vollverantwortlich begangenen fremden Vorsatztat ist streitig, ob eine Erfolgszurechnung über eine fahrlässige Täterschaft des Hintermanns überhaupt möglich ist. Voraussetzung der Zurechnung ist jedoch unstreitig, dass der Erfolgseintritt für die Angeklagten vorhersehbar war. Im Sinne des Fahrlässigkeitstatbestands voraussehbar ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können. Nicht anzunehmen ist dies bei solchen Ereignissen, die so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrungen liegen, dass der Täter auch bei der nach den Umständen des Falles gebotenen und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen zuzumutenden Sorgfalt nicht mit ihnen rechnen muss. Eingetretene Folgen könneninsbesondere außerhalb der Lebenserfahrung liegen, wenn sich in den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolg bewusste oder unbewusste Handlungen dritter Personen einschalten, gerade wenn der Beitrag anderer Personen zum Geschehen in einem gänzlich vernunftwidrigen Verhalten besteht. Der Geschehensablauf lag danach betrachtet außerhalb der Lebenserfahrung und war für die drei jungen Menschen nicht vorhersehbar. Sie haben nicht damit rechnen müssen, dass die Mutter, die sich über lange Zeit nicht gegen ihren Partner gewehrt hat, ihn nun mit dem Stein und dem Würgen töten würde. Sie wollte ihm schließlich gemäß der Äußerung gegenüber ihrem Sohn nur einen „Denkzettel“ verpassen. Somit war der Erfolgseintritt nicht vorhersehbar und eine Strafbarkeit gem. § 227 StGB scheidet aus. D. In der Prüfung A. Strafbarkeit des Sohnes und der beiden Kollegen gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB (+) B. Strafbarkeit der drei gem. § 227 StGB I. Tatbestand a. Grunddelikt b. Eintritt der schweren Folge c. Kausalität zwischen Grunddelikt und schwerer Folge d. Fahrlässigkeit im Hinblick auf die schwere Folge II. Ergebnis (-) E. Literaturhinweise BGH, Urteil vom 26. 11. 2019 – 2 StR 557/18 BGHSt 64, 217 Rn. 52 f. Entscheidung-der-Woche-15-2022 .pdf PDF herunterladen • 74KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 16-2020 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 16-2020 (SR) Btissam Boulakhrif Das Feststellungsinteresse resultiert aus der organschaftlichen Stellung des Klägers und der mit dem Handschlag zusammenhängenden Begründung dieser, sowie aus einem bestehenden Rehabilitationsinteresse, aufgrund des herabsetzenden Charakters der Verweigerung des Handschlags. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: OVG Thüringen 3 KO 620/18 A. Orientierungs- oder Leitsatz Das Feststellungsinteresse resultiert aus der organschaftlichen Stellung des Klägers und der mit dem Handschlag zusammenhängenden Begründung dieser, sowie aus einem bestehenden Rehabilitationsinteresse, aufgrund des herabsetzenden Charakters der Verweigerung des Handschlags. Der Handschlag stellt zwar keinen statusbegründenden, dennoch einen verpflichtenden symbolischen Akt dar. B. Sachverhalt Die Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach vereidigte die Stadträte. Dafür sprach sie eine Erklärung vor, auf die Stadträte mit „Ich verpflichte mich.“ zu reagieren hatten. Die Stadträte taten dies jeweils, darunter auch der durch einen Wahlvorschlag der NPD gewählte Stadtrat W. Nach Ausspruch schüttelte die Oberbürgermeisterin jedem der Stadträte die Hand, außer jenen die durch den Wahlvorschlag der NPD in den Stadtrat gewählt wurden, darunter auch W. W begehrt nun, dass festgestellt werde, dass das Unterbleiben des Handschlages eine rechtswidrige Handlung der Oberbürgermeisterin darstellt. C. Anmerkungen Nachdem das zuständige VG in dieser Sache urteilte, dass dem Handschlag rein symbolischer Charakter zukäme und die Verweigerung eine hinnehmbare politische Symbolhandlung darstelle. Zudem wurde auch das Feststellungsinteresse des Klägers verneint. Dieses Urteil wurde durch das OVG aufgehoben. Sowohl das Feststellungsinteresse, als auch die Rechtswidrigkeit der Verweigerung des Handschlags wurden bejaht. Das Feststellungsinteresse resultiert zum einen aus dem Rehabilitationsinteresse und zum anderen aus seiner organschaftlichen Stellung. Bezüglich letzterem wurde ausgeführt, dass es sich bei dem in Frage stehenden Handschlag um Teil eines gesetzlich normierten Prozesses zur formalen Begründung seines Amtes handele. Es könne ihm nicht das Interesse abgesprochen werden, da es sich nicht nur um einen Rechtsstreit hinsichtlich der Ausübung seiner organschaftlichen Rechte, sondern bereits hinsichtlich der Begründung seines organschaftlichen Status, handelt. Es liegt zum anderen auch ein Feststellungsinteresse im Sinne eines Rehabilitationsinteresses des Klägers vor. Durch die Ungleichbehandlung sei er in seinem Achtungsanspruch herabgesetzt worden, weshalb es ihm zustünde in Erfahrung zu bringen, ob dies rechtwidrig erfolgte. Dies sei insbesondere der Fall, da die Beklagte gerade eine öffentlichkeitswirksame Abgrenzung beabsichtigte. Die Wiederholungsgefahr dieses Verhaltens könne laut OVG dahinstehen. Das OVG sah die Klage weiterhin als begründet an. Zunächst stellte es fest, dass der Handschlag in § 24 Abs. 2 ThürKO gesetzlich vorgeschrieben war und dieser Verpflichtung durch die Oberbürgermeisterin nicht nachgekommen wurde. Es folgte insoweit der Ansicht des VG, als dass es ebenfalls feststellte, dass es sich bei dem Handschlag nicht um einen statusbegründenden Akt handelt. W also trotz der Verweigerung sein Amt bekleiden konnte. Dies folge aus § 24 Abs. 2 S. 2 ThürKO. Jedoch sei der Wortlaut des § 24 Abs. 2 ThürKO bezüglich der Verpflichtung zum Handschlag eindeutig. Diese ergebe sich auch aus der Begründung des Gesetzgebers. Das Erfordernis einer subjektiven inneren Bereitschaft existiere nicht und somit erfordere auch der symbolische Charakter, dass sowohl die amtierende Bürgermeister*in, als auch die jeweiligen Stadträte, sich diesem nicht entziehen. Weiterhin dürfe der Gesetzgeber von einer Bürgermeister*in erwarten, dass die Person, die bereit ist als politische und administrative Repräsentantin der Gemeinde, das Amt der Bürgermeister*in zu bekleiden ist, auch in der Lage ist die eigene Bereitschaft zum Handschlag, nicht von persönlichen Sympathien oder Antipathien abhängig zu machen. Interessant ist wohl die Betrachtung dieser Rechtsauffassung im Lichte der uns wohl noch länger beschäftigenden Coronavirus Pandemie. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit der Klage I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs II. Statthafte Klageart III. Klagebefugnis IV. Feststellungsinteresse V. Beteiligtenfähigkeit VI. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen B. Begründetheit der Klage I. Passivlegitimation II. Rechtsverletzung E. Zur Vertiefung https://verfassungsblog.de/die-zwei-koerper-der-buergermeisterin/ Entscheidung-der-Woche-16-2020 .pdf PDF herunterladen • 104KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 48-2019 (ÖR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 48-2019 (ÖR) Frederike Hirt Eine Selbstbindung der Verwaltung kann sich durch jahrzehntelang gewährte Sperrzeitverkürzungen ergeben. Haben sich hierdurch Gaststättenbetreiber auf ein entsprechendes Betriebsmodell eingerichtet, bedarf es zur Änderung der Verwaltungspraxis neben sachgerechten Erwägungen auch einer angemessenen Übergangsfrist. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: VGH Mannheim, Beschl. v. 12.12.2018 - 6 S 2448/18 in: NVwZ-RR 2019, 774 BeckRS 2018, 34107 A. Leitsatz Eine Selbstbindung der Verwaltung kann sich durch jahrzehntelang gewährte Sperrzeitverkürzungen ergeben. Haben sich hierdurch Gaststättenbetreiber auf ein entsprechendes Betriebsmodell eingerichtet, bedarf es zur Änderung der Verwaltungspraxis neben sachgerechten Erwägungen auch einer angemessenen Übergangsfrist. B. Sachverhalt (verkürzt) Seit 1992 erhält der Gaststättenbetreiber durchgehend eine auf sechs Monate befristete Sperrzeitverkürzung bis 06:00 Uhr. Der Antrag auf erneute Sperrzeitverkürzung für Juli-Dezember 2018 wurde unter Bezugnahme auf Anwohnerbeschwerden abgelehnt. Die Behörde habe ihre Verwaltungspraxis zur Erteilung daher geändert. Andere Gaststätten in räumlicher Nähe erhielten allerdings eine Verkürzung. Der Gaststättenbetreiber erhob Widerspruch und beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem Ziel vorläufig eine Sperrzeitverkürzung zu erhalten. C. Anmerkungen Anspruchsgrundlage für eine Sperrzeitverkürzung ist in Baden-Württemberg § 18 GastG i.V.m. § 12 GastVO. In Niedersachsen gelten für Gaststätten von vornherein keine Sperrzeiten, für Spielhallen gelten Ausnahmen nach § 10 NGastG i.V.m. § 2 SperrZVO. Der Schwerpunkt des Falles liegt in der Frage, ob das Ermessen der Verwaltung dahingehend auf Null reduziert ist, dass die Ausnahme von den Sperrzeiten dem Betreiber zugesprochen werden muss. Das könnte sich aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Voraussetzung hierfür ist, dass eine rechtmäßige Verwaltungspraxis hinsichtlich der Bewilligung von Sperrzeitverkürzungen besteht. Indem eine Sperrzeitverkürzung dem Gesetzeswortlaut nach nur befristet und widerruflich bewilligt werden darf, könnte die durchgängige Bewilligungspraxis der Zielsetzung der Ausnahmeregelung widersprechen. Dann wäre sie rechtswidrig, ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht besteht gerade nicht. Allerdings erkenne die GastVO in § 11 die Möglichkeit einer dauerhaften Ausnahme an. Auch bestünden für die „kettenbefristeten“ Sperrzeitaufhebungen gerade im Innenstadtbereich besondere örtliche Verhältnisse. Durch die ständige Praxis seit 1992 liegt somit eine rechtmäßige Verwaltungspraxis vor, die grundsätzlich zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Es steht der Behörde aber offen ihre Verwaltungspraxis für die Zukunft zu ändern, sofern ein sachlicher Grund vorliegt. Weder eine individuelle noch eine generelle Änderung habe die Behörde aber sachgerecht begründet. Denn andere Betreiber erhielten noch eine Sperrzeitverkürzung, konkrete Gründe nur dem Antragsteller die Ausnahme zu versagen, hätten nicht vorgelegen. Darüber hinaus stellt der VGH klar, dass die Behörde eine angemessene Übergangsregelung hätte treffen müssen. Dies gebiete der Vertrauensschutz aus Art. 12 Abs. 1 GG. Selbst wenn die Änderung der Verwaltungspraxis sachgerecht gewesen wäre, hätte die Behörde die Sperrzeitverkürzung erst nach Ankündigung der Änderung und einem gewissen Zeitablauf versagen dürfen. Schließlich muss der Gaststättenbetreiber sein Betriebskonzept nach 25 Jahren Nachtbetrieb finanziell und strukturell neu aufstellen, wenn er keine Ausnahme mehr erhält bis 06:00 Uhr früh geöffnet zu haben. Ohne diese Ankündigung wäre eine Versagung auch ermessensfehlerhaft. Der VGH prüft in der Entscheidung sehr anschaulich die Voraussetzungen einer Selbstbindung der Verwaltung – vom Bestehen einer Praxis über ihrer Rechtmäßigkeit bis hin zu ihrer Beendigung sind alle Punkte enthalten, an denen eine Selbstbindung scheitern könnte. Sollte dies einmal der Fall sein, gilt es dennoch an Ermessensfehler durch Vertrauensschutzgesichtspunkte und mögliche Übergangsregelungen zu denken. D. In der Prüfung Begründetheit des Antrags I. Anordnungsanspruch 1. Anspruchsvoraussetzungen aus § 18 GastG i.V.m. § 12 GastVO 2. Rechtsfolge: Ermessensreduktion Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Selbstbindung der Verwaltung (!) II. Anordnungsgrund § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO III. Glaubhaftmachung § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO IV. Rechtsfolge: Ermessen des Gerichts und Unzulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache (!) E. Zur Vertiefung Kluckert, Die Selbstbindung der Verwaltung, JuS 2019, 536ff. Entscheidung-der-Woche-48-2019 .pdf PDF herunterladen • 94KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 30-2020 (SR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 30-2020 (SR) Malte Gauger Dass ehemalige Bewohner nicht mehr in ihren Wohnungen leben, lässt die Wohnungseigenschaft i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht entfallen. (Leitsatz der Redaktion) Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH 3 StR 526/19 in: NJW 2020, 1750 BeckRS 2020, 7873 A. Orientierungs- oder Leitsatz Dass ehemalige Bewohner nicht mehr in ihren Wohnungen leben, lässt die Wohnungseigenschaft i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht entfallen. (Leitsatz der Redaktion) B. Sachverhalt Nach einigen begangenen Diebeszügen beschließt A, vorrangig in Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informiert er sich durch das Studieren der Traueranzeigen in der Tageszeitung. Er lässt sich für sein Vorhaben die Unterstützung des B zusichern. Seinem Plan entsprechend hebelt A am 6.5.2020 ein Fenster am Haus eines zwei Wochen zuvor Verstorbenen auf. Er steigt ein, während B draußen den Fluchtweg absichert. Die Beute von 60 € Bargeld teilen A und B untereinander auf. Einige Tage später hebelt A die Terrassentür zu einer weiteren Immobilie auf. Auch dieses Haus steht leer, weil dessen Bewohnerin kurz zuvor verstorben war. Dort entnimmt er einen Tresor und flüchtet gemeinsam mit B, der erneut den Fluchtweg absicherte, vom Grundstück. Dem Tresor entnehmen sie später 1.000 € Bargeld. C. Anmerkungen In der vorliegenden Entscheidung beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob Wohnungen (auch) dann unter den Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB fallen, wenn die Häuser zur jeweiligen Tatzeit seit dem Tod ihrer Bewohner unbewohnt waren. Der BGH hat das Vorliegen der Qualifikation im Ergebnis angenommen und hat dazu wie folgt ausgeführt: Wohnungen sind zunächst abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Die Häuser waren hier jeweils eingerichtet und als Unterkunft voll funktionstüchtig. Auch führt der BGH ein Wortlautargument an. Der Begriff der Wohnung bezeichne eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit [...]. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei somit der Zweck der Stätte maßgebend, aber nicht, dass das Objekt tatsächlich bewohnt ist. Dieser Argumentation entspreche auch, dass ebenso Wohnmobile und Wohnwagen tatbestandlich auch dann unter den Wohnungseinbruchdiebstahl fallen, wenn sie zur Tatzeit nicht zum Wohnen genutzt werden. Ferner werde die Betrachtungsweise auch von der Gesetzessystematik bestätigt. Denn spätestens mit der Einführung des § 244 Abs. 4 StGB, der den Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung regelt, habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Letztlich stellt der BGH auch noch auf den Sinn und Zweck der Qualifikation ab. Die Vorschrift schütze das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen sowie die häusliche Integrität. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zugeordnet werden können, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen, etwa weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es ihr Elternhaus ist oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern. D. In der Prüfung I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Fremde bewegliche Sache b) Wegnahme c) § 244 StGB aa) § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB (P) Wohnungseigenschaft E. Zur Vertiefung Zum Wohnungseinbruchdiebstahl allgemein: Rengier, Strafrecht BT I, § 4 Rn. 82ff.; Siehe vertiefend auch: Bosch, Die Strafbarkeit des Wohnungseinbruchdiebstahls, Jura 2018, 50-59. Entscheidung-der-Woche-30-2020 .pdf PDF herunterladen • 297KB Zurück Nächste
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Entscheidung der Woche 45-2023 (ÖR) Jasmin Wulf Das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfachverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG, Urt. v. 31.10.2023 - 2 BvR 900/22 in: BeckRS 2023, 29790 A. Orientierungs - oder Leitsätze 1. Das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfachverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt. 2. Es entfaltet seine Wirkung auch gegenüber dem Gesetzgeber, wenn dieser die gesetzlichen Voraussetzungen für eine erneute Strafverfolgung durch die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens schafft. 3. Das in Art. 103 Abs. 3 GG statuierte Mehrfachverfolgungsverbot trifft eine Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit. Diese Vorrangentscheidung steht einer Relativierung des Verbots durch Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang nicht offen, sodass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wiederaufnahmerechts insoweit kein Gestaltungsspielraum zukommt. 4. Art. 103 Abs. 3 GG umfasst nur eine eng umgrenzte Einzelausprägung des Vertrauensschutzes in rechtskräftige Entscheidungen. Er schützt den Einzelnen allein vor erneuter Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze, wenn wegen derselben Tat bereits durch ein deutsches Gericht ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist. 5. Im Rahmen dieses begrenzten Schutzgehalts verbietet Art. 103 Abs. 3 GG die Wiederaufnahme von Strafverfahren zum Nachteil des Grundrechtsträgers nicht generell, jedenfalls aber die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel. 5. Freigesprochene dürfen darauf vertrauen, dass die Rechtskraft des Freispruchs nur aufgrund der zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft geltenden Rechtslage durchbrochen werden kann. Der Grundsatz ne bis in idem erkennt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in ein freisprechendes Strafurteil an und Art. 103 Abs. 3 GG verleiht diesem Vertrauensschutz Verfassungsrang. B. Sachverhalt 2021 wurde nach langer Diskussion mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit" § 362 Abs. 1 StPO um Ziffer 5 erweitert. Danach soll es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein, erneut Klage gegen einen Freigesprochenen zu erheben, wenn der Vorwurf auf Mord oder Völkermord lautet. Demnach soll eine Wiederaufnahme eines Falles zuungunsten eines Angeklagten auch dann möglich sein, wenn neue Tatsachen oder Beweise, beispielsweise durch moderne Technik, dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes oder anderer schwersten Verbrechen verurteilt wird. Vorher war dies nur möglich bei schweren Verfahrensfehlern oder wenn der Freigesprochene im Nachhinein ein Geständnis ablegte. Im sog. Mordfall Frederike wurde der damalige Angeklagte 1983 mangels Beweisen rechtskräftig freigesprochen. Nach einer neuen DNA-Untersuchung könnte er nun der Täter sein, woraufhin gegen ihn ein Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wurde. Dagegen legte er Verfassungsbeschwerde ein. C. Anmerkungen Das BVerfG urteilte nun, dass die Wiederaufnahme in diesem Fall verfassungswidrig ist. § 362 Abs. 1 Nr. 5 StPO verstößt gegen das Mehrfachverfolgungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG und ist daher nichtig. Zudem verletzt die Anwendung der Norm auf Freisprüche, die bereits rechtskräftig waren, als die Norm in Kraft trat, das Rückwirkungsverbot. Jedenfalls im Falle neuer Tatsachen oder Beweismittel darf der Gesetzgeber keine Wiederaufnahmemöglichkeiten für Strafverfahren zuungunsten freigesprochener Angeklagter schaffen. Das grundrechtsgleiche Mehrfachverfolgungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG trifft nach Ansicht des Gerichts eine absolute Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit. Zudem ist diese Vorschrift abwägungsfest und kann nicht durch andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang relativiert werden, auch nicht gegenüber dem Gesetzgeber. Eine Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Strafverfahren ist demnach nur möglich, wenn es darum geht, ein mit rechtsstaatlichen Gründen nicht zu vereinbarendes Urteil aufzuheben, ohne dass eine Änderung des materiellen Ergebnisses im Vordergrund steht. Eine inhaltlich motivierte Korrektur reicht dafür nicht aus. Zudem wäre auch ein nie endender Strafprozess für die Opfer und Angehörigen eine erhebliche seelische Belastung. D. In der Prüfung I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde (P) Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage 1. Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts des Mehrfachverfolgungsverbots aus Art. 103 Abs. 3 GG 2. Verletzung des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG E. Literaturhinweise Singelnstein, Die Erweiterung der Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen, NJW 2022, 1058; Schiffbauer, "Unerträglich als valides Argument des Gesetzgebers? - Aktuelle Normsetzung und das Konzept des Rechts, NJW 2021, 2097; Aust/Schmidt, Ne bis in idem und Wiederaufnahme, ZRP 2020, 251. Entscheidung-der-Woche-45-2023 .pdf PDF herunterladen • 122KB Zurück Nächste
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Entscheidung der Woche 28-2020 (ÖR) Frederike Hirt Es ist nicht ersichtlich, dass die Auflage, während einer Versammlung einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, zu einem erheblichen Nachteil der Antragstellerin führen würde. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BVerfG, Beschl. v. 26.06.2020 - 1 BvQ 74/20 in : bverfg.de A. Orientierungssatz Es ist nicht ersichtlich, dass die Auflage, während einer Versammlung einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, zu einem erheblichen Nachteil der Antragstellerin führen würde. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Antragstellerin möchte während der Covid-19- Pandemie in Oldenburg im Juni 2020 eine Versammlung abhalten. Die Stadt Oldenburg hat die Durchführung auf Grundlage von § 2 Abs. 4 S. 3 der Corona-Verordnung der Niedersächsischen Landesregierung i.V.m. § 8 Abs. 1 NVersG beschränkt, namentlich die Teilnahmeanzahl begrenzt, Abstandsregelungen und die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Zudem erhielt der Bescheid eine Anordnung zur sofortigen Vollziehung. Gegen die Mundschutzpflicht sowie die begrenzte Teilnahmeanzahl reichte die Antragstellerin Klage ein und beantragte einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Hinsichtlich des Mundschutzes wurde der Antrag abgelehnt. Sie begehrt nun, dass das BVerfG im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid auch in Bezug auf die Maskenpflicht wiederherstellt. C. Anmerkungen Der einstweilige Rechtsschutz vor dem BVerfG richtet sich nach §32 BVerfGG. Grundsätzlich ist im Rahmen der sogenannten Doppelhypothese eine Folgenabwägung vorzunehmen. Gegenübergestellt werden die Folgen der Fälle, wenn das BVerfG die einstweilige Anordnung erlassen und im Hauptsacheverfahren anders entscheiden würde oder aber die einstweilige Anordnung versagen und im Hauptsacheverfahren stattgeben würde. Das prüft das BVerfG in diesem Fall jedoch nicht. Denn die Folgenabwägung ist nur dann relevant, wenn der Antrag nicht bereits offensichtlich unzulässig oder offensichtlich (un)begründet ist. Im vorliegenden Fall kann die Antragstellerin ihr Versammlungsrecht aus Art. 8 GG vollständig ausüben, bzgl. der Teilnahmeanzahl hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Alt. 2 VwGO wiederhergestellt. Das Bundesverfassungsgericht geht sogar noch weiter und verneint einen Anordnungsgrund. Nach § 32 BVerfGG muss die Anordnung nämlich zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sein. Dass ein schwerer Nachteil bspw. in der Unattraktivität der Versammlung bestehen würde, sei bei der zumutbaren Verhaltensregelung eine Maske zu tragen nicht der Fall. Das gilt umso mehr, als dass das Tragen von Masken auch in anderen Bereichen des Alltags Einzug erhalten hat. Anders als üblicherweise vermittelt, kommt es in diesem Fall daher darauf an, nicht vorschnell eine Folgenabwägung vorzunehmen, sondern vorher den Anordnungsgrund und die offensichtliche Unbegründetheit im Rahmen einer summarischen Prüfung festzustellen. D. In der Prüfung A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit II. Statthaftigkeit III. Antragsberechtigung IV. Rechtsschutzbedürfnis V. Form B. Begründetheit I. Grds. keine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, Ausnahme: Offensichtlichkeit II. Anordnungsgrund E. Vertiefungshinweis Lantermann, NVwZ 2018, 624. Entscheidung-der-Woche-28-2020 .pdf PDF herunterladen • 104KB Zurück Nächste
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Entscheidung der Woche 27-2021 (ZR) Anna Engel Bei der Einleitung und Durchführung eines Scheidungsverfahrens, sowie den äußeren Umständen und Modalitäten dieses, handelt es sich um eine familiäre Angelegenheit, die als privat einzustufen ist. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH VI ZR 250/19 in: GRUR-RS 2020,24014 MMR 2021, 152 VersR 2021, 189 RÜ 2021, 16 (m. Anm.) A. Orientierungs- oder Leitsatz 1. Bei der Einleitung und Durchführung eines Scheidungsverfahrens, sowie den äußeren Umständen und Modalitäten dieses, handelt es sich um eine familiäre Angelegenheit, die als privat einzustufen ist. 2. Die Intensität eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht durch einen Wortbericht ist als gering zu werten, wenn es sich um die Behauptung zutreffender Tatsachen handelt, die entweder belanglos sind oder sich allenfalls oberflächlich mit der Person des Betroffenen beschäftigen, ohne einen tieferen Einblick in seine persönlichen Lebensumstände zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein. 3. Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung eines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild einem der Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden, § 23 Abs. 2 KUG. B. Sachverhalt (vereinfacht) K und F, die sowohl alleine als auch als Paar der Öffentlichkeit unter anderem aus TV-Shows bekannt sind, ließen sich nach 12 Jahren Ehe scheiden. Dies nahm B zum Anlass, um auf www.bild.de einen Artikel über das Scheidungsverfahren zu veröffentlichen. Der Artikel beinhaltete Fotos von K und F im Amtsgericht und beim Verlassen des selbigen. Weiterhin wurde auch in Textform Bericht erstattet. Im Wortbericht wurden Fakten über das gemeinsame Leben der beiden, sowie Uhrzeit, Raum und Dauer des Scheidungsverfahrens genannt. K meint, der Bericht über das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindende Scheidungsverfahren verletzte ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie ihr Recht am eigenen Bild. Sie begehrt daher die Unterlassung der Veröffentlichung. C. Anmerkungen Mangels eines gesetzlich normierten Unterlassungsanspruchs für die beeinträchtigten Rechtspositionen kommt lediglich eine Analogie in Betracht. Aus den vom Gesetzgeber normierten Abwehrrechten auf Unterlassung (z.B. § 862 Abs. 1 S. 2 BGB) lässt sich ein allgemeines Prinzip ableiten, das für andere Rechtsgutverletzungen i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB analog § 1004 BGB anwendbar ist. Entscheidend ist es, zwischen dem Wort- und dem Bildbericht zu unterscheiden. Als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG (APR) verletzt, denn die Scheidung sowie deren konkrete Umstände werden als Teil der Privatsphäre vom Schutzbereich umfasst. Eine Besonderheit ist, dass die Rechtswidrigkeit der Verletzung nicht indiziert wird, sondern im Rahmen einer Abwägung positiv festzustellen ist. Dabei steht das APR der K dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit des B aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entgegen. Auf Grund des rein informativen Charakters und der fehlenden Informationen über den Inhalt der Scheidung beurteilt der BGH die Intensität des Eingriffs als gering, sodass die Veröffentlichung rechtmäßig war und K keine Unterlassung verlangen kann. Im Gegensatz zum Wortbericht sind bei der Prüfung des Bildberichts nicht die Verletzung des APR sondern die spezielleren Regeln des KUG ausschlaggebend. Gem. § 22 Abs. 1 KUG darf ein Bild grundsätzlich nicht ohne Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden, außer es liegt ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte und damit eine Ausnahme gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vor. Die in § 23 Abs. 1 KUG normierten Ausnahmen sind dabei Duldungspflichten i.S.d. § 1004 Abs. 2 BGB. Während die ältere Rechtsprechung danach differenzierte, wie umfassend die Bekanntheit der betroffenen Person ist, hat der BGH seine Rechtsprechung angepasst und wendet nun ein „abgestuftes Schutzkonzept“ an. Dieses orientiert sich ausschließlich an den gesetzlichen Regelungen. Die auch beim Wortbericht erforderliche Abwägung erfolgt zur Beurteilung der Frage, ob ein Bild aus dem Bereich der Zeitgeschichte vorliegt. Allein die Tatsache, dass der Bericht das Privatleben und nicht das öffentlichen Leben der K betrifft, schließt eine Duldungspflicht nicht aus. Die Bilder bieten laut BGH keinen Mehrwert für den Inhalt des Berichtes und zeigen K gleichzeitig in einer familiären Ausnahmesituation, sodass K ein Unterlassungsanspruch bezüglich der Fotos zusteht. D. In der Prüfung I. Wortbericht: Anspruch analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB 1. Herleitung 2. Wiederholungsgefahr 3. Verletzung des APR a. Schutzbereich b. Rechtswidrigkeit II. Bildbericht: Anspruch analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB 1. Wiederholungsgefahr 2. Recht am eigenen Bild, § 22 Abs. 1 KUG 3. Duldungspflicht analog § 1004 Abs. 2 BGB E. Zur Vertiefung Brot/Hassel, Der Anspruch auf Geldentschädigung bei Perönlichkeitsrechtsverletzungen, NJW 2020, 2214. Entscheidung-der-Woche-27-2021 .pdf PDF herunterladen • 254KB Zurück Nächste
- Entscheidung der Woche 43-2019 (ZR) | Hanoverlawreview
Entscheidung der Woche 43-2019 (ZR) Felicia Maas Der Leasingnehmer, der die Pflicht zur Instandsetzung des Leasingfahrzeugs gegenüber dem Leasinggeber und Eigentümer für jeden Schadensfall übernommen und im konkreten Schadensfall nicht erfüllt hat, kann nicht ohne Zustimmung (§ 182 BGB) des Eigentümers gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vom Schädiger statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten verlangen. Aktenzeichen & Fundstelle Az.: BGH VI ZR 481/17 in: NZV 2019, 424 NJW 2019, 1669 A. Orientierungssätze Der Leasingnehmer, der die Pflicht zur Instandsetzung des Leasingfahrzeugs gegenüber dem Leasinggeber und Eigentümer für jeden Schadensfall übernommen und im konkreten Schadensfall nicht erfüllt hat, kann nicht ohne Zustimmung (§ 182 BGB) des Eigentümers gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vom Schädiger statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten verlangen. B. Sachverhalt (verkürzt) Die Klägerin ist Leasingnehmerin (LN) eines PKW, der bei einem vom Beklagten schuldhaft verursachten Verkehrsunfall beschädigt wurde. Zu folgenden Bedingungen hatte die Klägerin das Fahrzeug geleast: „Im Schadensfall hat der LN den Leasinggeber (LG) unverzüglich schriftlich zu informieren, die erforderlichen Reparaturarbeiten unverzüglich im eigenen Namen und auf eigene Kosten durchführen zu lassen und dem LG eine Kopie der Reparaturkostenrechnung zu übersenden. Der LN hat mit der Durchführung der Reparatur grds. einen vom Hersteller anerkannten Betrieb zu beauftragen. Entschädigungsleistungen für Wertminderung sind an den LG weiterzuleiten. Der LN ist berechtigt und verpflichtet, fahrzeugbezogene Schadensersatzansprüche im eigenen Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen.“ Die LN holte bei einer Fachwerkstatt einen Kostenvoranschlag für die Reparatur ein und forderte den Betrag i.H.v. 978,21 € von dem Beklagten. Dieser lehnte die Regulierung auf Grundlage einer fiktiven Abrechnung ab und verlangte die Vorlage einer Freigabeerklärung durch LG als Eigentümer des PKW. C. Anmerkungen Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, denn es würden Ansprüche sowohl aus eigenem als auch aus fremdem Recht verfolgt. Diese alternative Klagehäufung verstieße gegen das Bestimmtheitsgebot nach § 253 Abs. 2 S. 2 ZPO. Problematisch ist, dass der PKW nicht im Eigentum der LN steht. Der berechtigte unmittelbare Besitz am PKW wird durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Auch könnte sich eine Haftung aus § 7 StVG ergeben. Fraglich ist jedoch, ob es sich bei den Reparaturkosten um einen Schaden des LN handelt. Der BGH klärt diese höchst umstrittene Frage nicht abschließend, da dies hier als nicht entscheidungserheblich erachtet wird. Gehe man davon aus, dass sowohl der berechtigte unmittelbare Besitzer als auch der Eigentümer Anspruch auf Ersatz des Substanzschadens haben, stelle sich das Problem der Anspruchskonkurrenz, welches erst entschieden werden könne, wenn LN und LG Erklärungen zum konkreten Schadensfall abgegeben hätten und der LG seine vertraglich vereinbarte Zustimmung gem. § 182 BGB abgegeben habe, statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten aus eigenem Recht zu verlangen. Das Recht des Geschädigten, statt der Herstellung gem. § 249 Abs. 2 BGB die Herstellungskosten zu verlangen, ist als Ersetzungsbefugnis des Gläubigers zu verstehen. Die Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB solle den Geschädigten davon befreien, die Schadensbeseitigung dem Schädiger anvertrauen zu müssen. Hier fehlt der Klägerin allerdings das Einvernehmen des LG. Soweit der Schaden in der Belastung einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten besteht, geht der Anspruch auf Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB auf Schuldbefreiung, nicht aber auf Zahlung des zur Tilgung erforderlichen Geldbetrags. D. In der Prüfung A. § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 7 Abs. 1 StVG I. Rechtsgutsverletzung bzw. Sachbeschädigung II. Kausaler Schaden 1. Ersatzfähiger Schaden a) Kein Haftungsschaden aus Gründen der (Mit-)Haftung b) Haftungsschaden bei eigener Reparaturverpflichtung nur nach Durchführung 2. Substanzsschaden unabhängig von Haftungsschaden ein eigener Anspruch des LN? a) e.A.: Substanzschaden nur ein solcher des Eigentümers b) a.A.: LN hat eigenen Anspruch B. Ergebnis E. Zur Vertiefung Harriehausen, Die aktuellen Entwicklungen im Leasingrecht, NJW 2019, 1493ff. Entscheidung-der-Woche-43-2019 .pdf PDF herunterladen • 243KB Zurück Nächste












